»Für mich ist ein Berg­werk mit der Land­schaft nicht vereinbar«

Indigene verstehen die Natur besser als Kolonisator*innen

Audiobeitrag von Meike Bischoff

28.08.2023
Teil des Dossiers Rohstoffe

Zwei Indigene Aktivist*innen aus Sápmi, dem Land der Sámi in Skandinavien, beschreiben, wie sie die zunehmende Verminung ihrer Gemeinden erleben. Nun soll Graphit, einer der sieben wichtigsten Bestandteile für den Bau von Elektroautos, in Schweden abgebaut werden. Was bedeutet der Bau einer neuen Graphitmine für die nomadische Lebensweise der Rentierzüchter*innen in einem bereits vom Bergbau belasteten Gebiet?


Skript zum Audiobeitrag

Erstausstrahlung am 5. September 2023 im südnordfunk #112

Åsa  Larsson Blind: Wir als Indigene Bevölkerung haben nicht die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen oder auch nur zu beeinflussen. Was wir jetzt sehen mit dieser neuen Welle an Industrialisierung, ist das, was wir grünen Kolonialismus nennen. Es sind die gleichen Strukturen, die gleiche Unsichtbarmachung von Sami auf unseren eigenen Gebieten. In diesem Sinne ist es, ja, immer noch Kolonialismus.

Sprecherin: Åsa Larsson Blind kommt aus einer Rentierzüchter*innenfamilie aus Nordschweden und ist Vizepräsidentin des Sámi-Rates*. Sie beschreibt kurz die Gegend um Kiruna, der nördlichsten Stadt in Schweden.

Åsa Larsson Blind: In dieser Gegend wird unglaublich viel Bergbau betrieben, denn hier befindet sich ein staatliches Bergbauunternehmen, das seit über 100 Jahren in Kiruna Bergbau betreibt und eine riesige unterirdische Eisenmine ausbeutet*. Die Auswirkungen auf das Gebiet durch die Eisenmine sind deutlich sichtbar. Vor über einhundert Jahren wurde dieses Gebiet noch ausschließlich für die Rentierzucht genutzt. Und das wird es auch heute noch. Die Stadt Kiruna wurde vor über einhundert Jahren mitten in der Migrationsroute der Rentiere gegründet, ohne Rücksicht auf die betroffenen Gemeinden. Diese sind immer noch dort und betreiben auch immer noch Rentierzucht, aber natürlich mit schwerwiegenden Problemen.

Die Eingriffe, Beeinträchtigungen und Einbrüche durch die Bergbauaktivitäten sind enorm. Die Wasser- und Luftqualität leidet; außerdem emittiert solch eine Mine sehr viel Lärm, der Stress für die Tiere bedeutet. Zwei der Gemeinden der Rentierzüchter*innen befinden sich in der Umgebung der Stadt Kiruna, und es gibt noch weitere in der Gegend, die von dieser Industrie betroffen sind. Diese Familien und Gemeinschaften von Rentierzüchter*innen wurden im Laufe der Geschichte immer wieder gezwungen, Land für den Bergbau aufzugeben, und zwar soweit, dass die rote Linie in diesem Gebiet bereits überschritten ist.

Im Januar kam die große ‚Nachricht‘ über das Vorkommen seltener Mineralien in Kiruna heraus. Ich muss sagen, dass es keine wirkliche Neuigkeit ist, denn dies ist ein altes Vorkommen. Jeder und jede hier hatte davon gewusst. Das einzige, das neu sein könnte, ist der Anteil an seltenen Erden in diesem Vorkommen. Aber das es sich um Seltene Erden handelt, war bekannt. Und die Konsequenzen, die sich ergeben, wenn diese Ablagerungen abgebaut werden, sind ebenfalls bekannt.

Sprecherin: Nils Johanás Allas ist Rentierzüchter und Vorsitzender der samischen Gemeinde Talma in der Nähe von Kiruna, Schweden. Dort darf die australische Firma Talga Resources jetzt eine neue Graphitmine entstehen lassen. Für Nils Johanás kam das Okay der Gerichte für den Abbau im April diesen Jahres unerwartet.

Nils Johanás Allas: Ich war überrascht darüber, dass sie ein weiteres Bergwerk genehmigt haben. Das nimmt dort, wo jetzt dieses Bergwerk entstehen soll, viel Weideland für die Rentiere weg, es ist mittendrin im Winterweideland. Die Tiere brauchen Ruhe und Energie, um zu grasen und um durch den Winter zu kommen. Für mich ist das eine unglaubliche Enttäuschung, dass das Land- und Umweltgericht diese Bergwerk erlaubt hat.

Wenn da soviel menschliche Aktivität kommt wie in Esrange, wo sich ein Startplatz für Höhenforschungsraketen befindet, vermeiden die Tiere diese Gebiete und haben nicht die Ruhe dort zu fressen. Auch in Jukkasjärvi, das total touristisch ist, sieht man dass die Tiere  diese Gebiete meiden, und das wird jetzt auch beim Bergbau der Fall sein.

