Feministisch gegen Lukaschenko

Rezensiert von Anna Wessely

08.12.2022
Veröffentlicht im iz3w-Heft 390

»Ich habe große Angst, aber ich kann es einfach nicht mehr mit ansehen, wie gegen Menschen mit Kriegsgerät vorgegangen wird. Ich will Frieden und unverfälschte Wahlergebnisse«, so die Worte einer Demonstrantin in Minsk, nur wenige Tage nach dem Wahlbetrug von 2020. Die Bilder der belarussischen Bürger*innenbewegung gingen um die Welt. Olga Shparaga legt in ihrem Buch Die Revolution hat ein weibliches Gesicht einen besonderen Fokus auf die Rolle der Frauen und Aktivist*innen der LGBTQ*-Community in dieser Bewegung. Dabei wird deutlich, dass die »Revolution-in-progress« (Shparaga) genau von den Menschen getragen wurde, die in der weißrussischen Gesellschaft ganz besonders marginalisiert werden. Die Autorin zeigt, wie es den Akteur*innen gelang, ihre gesellschaftliche Unsichtbarkeit zu überwinden und als »weibliches kollektives Subjekt« Teil einer Protestbewegung zu werden, in der sich Menschen unterschiedlichster Hintergründe solidarisch begegneten. Dabei ergänzen sich soziologische Analysen, Interviews mit Zeug*innen und eine oft sehr bildhafte Beschreibung der Proteste. Shparaga war Mitglied der feministischen Gruppe des Koordinierungsrats, und damit selbst aktiver Teil der Bewegung. Für ihr politisches Engagement saß sie in Minsk im Gefängnis. Aus eigener Erfahrung kann sie daher nicht nur die Entstehungsgeschichte der Proteste aufzeigen, sondern auch die Solidarität und Entschlossenheit, die diese trugen, vermitteln.

Dabei wird klar: Den Protestierenden ging es um weit mehr als den Rücktritt des amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko. Vielmehr zeigt sich in der gesamten Protestbewegung ein tiefer Wille zur gesellschaftlichen Transformation. Dieser drückt sich auch in der dezentralen Organisationsform und einer breiten Partizipation von Menschen unterschiedlicher sozialer Hintergründe aus, die sich gemeinsam gegen soziale Ungerechtigkeit, Wahlbetrug sowie gegen die Misogynie und Fremdenfeindlichkeit des Präsidenten Lukaschenko einsetzen.

Auf jede weitere Repression durch das Regime reagierte die Bewegung trotz der omnipräsenten Bedrohung mit neuen Strategien des friedlichen Widerstands. Damit ermöglicht das Buch nicht nur einen Einblick in die Proteste gegen das gewalttätige Regime, sondern veranschaulicht auf inspirierende Weise die Kraft der Solidarität gegen autoritäre Grausamkeit und patriarchale Gewalt weltweit.

Olga Shparaga: Die Revolution hat ein weibliches Gesicht. Der Fall Belarus. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 234 Seiten, 13 Euro.

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