Don't Gas Africa

Der europäische Energie­hunger im Senegal

Audiobeitrag von Antonia Vangelista

29.08.2023
Teil des Dossiers Rohstoffe

Seit dem russischen Angriffskrieg versuchen Deutschland und andere europäische Staaten, ihren Hunger nach Gas andernorts zu sättigen. Etwa im Senegal, wo gerade das Gasförderprojekt Grande Tortue Ahmeyim entsteht. Antonia Vangelista hat mit Neville Van Rooy aus Südafrika und Cheikh Fadel Wade aus dem Senegal über das Vorhaben und den europäischen Gashunger gesprochen.


Skript zum Audiobeitrag

Erstausstrahlung am 5. September 2023 im südnordfunk #112

Cheikh Fadel Wade: Zurzeit ist die ganze Welt auf der Suche nach Lösungen und auch Deutschland ist Verpflichtungen eingegangen: Auf dem Weltklimagipfel haben sie gesagt, sie werden keine fossilen Energieprojekte mehr unterstützen.

Sprecherin: Der Umweltaktivist Cheikh Fadel Wade aus dem Senegal, Gründer der Organisation Ci Sutura, verfolgt aufmerksam, wie sich Länder wie Deutschland für das Klima engagieren. Etwa beim Klimagipfel 2021 in Glasgow, bei dem sich mehr als vierzig Staaten und Entwicklungsbanken verpflichtet haben, kein Geld mehr in fossile Brennstoffe zu stecken. Darunter auch Deutschland.

Cheikh Fadel Wade: Deswegen ist es für uns unverständlich, dass Olaf Scholz jetzt in den Senegal kommt und mit unserer Regierung eine Partnerschaft knüpft. Es scheint, als ob Deutschland seine eigenen Verpflichtungen vom Weltklimagipfel nicht einhält.

Sprecherin: Olaf Scholz hat den senegalesischen Präsidenten Macky Sall im Mai 2022 besucht, drei Monate nachdem Russland in der Ukraine einmarschiert war. Bei seinem Besuch bekundete er Interesse daran, senegalesisches Gas auch nach Deutschland zu importieren. Es war nicht der einzige Besuch eines europäischen Staatsoberhauptes bei seinem afrikanischen Kollegen, um über die Förderung von Gas zu sprechen. Frankreich umgarnt algerische Gasfirmen, die Europäische Union wirbt in Nigeria für die »Übergangsenergie« Gas und Italien hat gleich mit vier afrikanischen Staaten Verträge geschlossen. Denn mit dem Ausbruch des Krieges wurden die russischen Gaslieferungen quasi über Nacht eingestellt. Bis dahin hatte die EU rund vierzig Prozent ihres Gasbedarfs durch Russland gedeckt, Deutschland importierte sogar mehr als die Hälfte seines Gases aus Russland. Wade aus dem Senegal sieht einen klaren Zusammenhang zwischen dem russischen Angriffskrieg und dem Interesse an afrikanischem Gas:

Cheikh Fadel Wade: Wir haben verstanden, dass es so passiert ist wegen der Vorkommnisse in Russland. Denn mit der Situation in Russland suchen viele Industriestaaten nach alternativen Lösungen. Das ist verständlich. Aber wir würden erwarten, dass Unternehmen über die Gaslieferungen verhandeln und nicht der deutsche Staat, nicht der Kanzler. Denn wenn der Kanzler kommt, heißt das, dass Deutschland selbst sich dafür einsetzt.

Sprecherin: Gegen diesen Einsatz europäischer Staaten für Gasförderung in Afrika formt sich Widerstand. Mit der Kampagne »Don't Gas Africa« fordern afrikanische und weitere Organisationen, Afrika nicht mit Gas zu vergiften. Auch Neville Van Rooy von der südafrikanischen Umweltorganisation The GreenConnection kritisiert die neue Gaspolitik:

Neville Van Rooy: Wir unterstützen das nicht, denn wenn sie Gas in Afrika fördern, tun sie das ohne Respekt für unsere Existenzgrundlagen und unsere Umwelt. Deswegen sind wir nicht zufrieden damit, wie sie diese »Entwicklung« vorantreiben. Und die traurige Realität ist, dass unsere Regierungsvertreter*innen und Ministerien zustimmen, und den Firmen erlauben, hier ihre Aktivitäten auszuüben. Sie stellen Gas als Transition Fuel, einen Brennstoff des Übergangs, dar. Aber wir glauben nicht, dass Gas eine Brückentechnologie ist, die Teil ist von einer Partnerschaft des gerechten Wandels. Wir sind nicht mit der Verwendung von Gas einverstanden und wir sprechen uns gegen dieses falsche Narrativ aus, das sie jetzt predigen.

