Kaja Kallas übt eine Doppelfunktion als Hohe Repräsentantin und als Vizepräsidentin der EU-Kommission aus
Kaja Kallas übt eine Doppelfunktion als Hohe Repräsentantin und als Vizepräsidentin der EU-Kommission aus | Foto: CC-BY-4.0: © European Union 2024 – Source: EP

Mehr Sicherheit

Die EU-Außenbeziehungen werden autoritärer

Anders als Russland, China und die neue US-Regierung steht die Europäische Union im Ruf, ihre Außenbeziehungen in gegenseitiger Partnerschaft zu pflegen. Stellt dementsprechend die neue EU-Kommission außenpolitisch ein Gegengewicht zur globalen autoritären Wende dar? Oder gleicht sie sich an?

von Stefan Brocza

16.12.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 406

Am 17. September hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Team der künftigen EU-Kommissar*innen vorgestellt. Am 20. November stimmte das EU-Parlament dem Vorschlag nach Querelen zwischen den Konservativen der Europäischen Volkspartei und den Sozialdemokrat*innen zu. Dabei ist eine Hinwendung zur extremen Rechten zu konstatieren, die sich am postfaschistischen Kommissar Raffaele Fitto der italienischen Fratelli d’Italia festmachen lässt.

Geopolitisch lässt eine inhaltliche Priorität in der Presseerklärung der Kommissionspräsidentin aufhorchen: Man müsse »alles dafür tun, dass Europa seine Interessen durchsetzt und in der Welt eine Führungsrolle einnehmen kann.«

Laut Presseerklärung müsseman »alles dafür tun, dass Europa seine Interessen durchsetzt und in der Welt eine Führungsrolle einnehmen kann.«

Bei näherer Betrachtung wird schnell klar: Das ist ein Abschied vom über Jahrzehnte bewährten Soft-Power-Konzept in den EU-Außenbeziehungen – in Richtung Hard Power. Hat man bisher auf einen relativ hohen Finanzmitteleinsatz und internationale Initiativen gesetzt, so scheint damit jetzt Schluss zu sein. Dass sich damit die ohnehin angespannten Beziehungen zu vielen Ländern des Globalen Südens, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent, verschlechtern werden, nimmt man offensichtlich in Kauf.

Organisatorisch sind die Weichen gestellt. Präsidentin Ursula von der Leyen stützt sich auf sieben sogenannte Exekutiv-Vizepräsident*innen. Ihnen sind die restlichen 18 EU-Kommissar*innen thematisch zugeordnet. Jeder von ihnen hat einen »Mission Letter« bekommen, in dem klar angeführt ist, was von ihm oder ihr teilweise sogar in welchem Zeitrahmen erwartet wird.

Für die künftig neue geopolitische Ausrichtung der EU ist zentral zuständig Kaja Kallas, die im August von den Mitgliedstaaten bereits ernannte Hohe Repräsentantin für Außen- und Sicherheitspolitik. Die Liberale übt eine Doppelfunktion als Hohe Repräsentantin und als Vizepräsidentin der EU-Kommission aus. Dabei sind Kallas einige EU-Kommissar*innen mit ihren Fachzuständigkeiten zugeordnet. Kallas wird daher für die neue geopolitische Ausrichtung auch auf die EU-Kommissare für Erweiterung Marta Kos, für internationale Partnerschaften Jozef Síkela, sowie erstmalig auf eine Kommissarin für mediterrane Angelegenheiten, Dubravka Šuica, zugreifen können. Letztere ist für die »südliche Nachbarschaft« zuständig, welche neben Nordafrika gleich noch ‚Nahost‘ und die Golfregion umfasst. Die EU-Sicherheits-, Außen- und Entwicklungspolitik vermischen sich zunehmend, was die »internationalen Partnerschaften« enger an die geopolitischen Interessen der EU anbindet.

Die bisherigen EU-Außenbeziehungen mit ihren milliardenschweren Finanzierungstöpfen befanden sich nominell im Rahmen der EU-Strategie des »Global Gateway«. Der Soft-Power-Ansatz »steht für nachhaltige und zuverlässige Verbindungen für die Menschen und unseren Planeten«. Deren Gelder wie auch die Milliarden der EU-Erweiterungspolitik stehen künftig deutlich im Einflussbereich der Hohen Repräsentantin. Insbesondere die Entwicklungspolitik unterliegt dadurch dem Druck in Richtung Versicherheitlichung. Sicherheits- und verteidigungspolitische Aspekte werden eine immer stärkere Rolle spielen.

Die früher gern auf die Fahne geschriebene Partner­schaft scheint vergessen

Damit nicht genug, ergibt sich durch das Mandatsschreiben der Kommissarin für mediterrane Angelegenheiten eine Überschneidung mit dem Migrationsressort von Magnus Brunner (der eigentlich einer anderen Exekutiv-Vizepräsidentin zugeordnet ist). Es besteht also die Gefahr, dass weite Bereiche der Migrationspolitik unter den Einfluss der Hohen Repräsentantin für Sicherheits- und Verteidigungspolitik gelangen.

Bereits im Frühjahr kündigte Ursula von der Leyen an, ein eigenes EU-Kommissariat für »Kriegswirtschaft« schaffen zu wollen. Es wurde am Ende ein Kommissariat für Verteidigung und Raumfahrt, ausgestattet mit vor allem industriepolitischen Zuständigkeiten. Sein Mission Letter verpflichtet Kommissar Andrius Kubilius ausdrücklich zur Zusammenarbeit mit der Hohen Vertreterin Kaja Kallas.

Und auf Ebene der Staats- und Regierungschefs verlautbarte der Europäische Rat vom Oktober, dass die europäischen Konzepte zur Rückführung illegal Aufenthaltiger mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln umzusetzen seien. Ausdrücklich wird dabei die Entwicklungspolitik als nötiges Druckmittel genannt, um widerwillige Staaten des Globalen Südens auf Linie zu bringen. Die früher gern auf die Fahne geschriebene Partnerschaft scheint vergessen. Geld und Hilfe soll es verstärkt nur noch dann geben, wenn sich die betreffenden Länder nach den migrationspolitischen Wünschen Europas richten.

War also die letzten fünf Jahre viel von Kooperation, Green Deal und Klimaschutz die Rede, so stehen die kommenden fünf Jahre – zumindest was die Positionierung und Selbstausrichtung der EU-Kommission angeht – unter einem ganz anderen Stern. Neben dem klaren Bekenntnis, eigene Interessen global durchsetzen und eine Führungsrolle in der Welt übernehmen zu wollen, fordert von der Leyen mehr Sicherheit und eine Stärkung der Souveränität. Der sanfte wirtschaftliche Riese EU macht sich in neue politische Gefilde auf. Läuft alles nach Plan, wird die EU nach Ablauf der kommenden fünf Jahre eine andere sein als die bisher bekannte. Ob es auch eine bessere sein wird, das darf bezweifelt werden.

Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 406 Heft bestellen
Unsere Inhalte sind werbefrei!

Wir machen seit Jahrzehnten unabhängigen Journalismus, kollektiv und kritisch. Unsere Autor*innen schreiben ohne Honorar. Hauptamtliche Redaktion, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit halten den Laden am Laufen.

iz3w unterstützen