Rotweinrevolution
Rezensiert von Marco Stöhr
29.04.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 396
Die erhobene, geballte Faust ist ein weitverbreitetes Zeichen von Solidarität, Widerstand und Stärke. Gleichzeitig signalisiert die Faust Zugehörigkeit, man äußert und positioniert sich. Dem gegenüber stellt Mit geballter Faust in der Tasche – über Klasse, Normen und die Linke. Autobiographische Perspektiven ein Bild, in dem die Faust aus Gründen der (Un-)Zugehörigkeit in der Tasche bleibt. Erstmalig 2008 in Schweden veröffentlicht, liefert die deutsche Übersetzung Einblicke in die Erlebnisse und Erfahrungen verschiedener Arbeiter*innen zum Thema Klasse in der Linken.
Zentral ist allen Texten die Frage nach Identität, Zugehörigkeit und die Deutungshoheit darüber. Zwar ist allen Autor*innen bewusst, dass sie einer Arbeiterfamilie entstammen, doch erleben alle eine Form von Fremdsein in der Linken. Die Mittelklasse-Linke, die vorgibt, sich dem Kampf für die Arbeiter*innen verschrieben zu haben, wird als semi-elitärer und exklusiver Kreis entzaubert, dem die Marx-Lektüre wesentlich näher ist als die Lebensrealität der Arbeiter*innen. Die Texte zeichnen ein Bild dieser Mittelschicht-Linken, in dem Normen, Rollen und Verhaltenskodizes die Hierarchien bestimmen und Arbeiterkindern der Zugang zu solchen Kreisen erschwert wird. Das muss nicht zwingend eine gewollte Exklusivität sein, vielmehr sind es subtile Dinge wie der Sprachgebrauch, die als Distinktionsmerkmale dienen.
Es sind subtile Dinge wie der Sprachgebrauch, die als Distinktionsmerkmale dienen
Bereichernd ist die unterschiedliche Art, wie die Autor*innen mit dem erlebten Fremdsein in der Linken umgehen. Die Reaktionen reichen von Verständnis für den guten Willen in der Mittelklasse-Linken über zynische Bezeichnungen wie »Rotweinrevolutionär*innen« bis hin zum Vorwurf, die Mittelklasse versuche sich den Lifestyle der Arbeiter*innen anzueignen, ohne dabei deren tatsächlichen Probleme erleben zu müssen. Getragen werden die Texte von einer anekdotenhaften Leichtigkeit, die jedoch keineswegs über den Ernst der Thematik hinwegtäuscht.
»Mit geballter Faust in der Tasche« unternimmt keine neue Analyse des Klassenbegriffs. Aber der Band liefert, was den theoretischen Debatten in der Linken oftmals schmerzlich fehlt: Die Perspektiven und Lebensrealitäten derer, die der eigentliche Kern ihrer theoretischen Analysen sind. Das Buch lässt diejenigen zu Wort kommen, über die zwar viel geschrieben und gesprochen wird, denen selbst aber oftmals der Zugang zu den entsprechenden Plattformen verwehrt bleibt, um selbst sprechen zu können.