2 als Frauen gekleidete Personen in einem Schaukelrad
Schaukelrad in Pakistan | Foto: Zahra Asghari @zahrra_asghari

»Wo sollen wir hin?«

Lilith Raza über Lebensrealitäten queerer Menschen in Pakistan

Mit dem Transgender Persons Act erkennt die pakistanische Verfassung seit 2018 die Rechte von trans Personen an. In der Wirklichkeit ist von solchem Schutz wenig zu spüren. Lilith Raza ist in Pakistan aufgewachsen und lebt seit Oktober 2012 in Deutschland. Sie arbeitet in dem Projekt Queer Refugees Deutschland beim Lesben- und Schwulenverband Deutschland. Die iz3w führte mit ihr ein Interview.

Das Interview führte Anna Wessely

03.03.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 390
Teil des Dossiers Feministische Kämpfe

iz3w: In den Medien wurde der Transgender Persons Act (TPA) weltweit als historischer Meilenstein gefeiert. Wie schätzen Sie die gesellschaftliche Bedeutung dieser Reform ein?

Lilith Raza: Nach dem Gesetz können Menschen ihr Geschlecht nun selbst in ihrem Personalausweis bestimmen, »männlich«, »weiblich« oder »Khwaja Sira«. Khwaja Sira bezeichnet trans Männer und trans Frauen. Übersetzt heißt es »Drittes Gechlecht« und meint alle, deren Geschlechtsidentität von den sozialen Normen und kulturellen Erwartungen abweicht, die auf ihrem Geschlecht beruhen oder zum Zeitpunkt ihrer Geburt zugewiesen wurden. Die Anerkennung als Khwaja Sira bedarf jedoch immer eines medizinischen Gutachtens, wodurch bürokratische Hürden bestehen.

Außerdem enthält der TPA, neben dem offiziellen Verbot von Diskriminierung, das Recht, als trans Person für öffentliche Ämter zu kandidieren. Die Verabschiedung des Gesetzes war eine große Errungenschaft des transaktivistischen pakistanischen Widerstands. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass trans Menschen auch gesellschaftlich akzeptiert werden.

Nur wenn das Gesetz auch praktisch und für alle, unabhängig des sozioökonomischen Hintergrunds umgesetzt wird, kann sich das Leben von transgeschlechtlichen Menschen in Pakistan nachhaltig verändern.

Gilt der Schutz gleichermaßen für trans Frauen wie trans Männer?

Auf dem Papier ja, in der gelebten Realität nein. Willkommen im Patriachat! Trans Männer werden in Pakistan strukturell unsichtbar gemacht. Von einer ‚Frau‘ zu einem ‚Mann‘ zu werden, ist nicht einfach. Fast alle werden jung verheiratet. Wer nach der Geburt als Frau eingeteilt wird, dem fehlt der Zugang zu öffentlichen Räumen, in denen er das Spektrum an Geschlechtsidentitäten kennenlernen könnte. Ich persönlich kannte nur drei trans Männer in Pakistan.

Welche Hürden stehen auf dem Weg zur Anerkennung der eigenen trans Identität in Pakistan?

Die genaue Betrachtung des TPA zeigt deutlich das Spannungsfeld zwischen formal-juristischer Gesetzgebung und gelebter Realität. Alle trans Personen in Pakistan müssen sich bei der National Database and Registration Authority registrieren lassen, um auf den Schutz Anspruch erheben zu können. Das bedeutet, dass sich trans Menschen überall outen müssen. Zudem muss eine Geschlechtsangleichung vorgenommen werden, um als ‚richtige‘ trans Person zu gelten. Das Problem dabei ist, dass es keinen Zugang zu kostenloser medizinischer Geschlechtsangleichung gibt. Dadurch können eigentlich nur Menschen aus den oberen Schichten ihre Transgeschlechtlichkeit leben.

Mit welchen Herausforderungen sind Angehörige der LGBTIQ-Community in Pakistan konfrontiert?

Queer zu sein in Pakistan bleibt gefährlich. Menschen werden von ihren Familien ermordet, ‚Ehrenmord‘ nennen sie das. Es werden Bilder von Personen mit dem Untertitel ‚Gotteslästerer‘ über die Sozialen Medien verbreitet. Die Menschen können durch einen Mob auf der Straße ermordet werden. Weil es dann zu viele Täter sind, die den Mord begangen haben, kann das Rechtssystem nicht alle gleichzeitig schuldig sprechen. Außerdem werden lesbische Frauen gezwungen, cis hetero Männer zu heiraten, auch viele schwule Männer geben auf und gehen Zwangsehen mit cis hetero Frauen ein. Es gibt daher eine große Dunkelziffer von trans Menschen, die ihre Sexualität und Identität nicht ausleben können.

Die pakistanische Polizei nimmt außerdem Erpressungsgelder. Diese habe ich auch persönlich oft in Pakistan gezahlt, um mich zu schützen. Sonst gibt es keinen Schutz, sonst landet man im Knast als Kriminelle und entehrt vorgeblich die Familie. Es ist ein Teufelskreis.

»Transmenschen müssten ständig beweisen, dass sie Teil der Gesellschaft sind.«

Dabei müssen trans Menschen ständig beweisen, dass sie Teil der Gesellschaft sind. Doch die Gesellschaft ist auf die heteronormativen Kategorien Mann, Frau, Kind, Familie festgelegt. Menschen, die diese Art zu leben verweigern, sind nach diesen Vorstellungen keine wertvollen Mitglieder der Gesellschaft. Häufig wird uns gesagt: »Geh doch nach Europa, warum lebst du überhaupt in Pakistan?« Ein Bekenntnis zum LGBTIQ-Sein wird als westliche Propaganda begriffen. In Deutschland wird uns gesagt: »Geht zurück in eure Herkunftsländer.« Hier in Europa haben wir das Problem mit Rassismus, dort haben wir das Problem mit Transfeindlichkeit und Homofeindlichkeit. Wo sollen wir hin? Wo bekommen wir den Respekt, den alle Menschen verdienen?

