Genozid-Inflation
Instrumentalisierung und Abgrenzungsprobleme einer Definition
Der Genozidbegriff ist keineswegs so klar, wie es scheint und unterliegt einer gewissen Evolution. Außerdem gibt es eine Grauzone zu anderen Delikten wie Kriegsverbrechen oder Massakern etwa im Kontext von Krieg oder Aufstandsbekämpfung. Die Abgrenzung ist schwierig.
Der Begriff des Genozids wurde 1948 nach der Shoah, der industriellen Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden, mit der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes ein Straftatbestand des Völkerstrafrechts. Es war allerdings nicht nur die Shoa, die den Begriff prägte. Der jüdisch-polnische Jurist Raphael Lemkin arbeitete schon in den späten 1920er-Jahren an diesem Begriff, den er im Wesentlichen am systematischen Massenmord der jungtürkischen Regierung des »Komitees für Einheit und Fortschritt« an den Armenier*innen während des Ersten Weltkrieges entwickelte.
Als Lemkin erstmals schon 1933 einem in Madrid tagenden Gremium des Völkerbundes Vorschläge für eine internationale Konvention gegen Genozid unterbreitete, war das Ziel seiner fortlaufenden Bemühungen angesichts des wachsenden Antisemitismus in Deutschland, die Wiederholung systematischer Massenmorde zu verhindern. Die damals noch nicht mehrheitsfähigen und teilweise sogar belächelten Vorschläge wurden erst unter dem Eindruck der Shoa nach 1945 mehrheitsfähig. In Artikel II der Konvention gegen Völkermord definiert dieser schließlich fünf Kategorien von »Handlungen, begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören« (Seite 25f.).
Entscheidend ist in dieser Definition nicht nur die jeweilige Handlung, sondern vor allem die Absicht der Zerstörung dahinter. Eben diese Absicht ist allerdings in vielen Fällen nicht so einfach nachzuweisen.