Grüne Energie – saubere Rohstoffe?

Rohstoffpolitik im grünen Gewand mit neuen Risiken

Audiobeitrag von Antonia Vangelista

14.12.2022
Teil des Dossiers Rohstoffe

Deutschland und die Europäische Union haben viel vor: Energiewende, Elektromobilität und European Green Deal. Die Rohstoffe dafür kommen überwiegend aus anderen Teilen der Welt. Bei dem Alternativen Rohstoffgipfel hat das zivilgesellschaftliche Bündnis AK Rohstoffe im Oktober 2022 diskutiert, was sich für eine zukunftsfähige und global gerechte Rohstoffpolitik ändern muss.

Shownotes


Skript zum Beitrag

Erstausstrahlung südnordfunk 4. November2022 | Radio Dreyeckland| Autorin: Antonia Vangelista

Autorin: Deutschland und die Europäische Union brauchen Rohstoffe, und zwar viele. Der neue Rohstoffhunger ist laut Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, ein gutes Zeichen: »Lithium und seltene Erden werden bald wichtiger sein als Öl und Gas. Allein unser Bedarf an seltenen Erden wird sich bis 2030 verfünffachen. Und das ist ein gutes Zeichen. Denn es zeigt, mit welchem Tempo unser Europäischer Green Deal vorankommt. Das Problem ist nur, dass derzeit ein einziges Land fast den kompletten Markt beherrscht. Wir müssen vermeiden, erneut in Abhängigkeit zu geraten wie bei Öl und Gas.«

Den Applaus erhielt Von der Leyen bei ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union im September 2022. Mit dem einen marktbeherrschenden Land meint sie China. Sie fährt fort, dass die EU neue Handelsabkommen abschließen muss, um nicht von einem Partner abhängig zu sein. Vielmehr gehe es darum sich einen breiten Zugang zu Rohstoffen zu sichern, zum Beispiel aus Chile, Mexiko und Neuseeland.

Und dann ist alles grün und alles cool? Nicht ganz, meint Hannah Pilgrim. Sie ist zuständig für Rohstoffpolitik bei der Organisation PowerShift koordiniert den zivilgesellschaftlichen Arbeitskreis AK Rohstoffe:

Hannah Pilgrim: Dieser einseitige eurozentristische Blick auf die Versorgungssicherheit greift erstmal viel zu kurz und gefährdet vor allem bereits Betroffene von Rohstoffabbau immens. Außerdem hat uns die Vergangenheit gezeigt, dass es beim Abbau von Metallen, auch bei gleichgesinnten Partnern, immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung kam. Ein Beispiel ist Mexiko: In der Mine Buenavista del Cobre in Mexiko wird seit der Kolonialzeit Kupfer für den europäischen Markt abgebaut. Und die deutsche Aurubis AG importiert von dort große Mengen des Rohstoffs. Im Jahr 2024 kam es trotz wiederholter Warnungen bezüglich der Instabilität des Rückhaltebeckens zu einem Dammbruch. Die Schlammlawine zerstörte die Lebensgrundlage von über 20.000 Menschen. Und trotz zahlreicher Proteste gibt es bis heute keine Entschädigungszahlungen oder Unterstützungsangebote von den verantwortlichen Unternehmen. Außerdem berichten mexikanische Vertreter*innen der Zivilgesellschaft immer wieder davon, dass auch gewerkschaftliche Arbeit zum Beispiel extrem eingeschränkt ist.

Bagger im Tagebau | Foto: Johannes Plenio | www.pexels.com

Auch Chiles Bevölkerung steht aufgrund der steigenden Nachfrage beispielsweise nach Lithium enorm unter Druck. Die Studie „Das weiße Gold“ von Brot für die Welt macht dies sehr gut deutlich. Während das Elektroauto unsere Klimabilanz verbessert, führt aber der Lithiumabbau aus Salzseen in den trockenen Hochsteppen Südamerikas zu Wasserknappheit und sozialen Konflikten. Ich würde da sehr gerne einen Landwirt zitiieren, Cristian Espindola aus Chile, der das viel besser einschätzen kann:

Zitat von Cristian Espindola: »Die Lithiumunternehmen nutzen Unmengen an unterirdischem Wasser, 2000 Liter pro Sekunde. Sie behaupten, die Sole sei kein Wasser, aber das stimmt nicht. Sie behaupten, sie würden keinen Schaden anrichten, aber das ist eine Lüge: Hier fließt kein Wasser mehr, die Flüsse trocknen aus, die Bäume sterben, es gibt kaum noch Flamingos. Eine Welt, ein Land, eine Stadt, ein Mensch ohne Wasser muss sterben. Wo kein Wasser ist, gibt es kein Leben. Das Lithium bringt vielleicht Millionen von Dollar, aber dafür wird unsere Lebensgrundlage geopfert.«

