»Alle sind eingeladen, Bäume zu pflanzen!«

Aktivist*innen aus Togo diskutieren über den Klimawandel

Audiobeitrag von Lars Springfeld

17.10.2023
Teil des Dossiers Klimakrise und Migration

Die jüngste Reportage »So kämpfen wir gegen die Erwärmung« des südnordfunk zur Klimakrise in Togo wurde auch im Radio Tchaoudjo in Sokodé ausgestrahlt, im Zentrum Togos. Anschließend diskutierten vier Klimaaktivist*innen über die Auswirkungen des Klimawandels vor Ort und mögliche Umgangsstrategien: Razakou Aboubakari, Koordinator des Netzwerks Afrique-Europe-Interact in Togo, Awoussi Boyindjo, die Direktorin der NGO Dimension Humaine, und Tchedre Saharou, Umweltschützer und Lehrer, sowie Rouby Traoré vom Radio Our Voice aus Freiburg. Ihre zentrale Forderung: Wir müssen die Lebensgrundlagen insbesondere der ländlichen Bevölkerung erhalten und wiederherstellen, anstatt sie weiter zu zerstören. Mit ökologischen Formen der Land- und Forstwirtschaft gibt es bereits Alternativen.


Erstausstrahlung am 3. Oktober 2023 im südnordfunk #113 bei Radio Deyeckland

Skript zum Audiobeitrag

Sprecher: Es ist der 28. Juli 2023. Wir hören eine Sendung des Radio Tchaoudjo in Sokodé, einer Stadt im Zentrum Togos. Thema sind die Ursachen, Folgen und Lösungsansätze im Umgang mit dem Klimawandel.

Razakou Aboubakari: Wenn wir über den Klimawandel sprechen, betrifft das sowohl Europa als auch Afrika. Vor diesem Hintergrund wollen wir mit unseren Freund*innen in Europa teilen, wie wir den Klimawandel hier in Togo erleben.

Sprecher: Razakou Aboubakari ist Koordinator des Netzwerks Afrique-Europe-Interact in Togo. Er ist Schuldirektor in Sokodé. Wir erinnern uns: Bereits im Juli haben wir im südnordfunk über die Gesichter des Klimawandels aus Togo berichtet. Im September wird eine französische Version dieser Sendung vor Ort in Sokodé ausgestrahlt. Im Anschluss diskutieren die geladenen Gäste vor allem über mögliche Lösungsstrategien im Umgang mit dem Klimawandel in ihrem Land.

Tchedre Saharou: Ich will mich auf zwei Punkte konzentrieren. Zuerst die Temperatur. Die Temperatur wird immer höher und das wirkt sich negativ auf das menschliche Leben aus. Der zweite Punkt ist der Niederschlag. Es kommt zu Unregelmäßigkeiten beim Regen. Nehmen wir Togo als Beispiel: Die Hauptaktivität der Togoles*innen ist die Landwirtschaft und das Wichtigste für eine erfolgreiche Landwirtschaft ist der Regen. Der Klimawandel führt also zu Schäden in der Landwirtschaft in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit und die Erträge.

Sprecher: Tchedre Saharou ist Umweltwissenschaftler und arbeitet als Lehrer. Er ist in einer NGO aktiv, die sich für die Vermeidung von Müll einsetzt. Außerdem diskutiert mit uns Rachel Awoussi Boyindjo. Sie ist Soziologin und Direktorin der NGO »Dimension Humaine«. In ihrer Arbeit ist sie ganz direkt mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert.

Rachel Awoussi Boyindjo: Zu den Plagen des Klimawandels: Wir erleben den Verlust landwirtschaftlicher Kulturen. Zum Beispiel 2020: Viele Felder wurden überflutet und die Bauern haben alles verloren. Viel Geld, viele Investitionen sind ins Wasser gefallen.

