Eine große Anzahl von Superheld*innen, im Hintergrund eine gigantische Explosion
Die Vanguards sind die beliebtesten Superheld*innen des Verlags Comic Republic | © Comic Republic

»Nigerianer*innen können Held*innen sein«

Interview mit Jide Martin über Superheld*innen in Nigeria

Vor rund zehn Jahren gründete Jide Martin den Comic-Verlag Comic Republic in Nigeria. Mittlerweile ist Comic Republic der größte Verlag dieses Genres in Afrika und veröffentlicht unter anderem die beliebte Superheldenreihe »Vanguards«. Die iz3w sprach mit ihm über die Entstehungsgeschichte des Verlags und die Comicszene in Nigeria.

Das Interview führte Carlotta Kühne

08.12.2023
Teil des Dossiers »I Need A Hero«

iz3w: Was ist die Geschichte hinter der Gründung von Comic Republic?

Jide Martin: Ich war schon immer in Comics und Comicfiguren verliebt. Sie waren so etwas wie meine Ikonen. Ich hatte es nicht so mit der Religion und war ein dickköpfiges Kind, das nicht wirklich auf Mama und Papa hörte. Aber was ich gerne tat, war, mich zu fragen: Was würde Superman in dieser Situation tun?

»Ich wollte Ikonen schaf­fen für Leute, die aussehen wie ich«

Irgendwann bemerkte ich, dass die meisten Superheld*innen nicht so aussahen wie ich. Die Comics, die ich las, stammen ursprünglich aus den USA. Ich wollte aber Ikonen für Nigeria schaffen, für Leute, die aussehen wie ich, um sie zu inspirieren. Das brachte mich dazu, mit dem Zeichnen anzufangen. Ein paar Jahre später, ich nenne diese Zeit Superheld*innen-Ära, weil es viele erfolgreiche Serien über sie gab, beschloss ich, meinen Traum zu verwirklichen.

Ich begann, nach Leuten zu suchen. Glücklicherweise fand ich vier weitere: Einer konnte zeichnen, einer konnte kolorieren, einer konnte schreiben und ich konnte ebenfalls zeichnen. So begann ich, die ersten Ausgaben zu zeichnen und gründete Comic Republic. Ich zeichnete »The Guardianprime«, das erste Comic-Heft, das bei Comic Republic erschien. Mit meinem Team begannen wir an weiteren Figuren zu arbeiten. Das war vor zehn Jahren.

Was war Ihre Hauptmotivation für die Gründung?

Wir wollten die Kontrolle über unsere eigene Geschichte übernehmen und gestalten, wie wir wahrgenommen werden. Ich wollte Ikonen für junge Leser*innen schaffen, damit sie sich vorstellen können, was möglich ist. Sie sollen wissen, dass sie Held*innen sein können, und zwar auch als Nigerianer*innen und vor allem Afrikaner*innen. Am wichtigsten war mir jedoch, dass wir unsere eigene Geschichte nach außen hin erzählen. Denn vor zehn Jahren und auch heute noch sieht man von Afrika meist nur die Zerstörung und die Armut. Aber das ist nicht die wahre Geschichte des Kontinents, sondern nur etwa fünfzig Prozent. Es gibt auch die schönen Seiten sowie intelligente, intellektuelle und reiche Menschen. Wir haben Gesellschaften, die florieren und wollten das in unseren Geschichten darstellen.

Ausschnitte der Profile der verschiedenen Superheld*innen der Vanguards sind zu sehen.
Die Vanguards, von links: Bootinu, Powerbox, Ireti Bidemi, Guardianprime, Nu-Tech, Aje, Maxspeed | ©Comic Republic

Was ist Ihr Bestseller? Und was macht diesen Helden oder diese Heldin so besonders?

Meine beste Figur ist immer noch Guardianprime. Danach käme jede*r der Vanguards, das sind unsere beliebtesten Superheld*innen, quasi unser Äquivalent zu den Avengers. Ich liebe alle Figuren, aber mein Favorit ist Guardianprime, er bleibt das Aushängeschild.

Als Kind liebte ich Superman. Jedoch habe ich ein Problem damit, dass er ein Außerirdischer ist. Warum brauchen wir Außerirdische? Brauchen wir ein uns überlegenes Wesen, das von außerhalb kommt, um uns zu retten? Das ist die Geschichte Afrikas schlechthin. Also wollte ich eine Figur schaffen, die von der Erde stammt, aber dennoch mächtig ist. Guardianprime bekommt seine Kraft von dem Geist der Erde. Er ist das menschliche Element der fünf Elemente und kann sie für sich nutzen. So benutzt er beispielsweise die Luft, um zu fliegen. Seine Kräfte sind die Kräfte eines menschlichen Wesens. Er kann alles, was ein Mensch tun kann, aber auf einem extremen Niveau. Menschen sind stark und schnell, er ist besonders stark und schnell. Seine Kraft basiert auf dem Glauben: Er ist immer so stark, wie er es glaubt zu sein. Seine Schwäche ist also der Zweifel. Wenn man es schafft, ihn an seinen Fähigkeiten zweifeln zu lassen, wird er schwächer.

