»Unsere Mission: Menschen befähigen, mit einer gemein­samen Stimme anzu­treten«

Medien­aktivismus gegen Land­raub in Uganda

Audiobeitrag von Nora Duchêne

03.04.2024

Im Zuge des Baus der umstrittenen Ölpipeline EACOP sind zahlreiche Menschen in Uganda von Zwangsumsiedlung betroffen. Die ugandische Organisation »Witness Radio« (witnessradio.org) nutzt Informationstechnologien, Radio und Soziale Medien als Tool, um gegen Landraub und soziale Ungerechtigkeit vorzugehen.

Sie unterstützen so vor allem auch betroffene Menschen in ländlichen Gebieten. Dabei ist das Team von Kriminalisierung, Restriktionen sowie Angriffen auf Aktivist*innen und unabhängige Medienschaffende betroffen. Tonny Katende von Witness Radio über zivilgesellschaftlichen Widerstand, Medienaktivismus und Meinungsfreiheit in Uganda – und wie es möglich ist, die Regierung und Großkonzerne dennoch zur Verantwortung zu ziehen.


Skript zum Audiobeitrag

Erstausstrahlung am 5. März 2024 im südnordfunk #119

 

Tonny Katende: Ich mache seit vier Jahren Forschungs- und Medienarbeit bei Witness Radio Uganda. Zu meiner täglichen Arbeit gehört, dass ich Fälle von Landvertreibungen und Umweltschädigungen beobachte.

Witness Radio ist eine registrierte, gemeinnützige Organisation mit investigativen Menschenrechts­journalist*innen und Sozialarbeitenden. Wir nutzen rechtliche Unterstützung und Medienarbeit, um die ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechte und die Entwicklung in Uganda zu fördern. Witness Radio wurde 2016 gegründet. Sie bietet  Dokumentation und Rechtsbeistand von armen und verwundbaren Gemeinden oder denjenigen, die von Landraub betroffen sind. Unser Büro ist in der Hauptstadt Kampala, aber wir haben Mitarbeitende in verschiedenen Regionen Ugandas. Unsere Vision ist eine gestärkte Gemeinschaft von Kleinbäuer*innen, die für die Landnutzung verantwortlich ist.

Wenn dein Land sicher ist, musst du keine Angst haben. Wenn du und dein Land unsicher sind (und der Landbesitz nicht sicher), spürst du, dass du jederzeit vertrieben werden kannst oder jemand dein Land rauben kann. Unsere Mission ist also, rechtlichen Beistand und Medienarbeit zu kombinieren, um Kleinbäuer*innen zu mobilisieren, zu vernetzen und zu stärken. So können sie mit einer gemeinsamen Stimme gegen die Ungerechtigkeiten bei Landnutzung und Umweltzerstörung protestieren und sich für einen gleichberechtigen Zugang zu den Ressourcen in unserem Land einsetzen.

Im Zusammenhang mit Landraub beschäftigt ihr euch zurzeit auch mit dem Bau der East African Crude Oil Pipepe (EACOP). Wofür kämpfst Du mit Witness Radio? Und was forderst Du von der Regierung und von den Unternehmen?

Tonny Katende: Unser Ziel ist (auch), den Bau des EACOP Projekts zu stoppen, wegen seiner Menschenrechtsverletzungen und den Umweltschäden. Dafür stehen wir mit Witness Radio, und wir müssen weiterhin das Nötige tun, damit die Rechte von Menschen und die Umwelt respektiert werden.

Welche Werkzeuge und Strategien nutzt ihr im Kampf gegen den Bau der Pipeline und den damit verbundenen Landraub? Wie nutzt das Witness Radio hier seinen Medienaktivismus?

Tonny Katende: Wir versuchen so viel wie möglich, Medien zu nutzen, um Informationen zu verbreiten: über Landvertreibungen, über ein Online-Portal, mit Hilfe von Artikeln, Berichten und anderen Veröffentlichungen auf unserer Webseite.

Ihr betreibt ein Landvertreibungsportal, dass die aktuellen Fälle von Landvertreibung in Uganda dokumentiert, lokalisiert, untersucht und veröffentlicht. Was war eure Motivation, so eine Open Source Plattform zu errichten? Warum ist es wichtig, diese Fälle so detailliert zu dokumentieren?

Tonny Katende: Wir glauben, wenn alle erfahren, was in jedem Teil unseres Landes passiert, können die Menschen das Leiden verstehen, in dem manche leben. Manche Leute in den Städten wissen nicht, was die Menschen auf dem Land erleben. Deswegen beobachtet, untersucht und dokumentiert das Portal die jüngsten Fälle von Landvertreibung in Uganda. Wir wollen diese Informationen verbreiten, und dafür stellen wir genaue Daten zu Missbrauch von Land und Umwelt zur Verfügung. Wir berichten über Landvertreibungen, die sich gerade ereignen oder schon passiert sind. Wir dokumentieren auch, wer kompensiert wurde und wer nicht, oder nicht zufriedenstellend. Durch informierte und genaue Daten können wir die Investor*innen offenlegen, die hinter einem Landraub stehen. Dann können wir zum Beispiel einsehen, an welchen verschiedenen Landrechtsfällen bestimmte Investor*innen beteiligt sind. Unser Portal stellt dem Publikum akkurate Informationen zur Verfügung, die jede und jeder wissen sollte.

