Kleinbatterie oder Akku mit  Graphit
»Finished in China«. Die Anode dieses Akkus besteht aus Graphit | Raimond Spekking | Wikimedia CC BY-SA 4.0

Das Nadelöhr

Chinas Rohstoffregime am Beispiel Graphit

Unter den sieben wichtigsten Mineralien für den Bau eines Elektroautos führt Graphit eher ein Schattendasein. Doch für die Umsetzung einer Energiewende lauern hier Unwägbarkeiten. Deren Ursprung ist wie so oft China, das sowohl als Anbieter als auch als Käufer erheblichen Einfluss auf die Preise von und die Versorgung mit Graphit hat. Die Volksrepublik ist der größte Markt und auch der größte Produzent.

von Uwe Hoering

15.10.2022
Veröffentlicht im iz3w-Heft 393
Teil des Dossiers Rohstoffe

Graphit ist kein verbreitetes Gesprächsthema, aber einen Bleistift verwendet jede*r. Anders als der Name vermuten lässt, besteht dessen Mine aus Graphit. Neben seiner Bedeutung für Schrift und Kunst wird das Mineral, eine Form von Kohlenstoff, wegen seiner Eigenschaften wie hohe Leit- und Gleitfähigkeit vorwiegend in der Industrie verwendet. Eine Renaissance erlebt es nun mit der E-Mobilität und dem steigenden Bedarf, Energie zu speichern. An Graphit führt da bislang kein Weg vorbei. Praktisch alle Lithium-Ionen-Batterien verwenden entweder natürliches oder synthetisch hergestelltes Graphit. Die Nachfrage danach wird in den kommenden zwanzig Jahren schätzungsweise um das 25-fache der gegenwärtigen weltweiten Produktion wachsen.

China dominiert den Graphit-Abbau …

Es gibt zwar weltweit ausreichend Lagerstätten von natürlichem Graphit. Aber der Abbau des grauschwarzen Minerals erfolgt zu Zweidritteln in China, welches auch der größte Exporteur ist. Den Weg zum dominanten Player haben Mensch und Umwelt in der Volksrepublik teuer bezahlt. Mit simpler Bergbautechnologie, niedrigen Löhnen und geringen Umweltvorschriften trug China die sozialen und ökologischen Kosten der Produktion für die Industrieländer: Ortschaften und Vegetation bedeckt mit schwarzem Staub, Abraumhalden, Säure im Wasser, Gesundheitsschäden bei den Arbeiter*innen und in der Bevölkerung. Nach mehreren Skandalen und Protesten der betroffenen Bevölkerung wurden vor zehn Jahren vorübergehend einige Bergwerke geschlossen, offenbar ohne große Verbesserungen. Und weiterhin wurde das reichlich verfügbare Graphit zu Dumpingpreisen auf dem Weltmarkt verschleudert.

Auch die ersten Stufen der Verarbeitung und die Veredelung finden nahezu ausschließlich in China statt. Sie sind sehr energieintensiv, was vor allem den Einsatz von Kohle bedeutet. Verarbeitet wird auch Graphit aus anderen Abbauregionen, sowie Manganerz, beispielsweise aus Südafrika, Lithium aus Bergwerken wie in Australien und Kobalt aus der Demokratischen Republik Kongo, dem Rohstoffgiganten in Zentralafrika (Seite D12-13). Die Batterieproduktion selbst findet dann ebenfalls teils in China statt, vor allem aber in Japan und Südkorea, durch Samsung SDI, LG Chem und Panasonic, drei der wichtigsten Produzenten von Lithium-Ionen-Batterien.

»Das ist eine Menge Graphit, die es für E-Mobilität braucht.«

Inzwischen hat die exponentiell steigende Nachfrage nach Batterien und damit nach Graphit Investor*innen geweckt. Die kanadische Nouveau Monde Graphite Inc., eines der wenigen nicht-chinesischen Bergbauunternehmen der Graphit-Extraktion, sucht Risikokapital für aktuelle Expansionspläne bei Abbau und Verarbeitung. China baut seine Position ebenfalls weiter aus: Die China Minmetals beispielsweise, ein mächtiger staatlicher Mischkonzern, errichtet eine neue Verarbeitungsanlage in der Provinz Heilongjiang im Nordosten Chinas, einem der Schwerpunkte für die Graphitproduktion. Die neue Anlage ist Teil einer integrierten Verarbeitungskette für das Mineral aus der Yunshan-Mine, eine der größten Lagerstätten in Asien. Zudem gehen chinesische Konzerne auf Einkaufstour: DH Mining will als Startkapital 30 Millionen US-Dollar in Mosambiks nördlicher Provinz Niassa in die Erkundung von Lagerstätten investieren, sofern ihr nicht lokale Rebellengruppen, die seit einiger Zeit in Nordmosambik gegen die Regierung kämpfen, einen Strich durch die Rechnung machen.

… und die synthetische Produktion

Dabei ist die Erschließung neuer Gruben zeitaufwendig. Eric Desaulniers, Generaldirektor von Nouveau Monde Graphite, warnt, dass der Ausbau der Produktion von Lithium-Ionen-Batterien viel zu schnell gehe. Ein möglicher Ausweg ist synthetisches Graphit, das durch thermochemische Umwandlung von Kohlenstoff unter extrem hohen Temperaturen produziert wird, beispielsweise aus Nebenprodukten der Erdölraffination. 2018 hatte es bereits einen Marktanteil von über 55 Prozent gegenüber natürlichem Graphit mit rund 35 Prozent, die übrigen etwa zehn Prozent stammen aus Recycling.

