Steinkohle aus Kolumbien -

Stütze für den deutschen Kohleausstieg?

Audiobeitrag von David Graaff

02.04.2024

»Deutschland und Kolumbien verbindet der Übergang von der fossilen in die erneuerbare Energieerzeugung«, so Wirtschaftsminister Robert Habeck. Aktuell ist Kolumbien ein wichtiger Zulieferer von Steinkohle, die bis 2030, zum beschlossenen Kohleausstieg, in deutschen Kraftwerken verfeuert wird. Danach soll das Land in Südamerika Lieferant grünen Wasserstoffs werden. Die negativen Folgen des jahrzehntelangen Kohleabbaus sind in den betroffenen Regionen schon heute allgegenwärtig. Was fordern die betroffenen Menschen in Kolumbien von der deutschen Politik und Wirtschaft?


Skript zum Audiobeitrag

Erstausstrahlung am 2. April 2024 im südnordfunk #119 bei Radio Dreyeckland

»Kennst du einen Ort, an dem die Natur eine natürliche Ressource bereitstellt, der der ganzen Welt Energie liefert und für Wohlstand in der Region sorgt? Ein Ort der sich um seine Umgebung sorgt und um jene, die dort wohnen? Dieser Ort existiert, er heißt Cerrejon.«

Sprecher: Ein Werbevideo über die Bergbaumine El Cerrejón. Fröhliche Menschen lächeln in die Kamera, stolz schreiten Arbeiter*innen im Overall und mit Baustellen-Helm durch das Bild. an einer betonierten Strandpromenade wehen Palmen im Wind. Stolz verkündet eine Stimme aus dem Off: »Verantwortlich für den Export von mehr als 40 Prozent der in Kolumbien gewonnen Kohle in verschiedene Länder der Welt.« Die Mine El Cerrejon liegt in Kolumbien - ganz im Norden, in der Region La Guajira. Sie ist ein Gigant. Auf 700 Quadratkilometern, einer Fläche fast so groß wie Hamburg, bauen riesige Schaufelradbagger Steinkohle für den Weltmarkt ab. Die jährlich 23,4 Millionen Tonnen werden über eine Zuglinie direkt zum Hafen gebracht und von dort exportiert, unter anderem nach Deutschland. Hier wird die kolumbianische Kohle in deutschen Kraftwerken in Energie umgewandelt. Betreiber der Mine ist mittlerweile der Schweizer Bergbaukonzern Glencore. »Mineria responsable« – verantwortungsvoller Bergbau – nennt das Bergbauunternehmen sein Vorgehen in der Region.

Das aufwändige Werbevideo steht nicht zufällig prominent im Internet. Denn der Kohleabbau in El Cerrejón ist umstritten - in Kolumbien und in Deutschland. Warum? Matthias Schreiber, vom Verein kolko - Menschenrechte für Kolumbien, erzählt:

Matthias Schreiber: »Der Import ist deswegen problematisch, weil dies mit enormen Menschrechtsverletzungen und Schäden an Klima und Umwelt verbunden ist.«

Sprecher: Die Liste, die Matthias Schreiber dann aufzählt, ist lang. Seit Jahren gebe es in den Abbauregionen Angriffe auf Menschenrechtsaktivist*innen, gerade wenn diese sich juristisch für die Interessen der betroffenen Gemeinden in den Abbaugebieten einsetzten. Es gebe Belege für die Zusammenarbeit von Bergbauunternehmen mit Paramilitärs, die brutal gegen die örtliche Bevölkerung vorgegangen sind. Die riesigen Minen seien zudem Eingriffe in sensible Ökosysteme, für den tropischen Trockenwald, Tierpopulationen und Gewässer.

Es gebe Belege für die Zusammen­arbeit von Bergbau­unternehmen mit Para­militärs

Für die Erweiterung der Mine Cerrejón wurde vor einigen Jahren sogar ein Fluss umgeleitet. Das habe erhebliche Folgen für die Menschen vor Ort. Nicht nur, dass es in der Region verstärkt Atemwegserkrankungen und Fehlgeburten gibt. Die vielen indigenen und afrokolumbianischen Gemeinden leben von der Landwirtschaft, also von dem, was die kargen Böden hergeben. Die Mine zerstört ihre Lebensgrundlagen und nicht selten auch das gesellschaftliche Zusammenleben.

So wie das der Gemeinde von Greylis Pinto Justate. Ich erreiche sie auf dem Handy. Sie sitzt vor einem Gesundheitszentrum und wartet seit Stunden auf einen Arzttermin. Die Sonne brennt. La Guajira ist eine der regenärmsten Regionen des Landes. Manchmal fällt monatelang kein Niederschlag.