Sprecherin: Was dieses Narrativ von Gas als Brückentechnologie im Senegal anrichtet, lässt sich am besten am Grande Tortue Ahmeyim Projekt erzählen. Auf dem Meeresboden zwischen Senegal und Mauretanien wurde vor ein paar Jahren Gas entdeckt. Mittlerweile hat das britische Unternehmen BP mit anderen Investoren dort schwimmende Plattformen aufgebaut, das erste Gas soll noch dieses Jahr gefördert werden. Keine gute Nachricht für die vielen Menschen, die in der Region vom Fischfang leben, sagt Cheikh Fadel Wade:

Cheikh Fadel Wade: Diese Zone zwischen Mauretanien und Senegal ist sehr fischreich. Aber da, wo sie die Plattform aufgestellt haben, gibt es einen Bereich, den wir Diatara nennen. Es ist ein Gestein, wo sich viele nahrhafte Fische tummeln. Alle Fischer kennen den Ort. Er gibt ihnen alles an Nahrung, was sie brauchen. Aber leider haben sie gerade dort das Gas entdeckt und die große Plattform aufgestellt. Jetzt ist es den Fischern verboten, sich diesem Bereich auf eine Entfernung von 500 Metern zu nähern.

Sprecherin: Schon in den vergangenen Jahren bekamen die senegalesischen Fischer immer mehr Konkurrenz von ausländischen Fischerdampfern, die viel größere Schiffe und Netze hatten als die einheimischen Fischer mit ihren bunt bemalten Holzbooten. Der Druck wird durch die Gasfirmen noch größer.

»Die illegale Migration verstärkt sich, weil die Leute keinen Fisch mehr haben.«

Cheikh Fadel Wade: Weil die Fischerei vielen Menschen Arbeit gibt. In Saint-Louis zum Beispiel, wo das Gas entdeckt wurde, sind mehr als 5.000 Boote registriert. Jedes Boot beschäftigt dreißig bis vierzig Menschen. Stell Dir vor: Es ist eine bedeutende Anzahl.

Die illegale Migration verstärkt sich, weil die Leute keinen Fisch mehr haben, weil sie nicht mehr in die fischreichen Zonen wie Diatara kommen. Es sind Leute, die das Meer gut kennen, sie haben keine Angst davor. Was bleibt ihnen noch übrig? Sie nehmen ihr Boot, mit dem sie eigentlich fischen gehen. Und sie suchen andere Leute, die eine Überfahrt bezahlen, und bringen sie nach Europa.

Sprecherin: Auch das Gas, das im Senegal und anderen Ländern gefördert wird, soll zu einem großen Teil nach Europa gebracht werden. Die deutsche Regierung hat zwar kürzlich erklärt, keine Gasprojekte im Senegal zu fördern. Aber gleichzeitig bezeichnet sie Gas, auch im Senegal, weiter als wichtige Brückentechnologie. Laut Neville Van Rooy von der Don't Gas Africa Kampagne wiederholt sich so eine Geschichte der Ausbeutung:

Neville Van Rooy: Die gleichen Unternehmen werden Riesenprofite machen und marginalisierte Gruppen werden in keiner Weise profitieren. Es gibt hier keinen gerechten Wandel. Du verstärkst die Ungerechtigkeiten, die bereits existieren. Wir predigen wirklich eine inklusive Energieversorgung, die von den Bürger*innen vorangetrieben wird. Gas ist kein Teil von dieser Lösung, die uns vorschwebt.

»Es gibt hier keinen gerechten Wandel.«

Sprecherin: Die Gasförderung schadet nicht nur den Menschen vor Ort, sondern auch der Umwelt. Die Pipeline des Grande Tortue Ahmeyim Projekts führt von den Bohrlöchern zur Küste durch das Gebiet von Diatara, von dem Wade schon berichtet hat. Es ist das größte Kaltwasser-Korallenriff der Welt. Die Gefahren, auf die die Umweltverträglichkeitsprüfung des Projekts hinweist, wurden von BP und der senegalesischen Regierung schlicht übergangen. Abgesehen davon kann es bei der Gasförderung immer wieder zum Austritt von Treibhausgasen und zu Erdbeben kommen. Neville Van Rooy von der Don't Gas Africa Kampagne fordert eine Kehrtwende hin zu klimagerechter Energie.

Neville Van Rooy: Wir wollen und brauchen Entwicklung. Aber als Menschen in Afrika wissen wir, welche Entwicklung wir wollen. In dieser Zeit des Klimawandels müssen wir auf erneuerbare Energien setzen, wir brauchen saubere Energiequellen. Der afrikanische Kontinent hat ein enormes Potenzial für erneuerbare Energien. Warum können die Unternehmen ihre Profite nicht verwenden, um eine erneuerbare Energieversorgung aufzubauen? Eine Versorgung für die Gemeinden, die in den Händen der Bürger*innen liegt, statt, dass die Unternehmen Menschen vertreiben und Konflikte in ganz Afrika schüren. Das wollen wir nicht.

Sprecherin: Er sieht die europäische Gasindustrie in der Verantwortung für aktuelle Konflikte, etwa bei der EACOP-Ölpipeline in Ostafrika oder dem bewaffneten Konflikt im Norden Mosambiks, wo es große Gasvorkommen gibt. Statt einer Gasförderung, die von europäischen Unternehmen und Staaten vorangetrieben wird, spricht sich Van Rooy dafür aus, dass die Menschen vor Ort über ihre Energiequellen entscheiden. Dazu gehört auch, dass sie selbst das Geld verwalten, das durch die Ressourcen unter ihrem Boden und vor ihren Küsten eingenommen wird. Für ihn ist klar, dass sie weisere Entscheidungen treffen und so endlich selbst von der Energiepolitik ihrer Regierungen profitieren könnten.

Ein Beitrag von Antonia Vangelista.

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