Betrachtet man Superman, Captain America oder Wonder Woman, sieht man die Farben der amerikanischen Flagge. Guardianprimes Farben sind grün, weiß, grün, die Farben der nigerianischen Flagge. Grün steht für viele Orte in Afrika. Ein afrikanischer und insbesondere nigerianischer Held also. Seine Eigenschaften und sein Aussehen sollen empowern und zeigen, wie wichtig es ist, an die eigenen Stärken zu glauben. Seine Botschaft lautet: Glaube an dich selbst. Hab Vertrauen.

Neben Held*innen handeln Comics auch von Bösewichten. Was ist so interessant an ihnen und warum ist es wichtig, auch ihre Geschichten zu erzählen?

Wir haben selten Bösewichte, die von Grund auf böse sind. Sie verfolgen vielmehr ihre eignen Ziele, die manchmal nicht zum Vorteil der Menschen sind. Wir haben uns bei ihren Geschichten stark auf unsere Mythen gestützt. Wir verwenden diese Mythen, da sie Geschichten zwischen Mensch und Gott erzählen. Im Namen von Gottheiten wurden in der Geschichte bereits viele Gräueltaten begangen. Über die Verknüpfung der Bösewichte mit den Mythen wollen wir zeigen, dass Menschen unabhängig von einer höheren Macht stark sind und sich dieser widersetzen können. Gleichzeitig nutzen wir dieses Mittel, um den Leuten etwas über afrikanische Mythologie beizubringen. Wenn man unsere Bösewichte studiert, lernt man viele unserer Gottheiten kennen und was unsere Mythen ausmacht.

Held*innen sind ein Ideal, das leuchtende Beispiel von dem, was wir sein könnten. Die Interaktion mit Bösewichten zeigt wiederum, wie wichtig es ist, andere Menschen zu schätzen und sich in sie hinein zu versetzen. Das fördert das Verständnis für die Sichtweisen anderer Menschen.

Mit welchen Herausforderungen sind Sie bei der Produktion von Comics in Nigeria konfrontiert?

In Nigeria gibt es nicht immer konstant Strom. Diesem infrastrukturellen Problem begegnen wir, indem wir unsere eigene Energie erzeugen. Wir haben also Generatoren, Solarzellen, Wechselrichter und so weiter. Das erhöht die Kosten. Die Regierung weiß die Comic-Industrie noch nicht richtig zu schätzen, wir haben also wenig staatliche Unterstützung oder Zuschüsse. Außerdem veröffentlichen wir unsere digitalen Comics kostenlos, damit jede*r Zugang hat. Das alles ist eine ziemliche finanzielle Herausforderung. Ein großer Teil der Mittel muss demnach intern aufgebracht werden. Wir haben ein Marketingteam, das ständig versucht, über Werbung Geld zu beschaffen. Hauptsächlich verdienen wir mit Auftragsarbeiten Geld, indem wir anderen Leuten helfen, ihre eigenen Comics zu machen. Wir haben also zwei getrennte Teams. Ein Team arbeitet an den monatlichen Comics und das andere Team beschäftigt sich mit Auftragsarbeiten. Einen weiteren Teil unserer Finanzierung decken wir über Unternehmen außerhalb von Nigeria, welche die Branche zu schätzen wissen, auch wenn unsere Comics für den nigerianischen und afrikanischen Markt bestimmt sind.

Wie sieht die Comicszene in Nigeria aus? Wo sehen Sie die Zukunft des nigerianischen Comics?

Vor uns gab es auch schon Menschen, die aus Leidenschaft Comics gemalt haben, jedoch nur ein oder zwei Bücher im Jahr herausgegeben haben. Wir waren die ersten, die das als ernsthaftes Geschäft betrieben haben. Dadurch ist die Anzahl der Leute gestiegen, die nun selbstständig in der Branche arbeiten und eigene kleine Studios gründen. Viele der Kreativen haben wir selbst ausgebildet. Auch auf internationaler Ebene haben wir Menschen motiviert, sich mit Nigeria und der lokalen Kreativbranche auseinanderzusetzen. Außerdem haben wir es geschafft, dass mehr Menschen die Branche als Beruf betrachten. Sogar Unternehmen im Ausland stellen Kreative ein, die bei Comic Republic begonnen haben.

Als vor zehn Jahren der Superman-Film »Man of Steel« landesweit in die Kinos kam, konnten wir glücklicherweise unsere Comics auf der Rückseite des Kinoflyers platzieren. Von da an bekamen wir Fanpost. Heute sind wir der größte Comicverlag in Afrika. Wir veröffentlichen alle zwei Wochen ein Comicbuch, kein anderer Verlag in Afrika macht das. Wir haben derzeit über 200 Charaktere und veröffentlichen über dreißig Titel. Ich sehe Comic Republic in Zukunft als großen Teil der weltweiten Comicindustrie. Zuversicht habe ich, weil wir gerade einen Vertrag mit Universal Studios abgeschlossen haben. Mittlerweile gibt es eine große Akzeptanz für Sendungen, die aus Afrika kommen, die Menschen wünschen sich Vielfalt. Und wenn wir erst einmal Fernsehsendungen haben, werden sich mehr Leute für nigerianische Geschichten und Comics interessieren.

Carlotta Kühne studiert Soziologie und ist Praktikantin im iz3w.

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