Blauhelm-Friedensfachkraft mit Schulkindern in einem Vertriebenenlager
Friedensfachkraft der Vereinten Nationen im Rahmen der Hybridoperation der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen in Darfur (UNAMID) arbeitet mit Schulkindern im Vertriebenenlager El Sereif in Darfur | Foto: Albert González Farran | CC BY-NC-ND 3.0

Ausgebootet

Was der Krieg im Sudan mit Frauen­rechten zu tun hat

Als sich der Sudan erfolgreich gegen den Diktator Al-Bashir erhob, standen Frauen in vorderster Reihe. Beim aktuellen Krieg zwischen zwei sudanesischen Militärfraktionen stehen die zivilen Kräfte eher im Abseits. Beides spiegelt die Rolle von Frauen in den Konflikten der Republik Sudan.

von Antonia Vangelista

20.08.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 398
Teil des Dossiers Krieger*innen & Friedensengel

Manal Alawal kennt den Krieg. Die 54-jährige Lehrerin hat in der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung – Nord (SPLM-N) gekämpft, einer Rebell*innengruppe, die in den Grenzregionen Blue Nile und South Kordofan zum heutigen Südsudan aktiv war. Über diese Zeit wollten wir mit ihr sprechen: welche Rolle hatte sie bei der SPLM-N und mit welchen Rollenbildern wurde sie als Mitglied einer Miliz und später als Demokratie- und Frauenrechtsaktivistin konfrontiert. Aber mitten in der Recherche fallen am 15. April 2023 die ersten Schüsse in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Seither kämpft die sudanesische Armee unter de facto Staatsoberhaupt Abdel Fattah al-Burhan gegen die Miliz Rapid Support Forces (RSF) unter Mohamed Hamdan Dagalo, bekannt als Hemedti (iz3w 397).

Anfang Juni flieht Alawal mit ihrem Mann und vier Kindern zu Verwandten rund fünfzig Kilometer südlich der Hauptstadt. Das Haus ist überfüllt, auf ihren Sprachnachrichten dröhnen Bomber im Hintergrund. Alawal schickt ein Video, das zeigt, wie Kampfflugzeuge die Häuser von Zivilist*innen bombardieren. Sie ist verzweifelt; an ein ausführliches Interview ist nicht zu denken.

Frauen, die auf der Flucht sind, als Opfer eines erbarmungslosen Krieges zwischen zwei Männern und deren Armeen, das sind dominante Motive, wenn heute über den Sudan berichtet wird: Geschichten über kämpfende Männer und Frauen als Flüchtende zwischen den Fronten. Dabei wird die entscheidende Rolle von Frauen beim Sturz von Langzeitdiktator Omar Al-Baschir im Frühjahr 2019 vergessen. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der systematischen Gewalt gegen Frauen im Sudan und ihrer Marginalisierung im jetzt gescheiterten Demokratisierungsprozess?

Ausschluss von Frauen …

Bilder von sudanesischen Frauen, die mit erhobener Hand die Demokratie einfordern, gingen 2019 um die Welt. Mehr als die Hälfte der Demonstrierenden, die Diktator Al-Baschir zu Fall brachten, waren Frauen. Häufig saßen sie bei Sitzblockaden in der vordersten Reihe oder führten die Proteste mit ihren Gesängen an.

Diktator Al-Baschir löste die Frauenrechts­gruppe im selben Jahr auf

Diese aktive Rolle hat Tradition: Schon während der britischen Kolonialzeit entstand eine sudanesische Frauenbewegung. Nach der Unabhängigkeit wurde 1952 die Sudanese Women’s Union mit panafrikanischer Ausrichtung gegründet. Sie organisierte Frauen aus zahlreichen Ethnien, Regionen, Religionen und sozialen Milieus. Der Diktator Al-Baschir, der durch einen Putsch 1989 an die Macht kam, löste die Frauenrechtsgruppe im selben Jahr auf – aber sie arbeitete verdeckt weiter. Nicht zuletzt deshalb waren Frauen bei den Protesten besonders aktiv. Auch Manal Alawal war bereits vor dem Sturz von Al-Baschir in Graswurzelgruppen organisiert. Sie repräsentierte innerhalb der Protestbewegung die SPLM-N, die inzwischen eine Partei geworden war, und war unter anderem die Beauftragte für Gender.

