Unlearn Patriarchy 2 Cover

Revolte statt Pastell­rosa

Rezensiert von Martina Backes

17.12.2024

Der bereits als Must-have gelobte Essayband ist konsequent feministisch: Schon auf dem Cover wird im Titel Unlearn unterstrichen und Patriarchy durchgestrichen. Unlearn Patriarchy #2 erweitert mit 13 Beiträgen des ersten Bandes aus dem Jahr 2022. Herausgegeben von Emilia Roig, Alexandra Zykunov und Silvie Horch befasst sich Band 2 mit weiteren, von patriarchalen Strukturen und Denkfiguren durchdrungenen gesellschaftlichen Realitäten, etwa im Bereich Architektur, Literatur, Mental Health, Kirche oder Sport. Dabei werden die oftmals internalisierten und sehr subtil wirkenden Denkmuster patriarchaler Gewalt offengelegt. Die Autor*innen erzählen oft von ihren eigenen Erfahrungen und der Bewusstwerdung gesellschaftlich tief verankerter Strukturen, die als Motor für beständig neu reproduzierte Diskriminierungen dienen.

Neben einer greifbaren Beschreibung realer Verhältnisse und einer treffend radikalen Sprache ist der Verdienst des Bandes das intersektionale Erörtern dessen, was das Patriarchat in neuen Sphären wie zum Beispiel den Global Care Chains ausmacht – also der Lieferkette von Care-Arbeit. Und wie es mit Klasse, Rassismus und weiteren Diskriminierungskategorien zusammenwirkt. Genannt seien hier beispielhaft die Essays unlearn mental health von Miriam Davoudvandi und unlearn krieg und genozid von Melina Borčak.

Es erscheint auf den ersten Blick absurd, Themen wie Architektur, Genozid und Mental Health in einem Band zu verhandeln. Doch das ist es nicht.

Davoudvandi befasst sich mit dem Trend zur Selbstdiagnose bei wenig erforschten Symptomursachen oder Krankheitsbildern der mentalen Gesundheit von Frauen und Queers (zum Beispiel bei ADHS im Erwachsenenalter) nicht nur legitim ist. Davoudvani dröselt auf, dass Selfcare ein geeigneter Impuls zugunsten der eigenen psychischen Gesundheit ist. Aber es ist auch ein feministischer Akt mit gesellschaftsveränderndem Potenzial – denn nur so werden Ursachen und Symptome, die sonst gerne mit Stereotypen über das Frausein erklärt werden, als belastende mentale Zustände sichtbar gemacht. Die Autorin beharrt darauf, dass eine diagnostizierte Abweichung von der psychischen Norm wie ADHS oder Burn-out kein individuelles Problem abseits kapitalistischer und patriarchaler Kategorien bleiben darf. Achtsamkeitstrainings, Sportprogramme und Nahrungsmittelergänzung alleine sind kein Schlüssel zur psychischen Gesundheit. Vielmehr können sie auch die Ursachen dafür sein, dass Mental Health Probleme verkannt und individualisiert werden. So brauche es eine Revolte gegen kräfteraubende Arbeitszeiten und Doppelbelastungen, um gesellschaftliche Realitäten zu verändern.

Die Autorin Melina Borčak greift die Frage auf, warum Gewaltverbrechen gegenüber Frauen und Queers (in Kriegen) dem Straftatbestand Genozid nur sehr zögerlich zugeordnet, von den Medien als solche kaum benannt und von der Gesellschaft kaum erinnert werden. Die Weltgemeinschaft schaue immer wieder von neuem weg: Sei es im Fall der Traumata von Opfern der Massenvergewaltigungslager serbischer Nationalisten in Bosnien. Sei es im Falle muslimischer Uigur*innen, die mit Folter und Sterilisationsprogrammen traumatisiert und deren Recht auf reproduktive Gesundheit verletzt werden, ein Thema, das in bei diplomatischen Treffen mit China eher ausgespart wird. Sei es im Falle der vergewaltigten Frauen in Ruanda 1994 durch HIV-positive Männer, die mit der Absicht des Vernichtens der Tutsigesellschaft für Massenvergewaltigungen rekrutiert wurden.

Es erscheint auf den ersten Blick absurd, Themen wie Architektur, Genozid und Mental Health in einem Band zu verhandeln. Doch das ist es nicht. Mit der Themenvielfalt werden die verbindenden Elemente der Gewaltstrukturen erkennbar. Immer werden das patriarchale Wegschauen und das internalisierte Nicht-Erkennen von Gewalt benannt. Auch die Betroffenheit männlich gelesener Personen hat Raum. Damit leistet der Band einen profunden Beitrag und Denkanstöße zu der großen Frage: Was ist zu tun auf dem Weg in eine Welt ohne patriarchale Herrschaft? Das Buch Unlearn Patriarchy #2 ist ein inspirierender und mutmachender Baustein auf diesem Weg.

Unlearn Patriarchy #2, herausgegeben von Emilia Roig, Alexandra Zykunov und Silvie Horch. Ullstein Buchverlage, 352 Seiten, 2024, 22,99 Euro.

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