Autorin: Wie die Beispiele zeigen, ist der Abbau von Rohstoffen nicht automatisch nachhaltig und menschenwürdig, nur weil er für die Energiewende und den European Green Deal stattfindet. Aus diesem Grunde hat der AK Rohstoffe Mitte Oktober 2022 den Alternativen Rohstoffgipfel ausgerufen. Politiker*innen aus Umwelt- und Wirtschaftsministerium, Unternehmensvertreter*innen und zivilgesellschaftliche Gruppen diskutierten dort, wie eine zukunftsfähige und global gerechte Rohstoffpolitik aussehen kann.

Zwei Tage später hat der Bundesverband der Deutschen Industrie seinen Rohstoffkongress ausgerufen. Ähnlich wie Von der Leyen warnen auch dessen Mitglieder auf deutscher Ebene vor einer zu großen Abhängigkeit von Rohstoffen aus bestimmten Ländern. Ihr Vorschlag: aus mehr Ländern Rohstoffe importieren und zudem Möglichkeiten des Bergbaus in Deutschlands ausweiten. Hannah Pilgrim von dem AK Rohstoffe kritisiert diese Haltung auf dem Alternativen Rohstoffgipfel:

Hannah Pilgrim: Wir sehen gerade die Gefahr, dass mit den aktuellen politischen, schnellen Entwicklungen, die ja auch notwendig sind, die langfristige Vision wirklich aus dem Blick genommen wird. Wir finden es sehr wichtig, dass die jetzt noch mal auf den Tisch kommt. Denn wir stellen zunehmend fest, dass derzeit vor allem die Angebotsseite mit diesem Risikoverständnis im Fokus steht: Wie können wir das Angebot diversifizieren? Wo können wir noch mehr Primärrohstoffe her beziehen? Was sind Partner*innen auf Augenhöhe? Der AK Rohstoffe hält hier entgegen und  sagt: Um sich auch von Abhängigkeiten zu lösen, ist es erst mal wichtig, über folgende Fragen nachzudenken: Wie können wir eigentlich an unserer Nachfrage rumschrauben, und damit erst mal in Deutschland schauen, wie hoch unsere enormen Verbräuche eigentlich sind? Wir sehen in der aktuellen Debatte um Rohstoffpolitik in Deutschland, aber auch in Europa, einen sehr nationalen und sehr europäischen eurozentristischen Blick. Es geht offensichtlich darum, jetzt noch einmal möglichst viele Rohstoffe und Zugänge zu legen, um im Grunde genommen die Industrie und den Status quo beizubehalten.

Der Elefant im Raum ist der Mobilitätssektor

Autorin: Den Status Quo zu verändern heißt, genau hinzuschauen, wie viele Rohstoffe in den einzelnen Wirtschaftssektoren benötigt werden.

Hannah Pilgrim: Der Elefant im Raum ist der Mobilitätssektor. Das Argument, dass vor allem die Erneuerbaren oder die Energiewende dafür sorgt, dass wir mehr in den Bergbau investieren müssen und was auch immer große Bergbaukonzerne in diesem Kontext als Argument liefern, da sollten wir genau hinschauen. Neue Zahlen machen deutlich: Der Bedarf an Rohstoffen wird vor allem durch Batterien für Elektrofahrzeuge in die Höhe getrieben. Photovoltaik- und Windkraftanlagen brauchen im Vergleich weniger Rohstoffe.

Autorin: Das heißt: Energiewende und weniger Rohstoffverbrauch schließen sich nicht aus; weniger Rohstoffverbrauch und ein, zwei E-Autos pro Haushalt möglicherweise schon. Eine weitere Forderung auf dem Alternativen Rohstoffgipfel ist, metallische Rohstoffe stärker als bisher zu recyclen. Das passt, zumindest offiziell, auch zu dem Vorhaben der Bundesregierung, vermehrt auf Kreislaufwirtschaft zu setzen. Denn der aktuelle Rohstoffhunger zerfrisst allzu oft Menschen, Gemeinden und Natur an den Orten, an denen der Abbau stattfindet. Auch in vermeintlich neuem, grünem Gewand.

Erstausstrahlung südnordfunk 4. November 2022

Die Journalistin Antonia Vangelista hat für die Radioreportage vor Ort recherchiert.

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