Pro-Choice Protest in Los Angeles: Schild zeigt traditionell gekleidete Frau mit Plakat: "This is how it starts" in Anspielung auf Roman von Margaret Atwood.
Es endet nicht bei Roe. Schild mit Anspielung auf Margaret Atwoods dystopischen Roman »Der Report der Magd«, Pro-Choice Protest in Los Angeles, Mai 2022 | Foto: Cory Doctorow | CC BY-SA 2.0

Dein Bauch gehört mir

Der patriar­chale Kern des Autori­tarismus

In den USA findet ein massiver Angriff auf Frauen- und queere Rechte statt. Das ist kein Minderheiten­problem, sondern der logische Anfang eines autoritären Umbaus der Gesellschaft.

von Larissa Schober

10.05.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 396
Teil des Dossiers Autoritarismus

Es war ein politisches Erdbeben, als der Oberste Gerichtshof der USA am 24. Juni 2022 Roe vs. Wade aufhob. Das Grundsatz­urteil von 1973 garantierte bis dato das Recht auf Abtreibung. Für viele war diese Entscheidung ein Schock, obwohl die Entwicklung absehbar war. Reproduktive Rechte sind seit den 1980er-Jahren ein zentrales Agitations­thema der Rechten in den USA. Schon damals begann die religiöse Rechte mit dem Aufbau eines Netzwerks an Jurist*innen. Denn ihre Positionen stellen eine Minderheiten­meinung dar, auch in Bezug auf Abtreibung. Wahlen waren damit nicht zu gewinnen, weshalb die ultra­konservativen Vorstellungen von Gesellschaft über gerichtliche Ent­scheidungen durchgesetzt werden sollten.

Über 40 Jahre nach der Gründung der Federalist Society, der wichtigsten juristischen Organisation der Rechten, muss man dieser Strategie Erfolg attestieren. Die Republikaner kämpften mit allen Mitteln um die Dominanz im Obersten Gerichtshof – dessen Richter*innen auf Lebenszeit ernannt werden. Der ehemalige Präsident Donald Trump besetzte gleich drei Posten neu – mit Beratung der Federalist Society. Die Mehrheit der aktuellen Richter*innen am Obersten Gerichts­hof waren oder sind Mitglieder der Federalist Society.

Fürsorg­liche Belager­ung

Diese Entwicklungen wurden zu lange nicht ernst genommen. Erkämpfte Fortschritte, besonders im Bereich Frauen- und queerer Rechte, schienen unumkehrbar. Das Ende von Roe zeigt, dass dem nicht so ist. Und der Backlash geht weiter. In konservativ regierten Staaten sind Gesetze in Kraft getreten, die Abtreibung verbieten oder extrem erschweren. Mehrere Staaten haben Regelungen erlassen, die die Beihilfe zu Abtreibung kriminalisieren. Mit Idaho versucht der erste Staat, den Zugang zu Abtreibung in anderen Staaten zu unterbinden: Reisen von Minder­jährigen zum Zwecke einer Abtreibung sind strafbar, wenn diese ohne Zustim­mung der Eltern stattfinden.

Es ist kein Zufall, dass es zuerst Frauen und Queers trifft

Anfang April setzte ein Gericht die Zulassung des Medikaments Mifepriston aus, das für den medika­mentösen Schwanger­schafts­abbruch verwendet wird. Mittlerweile ist es mit Ein­schränkungen wieder zugelassen, darf aber etwa nicht per Post verschickt werden. Für viele ungewollt Schwangere in abgelegenen Regionen oder Staaten, die restriktive Gesetze erlassen hatten, war die Pille per Post der letzte Zugang zu einem sicheren Schwanger­schafts­abbruch. Das sind nur Beispiele dafür, wie Ab­treibungen in den USA zunehmend krimina­lisiert werden. In einigen Staaten gibt es Über­legungen, einen Abbruch als Mord zu behandeln und zu bestrafen.