Sprecher: Außerdem ist Rouby Traoré aus Deutschland per Telefon zugeschaltet. Sie ist Journalistin und arbeitet im Radio Our Voice, der migrantischen Redaktion von Radio Dreyeckland in Freiburg.

»Für mich, die ich aus Sokodé in Togo komme, ist der Klimawandel ein Problem im Hier und Jetzt.«

Rouby Traoré: Der gemeinsame Kampf ist ein sehr ungerechter Kampf. Denn hier in Deutschland haben wir die politischen Mittel, wir haben die sozialen Mittel, wir haben die menschlichen Kapazitäten. Wir haben Gruppen, die für ihre Aktivitäten gegen den Klimawandel sehr bekannt sind, wie zum Beispiel Fridays for Future. Wenn du nach Europa kommst, siehst du, dass die Menschen für die Zukunft ihrer Kinder demonstrieren, sie wollen den Planeten für zukünftige Generationen bewahren. Aber für mich, die ich aus Sokodé in Togo komme und in Kanté aufgewachsen bin, ist der Klimawandel ein Problem im Hier und Jetzt, denn wir brachen Essen auf unseren Tellern. Es gibt keine verlässliche Trocken- und Regenzeit mehr.

Sprecher: In der jüngsten Reportage des südnordfunk zu Togo »So kämpfen wir gegen die Erwärmung« wurde deutlich: Insbesondere Kleinbauern- und Bäuerinnen sowie Viehhirten sind unmittelbar von den Folgen des Klimawandels betroffen. Nicht selten treibt die Zerstörung von Lebensgrundlagen die Menschen in die Migration. Rachel, Tchedre und Razak können das nur bestätigen.

Rachel Awoussi Boyindjo: Wir alle nehmen war, wie das Klima aus dem Gleichgewicht gerät. Jeder von uns erlebt das.

Tchedre Saharou: Heute gibt es kein Zurück mehr hinter den Klimawandel. Wir müssen mit den Folgen des Klimawandels leben.

Razakou Aboubakari: Nehmen wir einen Bauern, der wenige Hektar Mais anbaut. Nun sieht er, dass die Ernte ausbleibt, zum Beispiel aufgrund von Dürre. Was wird er tun? Er sagt sich: Dieses Jahr an diesem Ort hat es nicht geklappt, ich muss etwas ändern. So treibt der Klimawandel die Bauern von einem Ort zum anderen.

Sprecher: Was also tun? Tchedre und Rachel betonen die Wichtigkeit von Wiederaufforstung und ökologischer Landwirtschaft.

Rachel Awoussi Boyindjo: Wir haben eine massive Entwaldung. Das heißt, wir fällen zu viele Bäume. Denn aus Bäumen werden verschiedenste Dinge hergestellt. Aus Holz machen wir Holzkohle, um unser Essen zu kochen, und die Industrie nutzt es für viele andere Dinge. Wir verwenden Holz auch als Baustoff für unsere Häuser. Kurzum: Holz wird übermäßig genutzt. Aber im Gegenzug müssen wir, sobald wir abholzen, wieder aufforsten und die durch die Abholzung degradierten Flächen wiederherstellen.

Tchedre Saharou: Heute können wir ohne Landwirtschaft nicht leben. Aber für die Landwirtschaft werden Wälder zerstört. Wenn wir stattdessen ökologischen Landbau fördern, können wir Landwirtschaft betreiben und gleichzeitig Bäume auf den Feldern pflanzen. Wir können auch Bäume, die schon da sind, behalten und die Flächen trotzdem landwirtschaftlich nutzen. Diese Praxis müssen wir also fördern. Darüber hinaus stellt der Einsatz von Pestiziden eine Gefahr dar. Denn die Pestizide schaden den Bäumen. Und sie laugen den Boden aus. So verlangsamen sie das natürliche Wachstum der Bäume. Wenn wir also heute den Einsatz von Pestiziden und chemischem Dünger verringern und stattdessen grünen biologischen Dünger benutzen, können wir so auch die Auswirkungen des Klimawandels verringern.