Die synthetische Herstellung ist allerdings teuer und energieaufwendig. Studien zufolge, die das Öko-Institut Freiburg zitiert, sind die Treibhausgas-Emissionen über die gesamte Produktionskette hinweg betrachtet zwar bei natürlichem Graphit ähnlich hoch, doch die steigenden Energiekosten würden sich beim synthetischen Material stärker im Preis niederschlagen. Das schmerzt die Hersteller, weil Batterien 20 bis 40 Prozent des Preises eines Elektrofahrzeugs ausmachen. Und es gibt einen möglichen Imageschaden: Umweltbewussten Käuferschichten könnte es missfallen, dass ihre Karossen mit massiven Umweltkosten bei der Ressourcengewinnung und -verarbeitung erkauft werden. Um den ‚grünen’ Anspruch von E-Autos aufrechtzuerhalten, wären weitere Anstrengungen beim Rohmaterial erforderlich.

Zudem stellt China inzwischen je nach Quelle die Hälfte oder drei Viertel allen synthetischen Graphits her. Es dominiert, ja monopolisiert geradezu die Produktionskette der Batterieherstellung, zumindest in entscheidenden Verarbeitungsstufen. Das Mercator Institute for China Studies (MERICS) stellt denn auch in einem Post über Chinas globale Rolle bei der Sicherung von Rohstoffen für Batterien neidvoll fest: Chinas internationale Position bei Rohstoffen »ist das Ergebnis der Bemühungen, die eigenen strategischen Schwachstellen zu beseitigen; und einer vorausschauenden Agenda, die den Bedarf an sauberer Energie bereits einige Jahre vor dem Aufkommen dieses Themas in den USA oder Europa antizipierte«.

Längst hat die Regierung die Lehren aus den heimischen Umweltproblemen und aus den Vorwürfen, den Klimawandel voranzutreiben, gezogen. Dagegen hat sie den Aufbau einer »ökologischen Zivilisation« angekündigt. So braucht das Land inzwischen seine Ressourcen auch zunehmend selbst, beispielsweise für den Ausbau der eigenen E-Mobilität. Gleichzeitig arbeitet die chinesische Wirtschaft weiter an der Eroberung des Weltmarkts für Energiespeicherung.

Europa und USA im Hinter­treffen

Die europäische und US-amerikanische E-Mobilitätspolitik, beispielsweise der Strategic Action Plan on Batteries im Rahmen des Green Deal der EU-Kommission, zäumt die Produktion vom anderen Ende auf. Überall entstehen Fabriken für E-Autos wie die Tesla-Fabrik in Brandenburg und Fabrikationen für die Herstellung von Batterien wie bei Magdeburg. »Wenn man nachrechnet und alle Ankündigungen der letzten sechs Monate zählt, ist das eine Menge Graphit, die es braucht«, rechnet Eric Desaulniers von Nouveau Monde Graphite seinen Unternehmens-Kollegen ihre Schwachstelle vor. An den Versorgungsquellen für den Bau dieser Batterien sitzt China und kontrolliert mit seinen Nachbarn in Asien die Weichen für die weitere Produktion. Die alten extraktivistischen Machtverhältnisse, nach denen die postkolonialen Länder des Globalen Südens die Rohstoffe für die gewinnträchtigen Industrien im Norden lieferten, verschieben sich hier.

Insbesondere im Verhältnis zu den USA sind beim Konflikt um die Kontrolle über Graphit die Grenzen zu Präsident Trumps Handelskrieg, der unter Präsident Joe Biden fortgesetzt wird, fließend. China hat Exportbeschränkungen und eine Exportsteuer verhängt, die USA hatten Einfuhrzölle erhoben. Noch beklagen sich US-amerikanische Batteriehersteller, die sich gerne von China abkoppeln und eine einheimische Produktion von der Grube bis zur Batterie aufbauen wollen, heftig über Einfuhrbeschränkungen, mittelfristig könnten sie ihnen aber auch helfen. So wächst der Druck, die Graphit- und Batterieversorgung breiter aufzustellen.

Dabei ist der Konflikt um strategische Rohstoffe wie Graphit längst über die Ebene von Handelsstreitigkeiten hinaus eskaliert. Präsident Joe Biden unterzeichnete im Februar 2021 eine Anweisung, in der Graphit als eins von vier Mineralien identifiziert wurde, die unentbehrlich seien für die »nationale Sicherheit, die Außenpolitik und die Wirtschaft«. Beijing kontert mit dem Versuch, ein Kartell der Rohstoffproduzenten zu schmieden, wie es die Blockfreien Staaten in den 1970er-Jahren zeitweise erfolgreich aufrechterhalten konnten. Der Lernprozess, auf diese neuen globalen Machtverhältnisse zu reagieren und den Rückstand aufzuholen, wird die USA und Europa erhebliche Anstrengungen kosten. Es wird nicht einfach sein, die Abhängigkeit von China in diesem Bereich allein mit wirtschafts- und handelspolitischen Maßnahmen zu verringern. Dem Verhalten der Länder des Globalen Südens wird dabei eine Schlüsselrolle zukommen.

Uwe Hoering ist als freiberuflicher Journalist und Publizist für entwicklungspolitische Organisationen tätig. Er betreibt die Internetseite www.globe-spotting.de und den Blog »China, Geopolitik und der Globale Süden«

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 393 Heft bestellen
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