Die Journalistin Annika Brockschmidt, Kennerin der religiösen Rechten, kommentiert die neuesten Entwicklungen auf Twitter: «Das Ende von Roe war erst der Anfang. Die Abschaffung von Abtreibungs- und Fehlgeburts­medikation steht noch auf der christlich-nationalistischen Wunschliste genau wie Verhütungs­mittel und künstliche Befruchtung”.

Zeitgleich findet in den USA ein massiver Angriff auf die Rechte von queeren und trans Personen statt. In vielen Staaten wird Sexual­aufklärung zu queeren Themen krimina­lisiert und trans Personen sollen ihren Geschlechts­eintrag nicht mehr ändern können. Sogenannte Gender-Affirming Care (medizinische Maßnahmen, die die Geschlechts­identität einer Person unterstützen und die nicht nur von trans Personen in Anspruch genommen werden) wird aktuell in 15 Bundes­staaten massiv eingeschränkt. In Missouri ist sie verboten, nur, wenn nach langer Therapie andere ‚Vorerkrankungen‘ wie Depression oder Autismus ausgeschlossen werden können oder behandelt wurden, besteht eine Chance auf Zugang. Das ist perfide, denn Trans­geschlechtlichkeit wird dadurch zur psychischen Erkrankung und es brechen sich ableistische Vorstellung Bahn: Autismus etwa ist keine Krankheit und kann daher weder behandelt noch geheilt werden. Der drastische Gesetzentwurf in Bezug auf Jugendliche wurde gerade in Florida beschlossen: Dort kann der Staat nun Eltern das Sorgerecht entziehen, wenn sie ihr Kind bei einer Transition unterstützen.

Dann ist der Mann ein Mann

An den Entwicklungen in den USA zeigt sich exemplarisch der autoritäre Turn der letzten Jahre. Dabei ist es kein Zufall, dass es zuerst Frauen und Queers trifft. Vielmehr ist dies ein wieder­kehrendes Muster in autori­tären Gesell­schaften. Von China bis Iran gehen sie einher mit konservativen Geschlechter- und Familienbildern. Häufig durchziehen diese dabei sämtliche Politikfelder. Der ungarische Minister­präsident Viktor Orban hat aus anti­feministischen Vorstellungen ein ganzes autoritäres Regierungs­programm gebaut: ‚Gender‘ wurde zum zentralen Aspekt eines Bedrohungs­szenarios, gegenüber dem Orban Ungarns ‚ursprüngliche‘ und ‚christliche‘ Werte gegen ‚Globalismus‘ verteidigt. Der russische Präsident Wladimir Putin wiederum verband in einer Rede anlässlich der Annexion ukrainischer Gebiete am 30. September 2022 die Emanzi­pation von queeren Menschen mit der kriegerischen Außenpolitik Russlands: Er bezeichnete geschlechts­angleichende Eingriffe als Perversionen, gegen die sich Russland und sein Volk zur Wehr setzen müssten und beschwor einen apokalyptischen Endkampf des ‚heiligen‘ Russlands gegen die westlichen Eliten.

Die autoritäre Persönlichkeit will die Geschlechts­identität ‚rein‘ halten

Diese Fixierung ist nicht willkürlich. Autoritäres Denken ist immer patriarchal. Im Autoritarismus ist der Aspekt der Freiwilligkeit zentral. Der Zwang, sich unterzuordnen wird nicht als solcher empfunden, da er durch eine emotionale Beziehung ergänzt wird. Die Autorität, der man sich unterordnet, wird bewundert, gleichzeitig übt man selbst gerne Macht aus. Autoritarismus vereinfacht Gesellschaft und ist deshalb attraktiv. Die Verein­fachung funktioniert durch stark emotional besetzte Unter- und Überordnungs­verhältnisse, die die Weltsicht autoritärer Persönlichkeiten prägen. Ein binäres Geschlechter­verhältnis, in dem es eine klare Hierarchie zwischen Mann und Frau gibt, ist dabei das autoritäre Wunsch­verhältnis par excellence. Zudem ist es jene Hierarchie, die uns allen am nächsten ist – sein Geschlecht trägt man immer und überall mit sich herum, ob man möchte oder nicht.