Bei diesen Protesten ging es vielen Frauenrechtlerinnen von Anfang an um den Sturz eines misogynen Systems und um Veränderungen, die Frauen Mitsprache und Schutz vor Gewalt zusichern sollten. Beides ist untrennbar mit einem demokratischen Sudan verbunden. Doch nach dem Sturz von Al-Baschir verblieb die Dominanz des Militärischen in der Politik, und mit ihr die Gewalt gegen Frauen und deren Marginalisierung.

Schlussendlich setzte das Militär den Präsidenten im April 2019 ab und erklärte sich zur neuen Führung des Landes. Schon Al-Baschir war durch einen Militärputsch an die Macht gekommen. Die Bevölkerung nahm nicht hin, dass nur der alte Militär durch den nächsten ersetzt wird und errichtete ein Protestcamp vor dem Sitz des Militärs.

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Die Miliz RSF, eine der heutigen Konfliktparteien, löste das Protestcamp gewaltsam auf. Bei diesem »Massaker von Khartum« wurden zahlreiche zivile Personen erschossen, rund 70 Frauen und auch Männer vergewaltigt. Erst als die Afrikanische Union eingriff, einigten sich zivile Kräfte und das Militär auf eine geteilte Übergangsregierung für drei Jahre. Danach sollte die Macht endgültig in zivile Hände übergehen.

Bei den Gesprächen zwischen Protestierenden und dem Militär im August 2019 war nur eine einzige Frau beteiligt, Mervat Hamadaneel. Verschiedene Frauenrechtlerinnen sagen der Koalition der Protestgruppen im Sudan, den Forces of Freedom and Change, eine »patriarchale Mentalität« nach*. Frauen protestierten dagegen mit Slogans wie »Ihr dankt uns bei den Demonstrationen und vergesst uns bei den Verhandlungen«. In der Übergangsregierung erhielten Frauen 2019 weniger als ein Viertel der Posten. Auch thematisierte keine der Vereinbarungen der Übergangsregierung die strafrechtliche Verfolgung von Verantwortlichen für sexuelle Übergriffe.

… und ihre Selbstermächtigung

Eiman Abudamir hat den demokratischen Übergangsprozess als Frauenrechts- und Friedensaktivistin begleitet. Dabei war sie mit Manal Alawal in Kontakt, die nun ihre Mitgliedschaft in einer Miliz gegen einen Parteiausweis eingetauscht hatte. Denn ihre Gruppe, SPLM-N, wurde im Zuge des Demokratisierungsprozesses zur Partei. Sie war eine der Widerstandsgruppen, die im Herbst 2020 mit Militär- und Regierungsvertretern das Juba Peace Agreement unterzeichneten.

Abudamir kritisiert, dass bei der Regierungsdelegation keine einzige Frau vertreten war: »Wie können sie die Friedensfrage diskutieren, als ob Frauen und ihre Rechte dafür keine Rolle spielen?« Kurzerhand formierte sich dank ihrer Initiative eine eigene Delegation mit anderen Aktivist*innen, um in Juba eine gegenderte Perspektive einzubringen. Ihr zufolge habe die Übergangsregierung Frauen zu sehr als Opfer dargestellt und als Entscheidungsträgerinnen unterschätzt. »Die moderne Geschichte des Sudan ist übersät mit Friedensabkommen, die gescheitert sind, weil sie Frauen ausgeschlossen haben«, mahnt Hala Al-Karib von der strategischen Initiative für Frauen am Horn von Afrika (SIHA) in einem Briefing des UN Sicherheitsrates. Rund einen Monat später putscht das sudanesische Militär unter Al-Burhan gegen die zivile Übergangsregierung. Wieder flammen starke Proteste auf, wieder werden sie zum Teil blutig niedergeschlagen. Al-Burhan und der zivile Übergangspräsident Abdalla Hamdok einigen sich, der Ministerpräsident kehrt zurück. Doch nach wenigen Monaten räumt er endgültig seinen Posten und das Militär übernimmt faktisch die Regierung.