Die westliche Welt spricht von einer grünen Transition; für die Sámi ist es aber eine schwarze Transition, weil es so viele der Voraussetzungen wegnimmt, hier überhaupt zu überleben. Schon bei Windrädern wird immer gesagt, dass es eine grüne Transition ist, aber das ist es in Wirklichkeit nicht für die Sámi, weil die ebenfalls die Rentiere stören. Die Tiere werden zu minderwertigen Weiden vertrieben, wo auch Rotwild grast, und dort finden sie nicht genug zu fressen.

Sprecherin: Kannst du über die Geschichte der Kolonisierung von Sápmi, dem von Sámi bewohnten Gebiet, sprechen? Wie wird diese Kolonisierung bis heute fortgeführt mit der sogenannten »grünen Transition« – oder dem Ökokolonialismus?

Nils Johanás Allas: Als die Eisen- und Stahlproduktion kam, war das supergut für die Welt und für Schweden. In Kiruna haben sie Eisenerz gefördert, aber viele der Fischplätze und Wohnorte sind verschwunden und das war für die Sámi nicht gut. Vorher gab es dort Heringe. Das war keine grüne Transition, keine gründe Wende. Schweden war einfach nur daran interessiert, Stahl und Elektrizität zu produzieren. Auch die Kupferminen waren keine grüne Transition. Schweden wolle Kupfer und hat dort angefangen zu graben. Es gibt ganz viele alte Kupferminen. Laut den Schwed*innen ist es eine grüne Transition, in der Natur herumzubuddeln. Jetzt sind eben andere Minerale und Erdmetalle begehrt, in unserem Fall Graphit. Für uns ist es aber so, dass der Bergbau das ganze Land kaputtgräbt. Es fühlt sich so an, als hätte die Natur keinen Wert mehr.

Sprecherin: Es gibt ja durchaus auch Gesetzgebungen und internationale Konventionen, die Indigene Rechte schützen sollen. 1751 schlossen die Königreiche Dänemark-Norwegen und Schweden einen Grenzvertrag, der heute als »Sámi Magna Carta« bezeichnet wird, weil er ihnen – ihrem nomadischen Lebensstil entsprechend – jederzeit das Grenzübertrittsrecht gewährte. Schweden und Norwegen verhandeln seither immer wieder über neue Konventionen. Talma Sameby, die Gemeinde, in der du lebst, hat im Januar 2020 sogar Entschädigung vor Gericht erstritten. Wie stehen eure Chancen vor Gericht?

»Als die Sámi den Staat verklagt haben, hat Schweden ein unrecht­mäßiges Gesetz erlassen.«

Nils Johanás Allas: Die Chance, dass die samischen Rechte in Schweden überhaupt ernst genommen werden, ist sehr gering. Als die Sámi den Staat verklagt haben, hat Schweden ein unrechtmäßiges Gesetz erlassen. Das war ein Übergriff auf die Sámi. Wie ein Gewinn fühlt es sich nicht an. Gegen die Sámi macht Schweden was es will.

Sprecherin: Ich habe mit einem Umweltaktivisten aus Südschweden gesprochen und er hat in den zwölf Jahren, in denen er zur Schule ging, nie von den Sámi gehört. Dabei gibt es den Sámi-Rat und das Sámi-Parlament. Gibt es denn keine Repräsentation der Sámi in den Medien und in der nationalen Politik? Wie kann es sein, dass im eigenen Land soviel Unwissen über die Indigenen in Skandinavien herrscht?

Nils Johanás Allas: In der Schule lernen sie mehr über die Natives in den Amerikas als über die Indigenen in ihrem eigenen Land.

Sprecherin: Aus einer deutschen Perspektive ist Schweden ein sehr progressives Land, z.B. in Sachen Frauenrechte, Abtreibungen etc. Ich habe den Film Sameblod gesehen * Warum halten sich rassistische Stereotype und abwertende Begriffe bis heute? Gibt es denn keine Regierungsprogramme, um die Jugend aufzuklären oder so etwas?

Nils Johanás Allas: Da ist viel Rassismus in Nordschweden. In Südschweden oder in Stockholm findet man es witzig, dass es Sámi gibt. Und im Norden denkt man einfach, die Sámi sind im Weg. Die Schwed*innen denken, dass die Sámi die ganze Entwicklung stoppen, aber es zerstört eben unsere Kultur.

Sprecherin: Wie kann eine wirkliche grüne Transition aus deiner Sicht aussehen, ohne all das Land zu zerstören ?