Obwohl Transgeschlechtlichkeit auf dem Papier gesetzlich geschützt ist, wird Homosexualität nach dem pakistanischen Strafgesetzbuch streng bestraft. Wie geht das?

Das Problem ist, dass durch Abschnitt 377 des Strafgesetzbuchs alle Formen sexueller Handlungen, die ‚natürlichem Geschlechtsverkehr‘ widersprechen, strafbar sind. Und als ‚natürlicher‘ Geschlechtsverkehr gilt laut Gesetz nur jener zwischen Mann und Frau zur Fortpflanzung und ausschließlich im Eheverhältnis.

Wenn eine trans Frau ihr Geschlecht also nicht angeglichen hat und ‚männliche‘ Körperteile hat; und wenn sie mit einem Mann Geschlechtsverkehr hat, dann ist das demzufolge strafbar. Es wurde nun mit dem TPA eine Gesetzgebung verabschiedet, die scheinbar besagt, dass Menschen ein Recht haben, so zu leben wie sie wollen. Aber wenn es in der Wirklichkeit um die Bürokratie geht, oder um die Angleichung oder darum, dass die Menschen ein sexuelles Leben führen, dann ist alles verboten.

Wie unterscheidet sich das Leben von trans Personen auf dem Land und in der Stadt?

Ich arbeite in Deutschland für queere geflüchtete Menschen. Diese fliehen meistens aus ländlichen Gegenden in die Städte innerhalb des Herkunftslandes, und von dort weiter nach Europa. In Pakistan kannst du auf dem Land nur öffentlich LGBTIQ sein, wenn du Land besitzt. In der Stadt haben die Menschen die Möglichkeit, sich in der Masse zu verstecken. Dennoch gibt es auch dort viele Schwierigkeiten. Alleinstehende Frauen bekommen zum Beispiel grundsätzlich keine Wohnung – da grüßt das Patriachat.

Der zu Kolonialzeiten etablierte Pakistan Penal Code ist neben dem Sharia Code bis heute Hauptbestandteil der pakistanischen Rechtsprechung. Welchen Einfluss hatte die koloniale Gewaltherrschaft auf die gesellschaftliche Stellung von trans Menschen?

Im indischen Mogulreich (1526 bis 1858) nahmen Khwaja Sira eine wichtige Rolle ein. Diese lebten meist eine weibliche Identität, ohne klar als ‚Mann‘ oder ‚Frau‘ eingeordnet zu werden. Als Beamt*innen genossen Khwaja Sira am Hof eine relativ hohe Stellung. Durch den Kolonialismus wurden auf dem Subkontinent Indien trans Personen jedoch kriminalisiert. Diese kolonialen Überbleibsel sind bis heute in der Gesellschaft und im Rechtssystem verankert, zum Beispiel stammt der erwähnte Abschnitt 377 aus dem Indian Penal Code des britischen Empire. Durch die Kriminalisierung wurden Khwaja Sira an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Viele flüchteten sich in das Guru-Chela-System. Eine ältere Khwaja Sira (»Guru«) lehrt dabei die jüngeren (»Chelas«) als »drittes Geschlecht« zu leben. Einerseits finden sie dort Zuflucht vor einer ausschließenden Gesellschaft, andererseits ergeben sich daraus auch Abhängigkeiten und Ausbeutung: Die Gurus unterrichten die Khwaja Sira etwa, ihre Körper zu verkaufen.

Trotz aller Übergriffe und Diskriminierungen vernetzen sich viele Betroffene im transaktivistischen Widerstand gegen patriarchale Strukturen. Wie sieht dieser Widerstand aus?

Wenn es um die Kämpfe geht, sind die trans Frauen zum Gesicht der Community geworden. Hinter ihnen steht die ganze LGBTIQ-Community. Trans Aktivist*innen wie Nayyab Ali, aktives Mitglied des nationalen Komitees zur Formulierung des Transgender Persons Act oder Nisha Rao, trans Aktivistin und Rechtsanwältin, stehen stellvertretend für die LGBTIQ-Community in Pakistan. Gemeinsam zeigen wir, dass Menschen, unabhängig ihrer geschlechtlichen Identität, in der Arbeitswelt ausschließlich für ihre Qualifikation bewertet werden müssen; und dass wir nicht länger dabei zusehen, wie Menschen auf offener Straße für ihre geschlechtliche Identität belästigt, diskriminiert oder ermordet werden.

Neben Protesten vernetzen und solidarisieren sich Menschen auch über Soziale Medien und Online-Kampagnen. Der Widerstand kommt auch aus dem Exil. Ich betreibe die Facebook-Seite »Gashti Namma« mit, wo wir queer-feministische Videos in unserer Muttersprache Punjabi veröffentlichen. Ich als queere, trans weibliche Person, möchte, dass die Menschen in ihrer Muttersprache über Transgeschlechtlichkeit sprechen und Informationen darüber bekommen können. Das Britische Weltreich nahm uns unsere Sprache, unsere Identität und unsere Rechte. Wir holen sie uns zurück.

Anna Wessely führte das Interview.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 390 Heft bestellen
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