Foto von Jair Bolsonaro in einer Menschenmenge, der ein Selfie macht
Buchcover von Niklas Franzen: Brasilien über alles

Die autoritäre Axt im Walde

Rezensiert von Mario Pfeifer

07.12.2022
Veröffentlicht im iz3w-Heft 393

»Fußball, Strand, Karneval. Im Ausland bestimmten lange Zeit Klischees die Berichterstattung über das größte Land Lateinamerikas. Die Brasilianer*innen galten als gelassen, tolerant und lebensfroh. Und so rieben sich viele verwundert die Augen, als mit Bolsonaro ein notorischer Rechtsradikaler zum Präsidenten gewählt wurde, der gegen Minderheiten hetzt, die Umwelt zerstören lässt und den Medien den Kampf angesagt hat«. Niklas Franzen skizziert in Brasilien über alles. Bolsonaro und die rechte Revolte den Weg des lange links regierten Landes nach rechts außen, angeführt vom einst unbekannten politischen Außenseiter Jair Messias Bolsonaro.

In seiner Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Bolsonarismus nimmt der Autor und Journalist die Leser*innen mit auf eine Reise quer durch die brasilianische Gesellschaft. Anhand zahlreicher Beispiele von Bolsonaros Politik beschreibt Franzen eindrücklich das Zusammenspiel von Autoritarismus, Neoliberalismus und christlichem Fundamentalismus. Ob bei Falschmeldungen in sozialen Medien, Bolsonaros engem Verhältnis zu Milizen und Militär oder dem Antifeminismus der evangelikalen Kirchen: Franzen zeigt, wie sich Bolsonaro die gesellschaftlichen Verhältnisse für seine Politik zunutze macht. All das wird eingeordnet in den strukturellen Rassismus, die soziale Ungleichheit und auch die mangelnde Aufarbeitung der Militärdiktatur in Brasilien. Auch Brasilien-Laien erhalten so einen detaillierten Einblick in die brasilianische Gesellschaft und können nachvollziehen, wie der Bolsonarismus dort Fuß fassen konnte. Die zahlreichen Gespräche mit verschiedensten Protagonist*innen zeigen dabei lebhaft die Motive und Lebensrealitäten, sowohl der Gegner*innen Bolsonaros als auch seiner Anhänger*innen.

Es ist möglich, dass Bolsonaro bei den Stichwahlen Ende Oktober 2022 abgewählt wird. Franzens Analysen über die brasilianische Rechte werden aber auch nach der Wahl nicht an Aktualität verlieren: Aus antifaschistischer Perspektive interessieren die Parallelen zwischen Bolsonaros rechtem Kulturkampf und der Neuen Rechten in anderen Teilen der Welt. Zudem werden der Bolsonarismus und die Folgen seiner neoliberalen Kahlschlagpolitik noch lange nach seiner Amtszeit zu spüren sein. Die Destabilisierung demokratischer Institutionen, der gestärkte Einfluss von Militär und Evangelikalen sowie die Zerstörung des Regenwalds werden das Land und seine Politik auch zukünftig beeinflussen. Die Lektüre bleibt also empfehlenswert.

Niklas Franzen: Brasilien über alles. Bolsonaro und die rechte Revolte. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2022. 208 Seiten, 18 Euro.

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