Greylis Pinto: »Ich bin eine Frau aus der afrokolumbianischen La Chancleta. Das ist eine Gemeinde, die von der Bergbaugesellschaft umgesiedelt wurde. Sie hat uns aus unserem Territorium gedrängt, um uns angeblich an einen besseren Ort zu bringen. Aber nach all diesen Jahren können wir sagen: Das war nicht der Fall. Wir waren eine sehr produktive Gemeinde, wir haben von dem gelebt, was wir angebaut haben: Bananen, Maniok, Mais. Wir haben Tiere gehalten, Ziegen, Kühe, Hühner. Die Leute haben gefischt oder gejagt. Deshalb mussten wir früher nur wenig zusätzlich kaufen. Reis und Öl, sonst nichts.«

Sprecher: Heute leben die Menschen aus La Chancleta am Rand der Kleinstadt Barrancas, ganz in der Nähe der Mine Cerrejón.

Greylis Pinto: »Die meisten leben von informeller Arbeit. Viele Frauen verkaufen Produkte aus Katalogen. Oder sie arbeiten als Haushälterinnen. Einige wenige versuchen etwas anzubauen oder Tiere zu halten, aber es gibt hier nur wenig Wasser, das macht die Sache schwierig. Manchmal haben wir eine Woche lang kein Wasser.«

Kohle aus La Guajira ist eine Stütze des bis 2030 geplanten Kohle­ausstiegs in Deutsch­land

Sprecher: Hinzu komme, sagt Greylis, dass das Wasser ständig verschmutzt sei. Der Wind weht den Staub der Mine in Richtung der Stadt. Mit »verantwortungsvollen Bergbau«, mit dem die Betreibergesellschaft Glencore wirbt, scheint das wenig zu tun zu haben. Tatiana Cuenca ist Koordinatorin des Programmbereichs Wasser und Bergbau-Konflikte bei der Umweltschutzorganisation Censat Agua Viva, dem kolumbianischen Zweig von Friends of the Earth. Sie beobachtet die Kommunikationsstrategie von El Cerrejón schon lange:

Tatiana Cuenca: »Cerrejon bemüht sich sehr um sein Image, besonders nach den Vorwürfen zu Menschenrechts­verbrechen. Weil sie die staatlichen Mindeststandards erfüllen, sagen sie, würden sie »verantwortungsvollen Bergbau« betreiben. Dem widersprechen wir. Denn selbst wenn sie laut ihres eigenen Jahresberichts bestimmte Umwelt- und Nachhaltigkeitswerte erreichen, sorgt das Betreiben der Mine auf der anderen Seite für enorme Schäden an Umwelt und Gesellschaft. Sie haben zum Beispiel ein Programm zur Artenvielfalt und der Wiederansiedlung verschiedener Tierarten. Klar, das sind erfolgreiche Programme. Aber wenn man sich das Gesamtbild anschaut, wie viele Menschen, Tiere und Pflanzen durch die ständige Erweiterung der Mine vertrieben wurden. Diese Programme und die positiven Statistiken, die Cerrejón präsentiert, können also bei weitem den Schaden nicht aufwiegen, die die Mine verursacht hat.

Parkanzeige vor der offenen Kohlemine in Cerrejón, Kolumbien
Kohlemine über Tage in Cerrejón, Kolumbien | Foto: Castillo | CC BY-NC-ND 2.0 Deed

Sprecher: Die Region La Guajira ist eine der ärmsten Regionen Kolumbiens. Mehr als 40 Kinder unter fünf Jahren sind vergangenes Jahr nach offiziellen Angaben wegen Unterernährung gestorben. Auch weil es in der Region so wenig regnet. Diese Phasen der Trockenheit haben sich durch den Klimawandel verstärkt. Mittlerweile ist die Lage in La Guajira so dramatisch, dass die Regierung den Notstand für die Region verhängte. Tatian Cuenca bringt den Kohleabbau in la Guajira damit unmittelbar in Zusammenhang:

Tatiana Cuenca: »Dass also eine Firma sagt, sie betreibe verantwortungsvollen Bergbau, während dies enorme Auswirkungen auf das Territorium und die Lebensgrundlagen der Menschen dort hat, dann ist das eine Lüge, dann zeigt sie nur die eine Seite der Medaille.«

Sprecher: Allein steht Tatiana Cuenca mit dieser Kritik nicht. Kolumbianische Gerichte haben in den vergangenen Jahren bereits mehrfach Urteile gesprochen, die die Rechte der von Kohleabbau betroffenen Gemeinden gestärkt haben. In einigen Teilen ist der weitere Abbau untersagt. Glencore, das Schweizer Bergbauunternehmen, das Cerrejon betreibt, hat seinerseits wiederum den kolumbianischen Staat vor einem Schiedsgericht der Weltbank auf Schadensersatz verklagt. Das Verfahren läuft noch.