Sprecher: Wir müssen die am meisten verwundbaren Schichten sensibilisieren, meint Razak.

Generell ist Afrika am meisten verwundbar. Denn wir sind es, die die Folgen des Klimawandels spüren.

Razakou Aboubakari: Generell ist Afrika am meisten verwundbar. Denn wir sind es, die die Folgen des Klimawandels spüren. Und was produzieren wir? Wir haben kaum Industrien, die Treibhausgase ausstoßen. Wir müssen also die Bevölkerung sensibilisieren. Es braucht eine Mobilisierung der Bevölkerung, damit die Menschen verstehen, dass das Klima uns alle angeht. Wir müssen mit den Folgen des Klimawandels leben, aber trotzdem unseren Beitrag leisten, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern.

Sprecher: Es gibt auch konkrete Initiativen. So kündigte die togoische Regierung 2021 an, bis 2030 eine Milliarden Bäume pflanzen zu wollen. Auch wenn diese Zahl kaum realisierbar scheint: Razak berichtet, dass sich breite Teile der Bevölkerung an einer jährlichen Baumpflanzaktion am 1. Juni beteiligen. So konnten bereits mehrere Millionen Bäume gepflanzt werden. Gleichzeitig hat Afrique-Europe-Interact die Menschenrechtslage in Togo, das seit 1967 autokratisch von der Familie Gnasingbé regiert wird, immer wieder kritisiert. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Baumpflanzaktionen und weitere grüne Projekt der Regierung zumindest ambivalent. Rachel berichtet von einer Initiative zur Förderung von Agroforstwirtschaft, ein Projekt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.

Rachel Awoussi Boyindjo: Ich möchte ein Beispiel geben für Agroforstwirtschaft. In der Region Tchamba betreiben mehr als 2.000 Bauern und Bäuerinnen Agroforstwirtschaft auf ihren Feldern, dank der Unterstützung von Forests4Future, das ist ein deutsches Projekt. Das bedeutet, die Bauern pflanzen um ihre Felder herum Bäume, also Energieholz, das dann nach sechs oder sieben Jahren wirtschaftlich genutzt werden kann und den Eigentümer*innen, den bäuerlichen Familien, ein Einkommen gibt. Innerhalb ihrer Felder können sie Getreide anbauen, alles, was sie wollen, aber zwischen den Reihen pflanzen sie eine spezielle Pflanze als grünen Dünger. Ohne Kunstdünger bekommen sie so einen guten Ertrag und in fünf, sechs oder sieben Jahren können sie das Energieholz ernten, verkaufen und Geld verdienen. Aber sie sind angehalten, die abgeholzte Fläche danach wiederherzustellen. Eine Sensibilisierung der Bauern und Bäuerinnen und die Unterstützung bei der Umsetzung innovativer Projekte kann uns also wirklich dabei helfen, Verwundbarkeit zu überwinden und viel widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel zu werden.

Sprecher: Es gibt also Initiativen. Jedoch können wir nicht einfach auf die Politik vertrauen. Für die große Mehrheit der Betroffene gibt es keine Perspektiven. Ihre Stimmen werden nicht gehört.

Rouby Traoré: Es ist unsere gemeinsame Pflicht, die Stimmen derjenigen zu hören, die von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, die unter dem Klimawandel leiden, aber nicht darum gebeten haben. Sie leiden unter den Folgen eines ausbeuterischen Systems, eines kapitalistischen Systems, einer Gesellschaft des Überkonsums hier in Europa. Aber hier sind die Folgen nur sehr wenig sichtbar, während auf unserer Seite in Afrika die Betroffenheit sehr stark ist. Es gibt die Politik und es gibt die Realität und meist löst die Politik die Probleme nicht, zumindest nicht immer. Und deshalb müssen wir als Journalist*innen und Aktivist*innen besonders über die Probleme derjenigen berichten, die sonst nicht sprechen können.

