Afrikanische Aktivistinnen sprechen auf dem Women’s Climate Assembly
Aktivistinnen auf der Women’s Climate Assembly im September 2023 in Lagos | Foto: WoMin

»Klima- und Geschlech­ter­gerechtigkeit sind eng verknüpft«

Interview mit Oumou Koulibaly

Frauen sind weltweit besonders stark von der Klimakrise betroffen – so auch auf dem afrikanischen Kontinent. Das panafrikanische Bündnis WoMin fordert im Kampf für Klimagerechtigkeit eine ökofeministische Perspektive. Wir sprachen mit Oumou Koulibaly, Klimaaktivistin aus Senegal und frankophone Koordinatorin im Bereich Women Building Power, Energie und Klimagerechtigkeit.

Das Interview führte Annalena Eble

17.10.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 399
Teil des Dossiers Klimakrise

iz3w: Welche Regionen in Afrika sind derzeit am stärksten vom Klimawandel betroffen und wie wirkt sich das auf die Lebensrealitäten der Menschen aus?

Oumou Koulibaly: Zu den am stärksten betroffenen Regionen gehört die Sahelzone, die von steigenden Temperaturen, langanhaltenden Dürren und unregelmäßigen Niederschlägen betroffen ist. Das hat zu Wüstenbildung, geringerer landwirtschaftlicher Produktivität und Ernährungsunsicherheit geführt. Dadurch wird die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen stark beeinträchtigt, denn diese sind von Subsistenz- und Weidewirtschaft abhängig.

Am Horn von Afrika kommt es außerdem immer wieder zu langen Dürren und Extremwetterereignissen. Wasserknappheit, Ernteausfälle, Viehverluste, Vertreibung und Ernährungskrisen sind die Konsequenzen, was wiederum die Armut akut verschärft und zu humanitären Notsituationen führt. Besonders anfällig für den Anstieg des Meeresspiegels sind die Küstenregionen. Das wird anhand der häufigen Überschwemmungen und Wirbelstürme wie in  Madagaskar, Malawi, Mosambik und Südafrika deutlich.

»Afrikanische Frauen sind besonders von der Klima­katastrophe betroffen«

Die hohen wirtschaftlichen Kosten klimabedingter Katastrophen mit Schäden an der Infrastruktur, beispielsweise durch Erosion der Küste und der Landwirtschaft belasten die Volkswirtschaften erheblich. Sie verschärfen die Armut und behindern Entwicklungsbemühungen.

Was bedeutet es, eine panafrikanische Perspektive auf Klimagerechtigkeit einzunehmen?

Eine panafrikanische Perspektive auf Klimagerechtigkeit vereint die gemeinsamen Interessen, Herausforderungen und Verantwortlichkeiten der afrikanischen Länder und Gemeinschaften bei der Bewältigung der Klimakrise. Das bedeutet, dass die unterschiedlichen historischen, sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Faktoren, die den Kontinent im Zusammenhang mit dem Klimawandel betreffen, berücksichtigt werden müssen.

Zu den wichtigsten Aspekten gehört die Anerkennung der historischen Verantwortung. Afrika ist für weniger als 0,01 Prozent aller Emissionen in den letzten 266 Jahren verantwortlich, im Vergleich zu den Ländern des Globalen Nordens, die bis Ende der 1990er-Jahre für mehr als 80 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich waren. Afrika südlich der Sahara erwärmt sich schneller als andere Teile der Welt und steht kurz davor, die 1,5 Grad-Grenze der Klimaerwärmung zu überschreiten, vor der Wissenschaftler*innen warnen.

Wir von WoMin betrachten Klimagerechtigkeit sowohl aus panafrikanischer als auch aus ökofeministischer Perspektive: Afrikanische Frauen sind in besonderer Weise von der Klimakatastrophe betroffen. So können zum Beispiel Fischerinnen in Bargny in Senegal aufgrund von Küstenerosionen und dem Anstieg des Meeresspiegels nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen. In Verbindung mit zerstörerischen Entwicklungsinitiativen, zum Beispiel einem Kohlekraftwerk in der Region, werden die Frauen immer weiter ins Landesinnere getrieben. Ihre Lebensgrundlagen und ihre Fähigkeit, für sich selbst, ihre Familien und ihre Gemeinschaften zu sorgen, werden zerstört. Ein panafrikanischer Ansatz für Klimagerechtigkeit bedeutet, diese Stimmen in den Mittelpunkt aller Bemühungen zu stellen und auf systemische Veränderungen zu drängen.

Sind panafrikanische Ansätze generell verbreitet in den Klimabewegungen?

Ja, panafrikanische Ansätze zum Klimaschutz spielen eine wichtige Rolle beim Aufbau der gesamten Klimabewegung in Afrika. Sie stützen sich auf Solidarität in Form der Anerkennung der gemeinsamen Herausforderungen. Dadurch können zivilgesellschaftliche Organisationen, Basisgemeinschaften und Verbündete ihre kollektive Stärke nutzen, um sich für Klimagerechtigkeit einzusetzen.

Im September 2023 fand beispielsweise die zweite Women’s Climate Assembly (WCA) in Lagos, Nigeria, statt, an der Frauen aus vierzehn Ländern in Zentral- und Westafrika teilgenommen haben. Die Plattform ermöglicht es den Frauen, gemeinsam neues Wissen aufzubauen, ihre Kämpfe zu stärken und spezifische Entwicklungsalternativen auszuarbeiten, um sich an ein rasch erwärmendes Klima anzupassen. Die WCA fiel auch mit der dritten African People’s Counter COP vom 18. bis 29. September zusammen, die darauf abzielte, afrikanische Stimmen und Bewegungen an vorderster Front der Klimakrise zu bündeln und zu stärken.