Nils Johanás Allas: Das ist eine schwierige Frage. Ich sehe gar keine grüne Transition. Sie graben Bergwerke und bauen Windräder ohne unsere Einwilligung. Ich fühle mich aufgegeben und kann mir auch nicht vorstellen, dass eine grüne Transition passiert.

Sprecherin: Nach dem was ich gehört und gelesen habe, existieren gesetzliche Verpflichtung dazu, dass Bergbauunternehmen sich mit den Sámi und anderen lokalen Bevölkerungsteilen beraten muss. Es gibt also Dialoge. Aber die multinationalen Konzerne scheinen die Sorgen der lokalen Bevölkerung nicht zu hören. Wie würde eine Kooperation zwischen Unternehmen, lokaler Bevölkerung und den Sámi aussehen, wenn sie so durchgeführt werden würde, wie die internationalen Konventionen und das schwedische Bergbaugesetz es vorschreiben?

Nils Johanás Allas: Es soll nicht so aussehen wie die australischen Unternehmen es machen. Sie wollen Schulen für die Sámi bauen, aber die Sámi sollten ihnen eigentlich etwas beibringen. Die Unternehmen haben vorgeschlagen, ihnen alle Rentiere abzukaufen. Dann gibt es keine Kultur mehr, wenn alle Rentiere weg sind. Wir kennen hundert verschiedene Worte auf Sámi für Schnee. Der Schnee sieht anders aus, wenn die Rentiere darauf rumgetrampelt sind. Und er sieht anders aus, wenn die Rentiere darin gefressen haben. Im Schwedischen gibt es nur ein Wort für Schnee.

Sprecherin: Seit über 25 Jahren sind bereits Delegationen der Sámi im EU-Parlament zu Besuch. Dennoch gibt es bisher keine Ergebnisse. Und wir sprechen hier über Gebiete wie z.B. Gállok, wo ein Konzern Eisenerz abbauen möchte. Gállok ist aber als Weltkulturerbe von der UNESCO geschützt. Wie kann das sein, dass hier ein Gericht bereits eine Bohrgenehmigung erteilt hat?

Nils Johanás Allas: Nur ein paar hundert Meter von den Bergwerken, wo gegraben werden soll, befindet sich dieses Weltkulturerbe. Es reicht runter bis Bottenviken, bis zur Ostsee. Dem australischen Batteriekonzern Talga ist das egal. Wenn das Gebiet verunreinigt werden sollte, haben die Leute kein reines Trinkwasser mehr. Dieser Konzern spricht davon, dass es auf keinen Fall das Trinkwasser verunreinigen werde, aber wie können sie sich da so sicher sein? Es gibt Schreckensbilder, wo Bergwerke, die nicht mehr benutzt werden, giftige Substanzen entlassen.

Sprecherin: Bergbauunternehmen betonen gerne in ihren Pressestatements, dass es beides geben kann - ein Grube und nomadische Rentierhaltung. Aber nach dem du uns erzählt hast, dass die Tiere viel Ruhe brauchen, geht das wohl nicht zusammen. Kannst du für uns und unsere Hörer*innen die Landschaft beschreiben?

Nils Johanás Allas: Für mich ist ein Bergwerk dort mit der Landschaft nicht vereinbar. Es gibt einen Berg, den sie kaputtgraben wollen; es gibt Wald, Moore und viele Tannen. Dort ist superwenig Störung, wenig Zerstörung, für die Rentiere ist es bisher einfach perfekt. Und dann haben wir einige Meilen bis Esrange. Hinter Esrange wollen die Rentiere nicht sein, da ist so viel Aktivität, da halten sie sich dann fern.

Sprecherin: Wem gehört das Land?

Nils Johanás Allas: Den Leuten, die es über Generationen bewahren. Es ist ihres, und gehört ihren Kindern und Enkelkindern und ihren Urenkelkindern und den Generationen, die danach dort leben werden. Es ist ihre Schuldigkeit und ihre Verantwortung, die Natur zu bewahren.

Sprecherin: Ich habe Videos von Māori in Gállok gesehen bei den Widerstandskämpfen gegen den britischen Bergbaukonzern Beowulf vor zehn Jahren. Es gibt auch Fotos von Sámi in Standing Rock, wo Native Americans ihre Reservation gegen den Bau einer Ölpipeline 2016 verteidigten. Indigene auf der ganzen Welt kämpfen für ihr Land und die Natur. Was bedeutet diese Solidarität der Indigenen Nationen in Umweltprotesten für dich?

Nils Johanás Allas: Die Indigenen versteht die Natur. Das Einzige was wir wollen, ist, dass die Natur intakt bleibt und nicht zerstört wird. Alle Indigenen in der Welt verstehen die Natur besser als die Kolonisator*innen. Deswegen sollten die Indigenen sich gegenseitig stützen.

Ein Beitrag von Meike Bischoff und Anke Stallwitz. Sie berichteten bereits über die Folgen der Eisenerzmine in Kiruna.

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