Sprecher: Zwar gibt es keine einfachen Lösungen im Umgang mit dem Klimawandel. Aber die notwendigen Voraussetzungen für eine lebenswerte Gegenwart und Zukunft für alle Menschen sind klar: eine massive Reduktion der globalen CO2 Emissionen und der Erhalt bzw. die Wiederherstellung intakter Ökosysteme. Dabei gibt es mit kleinbäuerlichen und ökologischen Formen der Landwirtschaft bereits Alternativen, um letzteres zu erreichen und zugleich die Widerstandsfähigkeit und Selbstbestimmung der ländlichen Bevölkerung zu stärken.

Tchedre Saharou: Abschließend möchte ich sagen: Das Wichtigste ist die Bewusstseinsbildung. Denn oft wissen die Menschen nichts über die Folgen des Klimawandels. Sie fragen sich: Ist das wirklich der Klimawandel? Findet der Klimawandel bei uns statt? Wir müssen also Sensibilisierungsveranstaltungen durchführen und darüber aufklären, dass das, was wir jeden Tag erleben, eine Folge des Klimawandels ist.

Rachel Awoussi Boyindjo: Ich möchte nur sagen: Alle sind eingeladen, Bäume zu pflanzen. Das wird uns auch helfen, Treibhausgase zu reduzieren, denn Bäume spielen eine große Rolle dabei. Und sie ziehen Regen an, um die Erde zu kühlen, die sich bereits zu sehr erwärmt. Es ist eine Sache, die uns alle betrifft, also bitte ich alle darum, mitzumachen. Danke.

Razakou Aboubakari: Zum Schluss sage ich noch einmal: Der Klimawandel geht uns alle an. Vielen Dank.

Sprecherin: Das Projekt Forests4Future der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)Im Kampf gegen den Klimawandel spielen Wiederaufforstung und ökologische Formen der Landwirtschaft eine zentrale Rolle. Betrachtet man Projekte wie forests4future oder die Ankündigung der togoischen Regierung, eine Milliarde Bäume pflanzen zu wollen, scheint sich diese Erkenntnis auch in der Politik durchzusetzen.

Wenngleich diese Initiativen zu begrüßen sind, ist die Lage widersprüchlich. Denn unter dem Versprechen eines grünen Wachstums treiben globale Entwicklungsprogramme die industrielle Landwirtschaft auch in Afrika voran. So wurde das Programm Alliance for a Green Revolution in Africa (AGRA) bis vor kurzem von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit unterstützt – und heftig kritisiert. Nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine zeigt die katastrophale Abhängigkeit vieler afrikanischer Länder von importiertem Weizen. Es ist zu hoffen, dass im Zuge dessen in der Entwicklungspolitik ein Umdenken stattfindet. Auch in Togo zeigt sich ein widersprüchliches Bild: Während Baumpflanzaktionen gefördert werden, setzt Machthaber Faure Gnasingbé auf ein autoritäres Entwicklungsmodell und betreibt eine investorenfreundliche Politik – auch gegenüber fossilen Schwergewichten wie dem deutschen multinationalen Unternehmen HeidelbergCement, das sich 2023 in HeidelbergMaterials umbenannt hat.

Shownotes - Klimakrise in Togo

Im März 2023 besuchte Lars Springfeld im Rahmen einer Reise nach Togo die Orte Sokodé und Nadoba im Zentrum bzw. Norden des Landes. Seine Reportage über den Klimawandel wurde in Togo im Radio Tchaoudjo in Sokodé auf Französisch ausgestrahlt. Die anschließende Diskussion mit den Aktivist*innen in Togo wiederum geben wir hier in Ausschnitten wieder. Der Austausch konnte der südnordfunk im Rahmen des Projektes Turn The Tide realisieren.

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