Wie sind Frauen in Afrika von der Klimakrise betroffen und welche Rolle spielen dabei soziale und strukturelle Diskriminierungen?

Geschlechternormen und wirtschaftliche Ungleichheiten überschneiden sich mit der Klimakrise und haben unverhältnismäßige Auswirkungen auf Frauen in Afrika. Mehr als 70 Prozent der Kleinbauern und -bäuerinnen sind Frauen. Ihr Leben und ihr Lebensunterhalt hängen von einer intakten Umwelt ab, um Lebensmittel für den Konsum und den Verkauf anzubauen. Vor diesem Hintergrund sind sie besonders stark von Dürren, Überschwemmungen, Vertreibung sowie fehlendem Zugang zu sauberem Wasser oder Brennstoff betroffen. Viele von ihnen sehen sich aufgrund dieser widrigen Umstände genötigt, auszuwandern.

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In den Gemeinden Somkhele und Fuleni in Südafrika haben wiederkehrende Dürren zu geringeren Ernteerträgen geführt, insbesondere bei Grundnahrungsmitteln wie Mais. Verschlimmert wurde dies durch die Präsenz von Bergbauunternehmen, die häufig kommunale Wasserquellen umleiten. Außerdem zerstören sie das Land irreversibel und erschweren den Anbau einheimischer Pflanzen. Unter diesen Umständen müssen Frauen längere Strecken zurücklegen, um Wasserquellen zu erreichen. Das erhöht ihre Arbeitsbelastung, Gesundheitsrisiken und die Gefahr von sexualisierten Übergriffen und Gewalt.

Diese Benachteiligungen anzuerkennen und zu beseitigen, ist entscheidend für die Entwicklung wirksamer Klimaanpassungs- und Klimaschutzstrategien, die geschlechtsspezifisch und sozial gerecht sind. Die Stärkung von Frauen, einschließlich ihrer Beteiligung an Entscheidungsprozessen, ist der Schlüssel zum Aufbau von Widerstandsfähigkeit und zur Verwirklichung von Klimagerechtigkeit.

Welche Anpassungsstrategien entwickeln die Frauen und welche politischen Forderungen stellen sie?

Insbesondere Bäuerinnen und Frauen aus der Arbeiterklasse stehen an vorderster Front im Kampf für ihre Rechte. WoMin hat mit unseren Partner*innen aus ganz Afrika zusammengearbeitet, um Räume zu schaffen, in denen sie gemeinsam Alternativen erarbeiten können, die auf ihrem Wissen über lokale Ökosysteme und den natürlichen Ressourcen beruhen. Die Ergebnisse gingen zum Beispiel in den Film »African Sovereignty: Women live the Alternatives« ein.

Aktivistinnen aus Madagaskar etwa fokussieren sich auf den Erhalt des Regenwaldes, da sie wissen, dass es ohne den Wald weniger Niederschläge gibt und die landwirtschaftlichen Erträge zurückgehen. Sie fordern, dass ihre Stimmen gehört werden und dass die Anpassung an den Klimawandel auf Lösungen beruhen, die gemeinschaftszentriert und nachhaltig sind, sowie ihr kulturelles Verständnis von Umweltschutz berücksichtigen. Sie lehnen die Privatisierung von Lebensmitteln, Land und Ressourcen ab.

Wo sehen Sie die Lücken in Bezug auf feministische Perspektiven in der Bewegung für Klimagerechtigkeit?

Klimagerechtigkeit und Geschlechtergleichstellung sind eng miteinander verknüpft. Das aufzuzeigen ist eine unserer größten Herausforderungen. So ist es zum Beispiel schwierig, eine umfassende Analyse darüber zu erstellen, wie Dürren und Wasserknappheit das Leben von Gemeinschaften in ganz Afrika beeinflussen, ohne eine Analyse der Geschlechterverhältnisse einzubeziehen, die beispielsweise berücksichtigt, dass Frauen, die häufig zuständig sind für die Wasserversorgung von Haushalt und Landwirtschaft, bis zu acht Stunden pro Tag mit der Suche nach trinkbarem Wasser verbringen.

Obwohl feministische Perspektiven in der Bewegung für Klimagerechtigkeit wichtige Fortschritte gemacht haben, gibt es immer noch Lücken in der politischen Repräsentation, in der Forschung, sowie bei der Ressourcenverteilung. Vor allem Frauen aus marginalisierten Gemeinschaften sind in Entscheidungsprozessen oft unterrepräsentiert.

Wir haben gesehen, dass die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) und die Weltklimakonferenzen (COP) immer wieder versagen, wenn es um Klimagerechtigkeit für Länder des Globalen Südens geht. Feministische Perspektiven im Bereich der Klimagerechtigkeit sollten in globale Lobbyarbeit und internationale Abkommen integriert werden. Das erfordert eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen feministischen Organisationen und Bewegungen für Klimagerechtigkeit. Ein solches Vorhaben kann nur gelingen, wenn alle politischen Ebenen zusammenarbeiten – von den Gemeinden über die Regierung bis zu den politischen Institutionen – und die Stimmen von Frauen gehört werden.

Das Interview führte und übersetzte Annalena Eble.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 399 Heft bestellen
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