»Die Selbst­gefällig­keit der zivilen Politiker hat die Milizen bestärkt«

Diese Dynamik sieht Hala Al-Karib als Ursache für den Krieg im Sudan: »Die Selbstgefälligkeit der zivilen Politiker*innen, die Teil der Regierung sein wollten, hat die Milizen und ihre Gewalt sehr bestärkt«. So werden brutale Milizen wie die RSF hofiert, die systematisch sexualisierte Gewalt ausüben. Ihre Methoden, so Al-Karib, gleichen sich von der Gründungszeit in den 2000er-Jahren im blutigen Darfur-Konflikt über die Niederschlagung der Protestbewegung 2019 bis zum jetzigen Krieg. Zuhauf kursieren Videos und Posts von vergewaltigenden RSF-Soldaten, insbesondere in der Region Darfur, wo, wie in der Hauptstadt Khartum, intensiv gekämpft wird. Betroffen sind Frauen und Menschen ethnischer Minderheiten. Die RSF dringen in private Wohnungen vor, um von Hausdächern aus Stützpunkte der Armee zu beschießen. Laut Anette Hoffmann vom niederländischen Clingendael Institute ist diese Kampfstrategie zulasten der Zivilbevölkerung kein Zufall*: Die Frauen wurden den machthungrigen Militärführern in der Vergangenheit so gefährlich, dass sie sie nun mit aller Gewalt zum Schweigen bringen wollen. Seit Mitte April 2023 ist die Zahl der Personen, die aufgrund von sexualisierter Gewalt Hilfe benötigen, um über eine Million auf 4,2 Millionen gestiegen*.

Hala Al-Karib kritisiert, auch ausländische Politiker*innen hätten versäumt, klare Positionierung gegen die Gewalt an Frauen einzunehmen: »Im Ausland hat man die große Rolle von Frauen in der sudanesischen Revolution gefeiert. Aber niemand hat sich für den Preis interessiert, den die Frauen dafür zahlen mussten«. Hoffmann sieht das ähnlich: Nach dem Militärcoup 2021 habe die internationale Gemeinschaft zwar Hilfszahlungen eingestellt, aber die Generäle schnell wieder als Verhandlungspartner akzeptiert. Und in den aktuellen Friedensverhandlungen, die die USA und Saudi-Arabien mit den Militärführern im saudi-arabischen Jeddah abhalten, sei auf sudanesischer Seite keine einzige Frau vertreten, so Hoffmann.

Alawal gehört nun zu den 750.000 Menschen*, die inzwischen den Sudan verlassen haben. »Nie konnte ich mir vorstellen, einmal so eine Entscheidung treffen zu müssen«, schreibt sie uns. Für die Flucht in den Südsudan hat die Familie ihr gesamtes Geld aufgebraucht und kaum etwas mitgenommen. Auch Al-Karib lebt inzwischen in Uganda. Sie sagt: »Die Sudanes*innen sind sehr widerstandsfähig. Aber auch ihr im Ausland müsst euch für uns einsetzen. Hört nicht auf, laut zu sein gegen die Gewalt im Sudan«.

Antonia Vangelista und Lisa Westhäußer recherchieren im Rahmen eines Stipendiums des Journalistinnenbundes über Frauen in Konflikten auf dem afrikanischen Kontinent.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 398 Heft bestellen
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