Bereits in den Studien zum Autoritären Charakter, die Theodor W. Adorno, Else Frenkel-Brunswik, Daniel J. Levinson und R. Nevitt Sanford in den 1940er-Jahren durchführten, spielten Sexualität und Geschlechter­verhältnisse in der Erklärung des autoritären Charakters eine zentrale Rolle. Frenkel-Brunswik betonte die für den autoritären Charakter typische Vorstellung von idealer Männlichkeit und Weiblichkeit sowie die zwanghafte Verleugnung sämtlicher davon abweichender Ausprägungen von Geschlecht. Autoritäre Persönlich­keiten verleugnen jene Züge ihrer Identität, die konventionell dem anderen Geschlecht zugeschrieben werden. Sie wollen Geschlechts­identität ‚rein‘ halten. Vor allem bei männlichen Studien­teilnehmern zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen autoritären Charakter­strukturen und hetero­sexistischen Männlichkeitsidealen.

Das autoritär-binäre Geschlechter­verhältnis

Auch wenn die Unterordnung der autoritären Persönlichkeit freiwillig ist, so ist sie mit Belastungen verbunden. Die Macht über andere wiegt einen Teil dieser Kosten auf: Männer wurden für ihre Unterwerfung lange durch die Macht über Frauen ‚entschädigt‘, in einer Hierarchie mit klarer Rollen­aufteilung und Regeln. Die Emanzipations­bewegungen der letzten Jahrzehnte haben dieses Machtgefälle vermindert. Die Existenz von queeren und besonders von trans Menschen stellt die autoritären Kategorien des binären Geschlechter­verhältnisses noch radikaler in Frage. Geschlecht und Patriarchat waren schon immer Gewalt­verhältnisse, die auch jene trafen, die davon auf die eine oder andere Art profitierten. Autoritäre Persönlichkeiten haben sich aus ihrer Sicht an die Regeln dieser Gewalt­verhältnisse gehalten. In der Aggression gegen Frauen und Queers bricht sich nun der Hass auf jene Bahn, die diese Zumutung verweigern und angeblich ‚machen, was sie wollen‘.

Die Vorstellung einer ‚reinen‘ Geschlechts­identität ist eine Chimäre: Auch autoritäre Persönlichkeiten haben Anteile, die nicht mit ihren eng gefassten hetero­sexistischen Vorstellungen von Geschlecht übereinstimmen. Diese können sie jedoch nicht zulassen und allzu oft tauchen die abgewehrten Wünsche in der Projektion auf Andere wieder auf und werden stellvertretend in ihnen verfolgt. So werden nicht die Konventionen, die die Wünsche verbieten, bekämpft, sondern die Wünsche selbst – und mit ihnen die Stell­vertreter*innen.

Der Frontalangriff auf reproduktive Rechte in den USA ist der Versuch, einen Teil der ‚verlorenen‘ Macht zurück­zuerlangen, indem die Selbst­bestimmung von Frauen massiv beschnitten wird. Die Angriffe auf trans Personen zielen hingegen nicht auf Kontrolle, sondern auf Auslöschung. Im autoritär-binären Geschlechter­verhältnis werden Frauen zumindest für die Reproduktion ‚gebraucht‘. Alle anderen Geschlechter haben im autoritären Verständnis nicht nur keinen Platz, sie sind vielmehr ein Angriff auf die Grundfesten der autoritären Weltsicht. Und dort darf nicht sein, was nicht sein kann. Dabei geht es nicht um religiöse Gefühle oder Identitätspolitik, sondern um einen autoritären Umbau der Gesellschaft. Dieser beginnt bei den Rechten von Frauen und Queers, aber er hört dort noch lange nicht auf.

Larissa Schober ist Mitarbeiterin im iz3w.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 396 Heft bestellen
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