2021 war Witness Radio eine von 54 Organisationen, die durch das Nationale Büro für Nichtregierungsorganisationen gesperrt wurden. Kritiker*innen des EACOP Projekts in Uganda wurden eingeschüchtert, manche Organisationen wurden geschlossen, es gab Verhaftungen. Wie hat die Regierung damals diesen Bann begründet, und was hat das für eure Arbeit bedeutet?

Tonny Katende: Zu dieser Zeit haben wir zum Mount Billion Projekt gearbeitet. Das ist ein Projekt der Weltbank und der ugandischen Regierung, bei dem die Anwohner*innen von ihrem Land vertrieben wurden. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Weltbank das Projekt nicht mehr finanziert. Aber das Geld wurde von den Regierungsvertreter*innen veruntreut. Also sind wir etwas Großes angegangen, wir haben ihnen sozusagen das Geld genommen. Einige von ihnen haben nach den Untersuchungen ihre Jobs verloren, wegen der Korruption, an der sie beteiligt waren.

Für sieben Monate war Witness Radio von der Arbeit suspendiert. Was waren die Auswirkungen auf die Gemeinden, die von Landraub betroffen sind? Fanden sie während dieser Zeit anderweitig Unterstützung?

Tonny Katende: Es war damals sehr stressig. Wenn Du nicht arbeiten darfst, kannst du die Gemeinden nicht mehr besuchen. Die Anwält*innen konnten sie nicht mehr unterstützen. Aber wir haben mit der Dokumentation und Beobachtung von Gemeinschaftsland und Umwelt weitergemacht. In dieser Phase wurden etwa 50 Menschen von ihrem Land vertrieben. Es wurde also die Gelegenheit ausgenutzt, dass ihnen in dieser Zeit niemand zur Seite stehen konnte.

Die Erfahrungen von Witness Radio stehen in einem größeren Kontext von sinkender Pressefreiheit weltweit. Unabhängige Journalist*innen werden vermehrt bedroht, belästigt und manchmal sogar ermordet, was wahrscheinlich oft zu Selbstzensur und einer Stimmung von Angst führt. Uganda ist da keine Ausnahme: Von 2002 bis 2023 ist das Land beim Welt-Pressefreiheits-Index von Reporter ohne Grenzen von Rang 52 auf Rang 133 von 180 Ländern abgerutscht. Vor welchen Herausforderungen steht investigativer und unabhängiger Journalismus und Meinungsfreiheit aktuell in Uganda?

Tonny Katende: Unabhängigkeit von Medien ist in Uganda ein schwieriges Thema. Viele Medienhäuser gehören der Regierung, und die restlichen gehören religiösen Führungspersonen, die ihre eigene Agenda haben, und oft Freund*innen oder Geschwister des Staates sind. Wenn sie also sehen, dass das Thema heikel ist, werden sie es nicht veröffentlichen. Sie schreiben nicht darüber, verstehst Du? Deswegen können viele Reporter*innen nicht frei arbeiten. Denn wenn du einen Beitrag verfasst, der deinem Redakteur oder der Redakteurin nicht gefällt, erklärt er dir die Folgen der Veröffentlichung. Und natürlich will niemand, dass das Medienhaus schließt. Also kannst du nicht frei arbeiten. Und wenn du es immer wieder versuchst, kann dich Schlimmeres erwarten. Du kannst zum Beispiel verhaftet werden, einfach nur, weil du Inhalte produzierst, die dem Staat nicht gefallen. Du kannst gekidnappt werden.

In Anbetracht dieser Kultur der Einschüchterung und Zensur: Wie schafft ihr es beim Witness Radio weiterzuarbeiten und euch für die betroffenen Menschen einzusetzen?

Tonny Katende: Wir haben ein Rechtsteam, das viele von uns unterstützt. Wenn eine oder einer von uns verhaftet wird, setzt sich das ganze Team für die Freilassung ein. Wir müssen während der Arbeit stets damit rechnen, verhaftet zu werden. Auch Partnerschaften und Netzwerke mit anderen Organisationen helfen uns, etwa mit Menschenrechts- und Lobbygruppen, und mit euch in Deutschland. Unser Team unterstützt also unsere Arbeit und gibt uns grünes Licht. Sie stehen zu uns und erheben ihre Stimme, obwohl es vonseiten des Staates viel Unterdrückung gibt.

Was erwartet oder wünscht ihr euch von internationalen Menschenrechtsorganisationen und freien Medien im Globalen Norden bezüglich Solidarität und Aktivismus im Kampf für soziale und Klimagerechtigkeit und die EACOP?

Tonny Katende: Wir müssen die Stimmen der Betroffenen hörbar machen. Dabei helfen uns die internationalen Partnerschaften. Wenn unser Publikum die Verantwortlichen nicht erreicht, kann euer Publikum vielleicht etwas ausrichten. So können wir die Stimmen der Betroffenen verstärken. Ich glaube, wenn wir solidarisch mit den betroffenen Menschen und Gemeinden sind, ihre Ziele und Interessen unterstützen und auch die verantwortlichen Akteure darin einbeziehen, Menschenrechte und Umweltschutz zu wahren, dann ermöglicht das soziale Gerechtigkeit und sorgt dafür, dass diese Menschen eines Tages das bessere Leben haben können, von dem sie geträumt haben.

Vielen Dank für das Gespräch und eure Arbeit. Es ist inspirierend zu hören, wie ihr als unabhängige Journalist*innen in einer so schwierigen Umgebung arbeitet.

Das Interview führte Nora Duchêne vom Redaktionsteams vom südnordfunk im Februar 2024.

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