Vor einer felsigen Landschaft steht ein alter Mann einem wuchtigen Bagger gegenüber
Mann gegen Bagger - das Dorf Zall Gjocaj in Albanien wehrt sich | Foto: ata

Ein Dorf als Symbol

Die Umwelt­bewegung in Albanien wächst

von Tobias Hausen und Tea Lozi

04.01.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 394

»Die Dorfbewohner*innen haben uns inspiriert«, sagt Diana, »uns und die ganze Umweltbewegung in Albanien«. Die 29-Jährige ist Mitglied von ata*, einer Gruppe junger Aktivist*innen aus Kamza, einem Ort im Speckgürtel der albanischen Hauptstadt Tirana. »Seit vier Jahren führen die Menschen aus Zall Gjocaj den Kampf gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen mit einer unglaublichen Entschlossenheit«.

Doch von vorne: Zall Gjocaj ist eine kleine Gemeinde im bergigen Nordwesten Albaniens. Nur die Alten leben noch hier, die Jüngeren sind nach Tirana gegangen oder ins Ausland. Eine einzige Bergstraße verbindet die Gemeinde mit dem Rest des Landes, im Winter kommt es vor, dass diese über Wochen unbefahrbar ist. Zall Gjocaj liegt im gleichnamigen Nationalpark, der 1996 eingerichtet wurde. Braunbären, Luchse, Wölfe und Baummarder sind hier ebenso zu Hause, wie eine Vielzahl von Baum- und Pflanzenarten, darunter Kiefern, Buchen und Ahorn. Zwölf Gletscherseen aus der Eiszeit prägen die Landschaft.

In Zall Gjocaj leben die Menschen hauptsächlich von der Landwirtschaft und der Imkerei. Zumindest taten sie das bis vor wenigen Jahren, als das private Unternehmen Seka Hydropower 2013 die Konzession erhielt, den Fluss Flim für ein Wasserkraftwerk teilweise auszutrocknen. Albaniens eigene Stromproduktion stammt nahezu ausschließlich aus Wasserkraft, knapp ein Drittel der Energie wird importiert. Ein wachsender Anteil an der Wasserkraft stammt von kleinen Wasserkraftwerken, von denen wiederum 20 Prozent in Naturschutzgebieten angesiedelt sind.

Nicht nur für die Natur hätte der Bau eines neuen Kraftwerks im Nationalpark Zall Gjocaj fatale Konsequenzen. Die Einwohner*innen beziehen aus dem Fluss Trinkwasser und Wasser für ihre Felder und Tiere. Also beschlossen sie, sich zu wehren und blockierten 2019 den Beginn der Bauarbeiten. Seitdem vergeht kaum ein Monat ohne Aktionen der Gemeindemitglieder, viele davon in der Hauptstadt: Proteste vor dem Präsidentenpalast, auf dem zentralen Skanderbegplatz, Pressekonferenzen. Unbekannte ergriffen auch weitergehende Maßnahmen, so fiel am 19. März 2020, getreu der Parole »Keine Maschinen sind im Nationalpark willkommen«, ein Bagger an der Baustelle einem Sprengsatz zum Opfer. Die Maschinenstürmer*innen stellten dabei sicher, dass niemand verletzt wurde.

Unterstützung kommt vom ata-Kollektiv: Es errichtete ein Protestcamp an der Baustelle und übernahm die Öffentlichkeitsarbeit. Einige der Mitglieder sind in der Region aufgewachsen und vermittelten den Kontakt. Aus der Zusammenarbeit entstand die Kampagne Mbro Parku Kombëtar (Schützt den Nationalpark). Von staatlicher Seite hingegen war keine Hilfe zu erwarten: »Die lokalen Behörden zögerten sehr lange damit, uns über das Projekt zu informieren«, klagt Dhimitër Koleci, der im Dorf wohnt und sich in den letzten Jahren zum Aktivisten gewandelt hat, »nur durch Gerüchte haben wir von dem Bau erfahren«.

Der Fluss sollte auf einer Strecke von 22 Kilometern stillgelegt werden

Auch von Seka Hydropower wurde eine Politik der Desinformation verfolgt. So hieß es anfangs, dass nur ein Teil des Flusses für das Wasserkraftwerk umgeleitet werden solle. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass der ganze Fluss auf einer Strecke von 22 Kilometern stillgelegt und das Wasser durch unterirdische Rohre geleitet werden sollte. Gegenüber der Öffentlichkeit behaupteten die Betreiber, die Bewohner*innen hätten in einer Befragung grünes Licht für den Bau gegeben. Tatsächlich hatte das Unternehmen eine von dem Vorhaben nicht betroffene Gemeinde außerhalb des Nationalparks befragen lassen.

Gegen das fragwürdige Verhalten von Behörden und Betreibern gingen die Aktivist*innen auch auf juristischem Wege vor. Vier Klagen wurden bisher angestrengt, wobei das letzte Verfahren, in dem es um den Versuch der Regierung geht, das Bauvorhaben durch eine Territorialreform nachträglich abzusichern, noch läuft. Obwohl die Kläger*innen Recht bekamen, dass die Lizenzvergabe illegal war, begannen 2019 die Bauarbeiten für das Kraftwerk. Mittlerweile ist es in Betrieb genommen worden. Erste Auswirkungen auf die Natur sind bereits spürbar und für die Bewohner*innen hat sich das Problem der Trinkwasserbeschaffung extrem verschärft. Trotz wiederholter Versprechen der Behörden gibt es in der Gegend bis heute keine öffentliche Wasserversorgung.

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Zall Gjocaj reiht sich in eine Vielzahl ähnlich gelagerter Konflikte in Albanien ein, denen meist intransparente und undemokratische Vergabeverfahren vorausgehen. Aktuell sorgt etwa ein Projekt zum Bau eines Flughafens für Aufsehen, das den Vjosa-Nationalpark teilweise zerstören würde. Der Widerstand gegen solche Vorhaben wächst. Eine größer und lauter werdende Umweltbewegung organisiert den Protest mittels Kampagnen, Aktionen und Rechtsstreits. Urbane Aktivist*innen und NGOs helfen den lokalen Initiativen Betroffener sich zu vernetzen, bei der Öffentlichkeitsarbeit und den juristischen Auseinandersetzungen.

Für die Bewegung ist Zall Gjocaj Vorbild und Symbol: Auch wenn die Dorfbewohner*innen den Bau des Kraftwerks nicht verhindern konnten, geben sie ihren Kampf nicht auf. Sie organisieren Treffen mit anderen Gemeinden, die von ähnlichen Projekten betroffen sind, wie Vjosa und teilen ihre Erfahrungen. Es gehe ihnen nicht nur um ihre Gemeinde, sagt Dhimitër Koleci, sondern um ganz Albanien. »Wir wollen als Bürger endlich ernst genommen werden«, so der Sechzigjährige wütend und entschlossen, wenngleich man ihm die Mühen der letzten Jahre ansieht. »Wir wollen Europa in Albanien – nicht alle Albaner in Europa!«

Tobias Hausen interessiert sich für die Kämpfe der Vergangenheit und Gegenwart. Zurzeit lebt er in Tirana. Tea Lozi ist in Tirana aufgewachsen. Sie engagiert sich für die Wahrung der Menschenrechte und die Demokratisierung der albanischen Gesellschaft.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 394 Heft bestellen
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