Deutsche Unternehmen kaufen kolumbianische Steinkohle

Doch was hat das alles mit Deutschland zu tun? Eine ganze Menge, sagen Menschenrechtsaktivist*innen. Seit in Deutschland immer weniger Kohle abgebaut wird, bezieht das Land verstärkt Kohle aus dem Ausland. Früher sehr viel aus Russland. Seit dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine 2022, aber auch wieder mehr aus Kolumbien. Mehr als drei Millionen Tonnen waren es 2023. Gekauft wird die Kohle von deutschen Energieunternehmen: EnBW, Uniper, RWE und Steag. Und auch deutsche Banken und Versicherungen sind mit Anleihen, Aktien, Krediten und Garantien für Glencore an dem lukrativen Kohlegeschäft beteiligt.

Kohle aus La Guajira ist eine Stütze des bis 2030 geplanten Kohleausstiegs. Die Aktivisten aus Kolumbien haben deshalb klare Forderungen an die deutsche Regierung. So wie Carolina Matiz. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Centro de Investigación y Educación Popular (CINEP).

Carolina Matiz: »Deutschland sollte keine Kohle aus Kolumbien mehr kaufen, weil es die Menschenrechte der indigenen und afrokolumbianischen Gemeinden verletzt. Außerdem ist es widersprüchlich. Während gerade die Grüne Partei in Deutschland von Energiewende spricht, wird in Kolumbien eine ganze Region für den Energiebedarf in Deutschland geopfert. Und wenn schon Kohle aus Kolumbien importiert wird, dann sollten die Behörden und die Unternehmen auch darauf achten, dass das kürzlich beschlossene Lieferkettengesetz auch durchgesetzt und auch auf den Finanzsektor ausgeweitet wird.«

In der Mine El Cerrejón soll noch zehn Jahre lang, bis 2034, Kohle abgebaut werden

Aber nicht nur an kolumbianischer Kohle haben die deutsche Wirtschaft und Politik großes Interesse. Das Land in Südamerika gilt insgesamt als wichtiger Partner bei der Energiewende. Vergangenes Jahr wurde von beiden Ländern eine sogenannte »Partnerschaft für Klima und eine gerechte Energiewende« geschlossen. Erneuerbare Energien sollen ausgebaut werden, beispielsweise die Produktion von grünem Wasserstoff. Dieser gilt in Deutschland als Schlüsseltechnologie der Energiewende.

Matthias Schreiber vom Verein kolko sagt, diese Klimapartnerschaft dürfe sich jedoch nicht nur auf die Produktion und den Export erneuerbarer Energien beschränken. Er fordert, es solle im Rahmen der deutsch-kolumbianischen Klimaallianz ein Fonds zur Finanzierung des Strukturwandels in den Kohleabbauregionen in Kolumbien eingerichtet werden. Und nimmt auch die deutschen Unternehmen in die Pflicht.

Matthias Schreiber: »Wir fordern die Bundesregierung auf auch, deutsche Kohleunternehmen, die ja jahrzehntelang Kohle angekauft haben, ihren Beitrag zu leisten. Aus so einem Fonds könnten beispielsweise Strukturwandelprojekte für vom Bergbau direkt betroffene Gemeinden finanziert werden. Denn in der Region selber haben viele Gemeinden sich schon sehr lange Gedanken gemacht, wie denn Strukturwandel in ihrer Region aussehen könnte. Und sie haben sehr konkrete Vorschläge dafür. Aber was es eben braucht, sind Finanzierungsmechanismen für diese Projekte. Und diese Klimapartnerschaft könnte dafür eine gute Gelegenheit sein, auch wieder Gutmachung aus Deutschland für den jahrzehntelangen Ankauf von Steinkohle aus Kolumbien zu leisten.

Sprecher: In der Mine El Cerrejón soll noch zehn Jahre lang Kohle abgebaut werden, bis 2034. Das Ende der Mine wird das Leben der Menschen in der Region dann noch einmal einschneidend verändern. Greylis Pinto sagt, sie wolle dann wieder zurück gehen an den Ort, den sie wegen des Kohleabbaus vor über zehn Jahren verlassen musste:

Greylis Pinto: »Wir wollen wieder zurück zu den früheren Umständen. Wir wollen das tun, was wir vorher gemacht haben. Als es die Mine noch nicht gab, lebten die Leute von ihrer Ernte, von ihren Tieren. Das wäre das sinnvollste: Wieder fruchtbares Land haben, um unsere Lebensmittel auszusähen und zu ernten. Das wäre eine gute Alternative, nachdem die Bergbaufirma abgezogen ist.«

David Graaff lebt seit mehr als zehn Jahren in Kolumbien. Er berichtet von dort als freier Journalist.

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