Zwei Frauen, Protagonistinnen des Films »Hijos del viento« laufen eine Treppe hoch. Im Hintergrund ist die Stadt zu sehen.
Filmstill aus »Hijos del viento«: Beatriz (r.) besucht das Viertel, in dem ihr Sohn und ihr Neffe ermordet wurden. | Foto: Adok Films 2022

Söhne des Windes

Dokumen­tar­film über Kriegs­verbrechen in Kolumbien

Im bewaffneten Konflikt zwischen dem kolumbianischen Staat, Paramilitärs und Guerillaorganisationen kam es zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen. Der Dokumentarfilm »Hijos del viento« setzt sich dabei mit staatlichen Tötungen von Zivilist*innen auseinander. Die Angehörigen dieser Falsos Positivos fordern die Aufarbeitung der staatlichen Verbrechen.

von Nikolas Grimm

17.10.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 399

Mit »Hijos del viento« (Söhne des Windes, 2022) präsentiert der kolumbianisch-schweizerische Regisseur Felipe Monroy seinen dritten Dokumentarfilm über den bewaffneten Konflikt in Kolumbien. Nach »Tacacho« (2013) und »Los fantasmas del Caribe« (2018) behandelt »Hijos del viento« eines der dunkelsten Kapitel der jüngsten kolumbianischen Geschichte: Monroy begleitet drei Familien, deren Söhne während der Regierung von Álvaro Uribe Vélez (2002 bis 2010) vom kolumbianischen Militär erschossen wurden.

Doris, Maria und Beatriz sind Mütter von sogenannten Falsos Positivos. So werden in Kolumbien getötete Zivilpersonen genannt, die das Militär fälschlich als gefallene Kämpfer*innen meldete. 6402 solcher staatlichen Morde zählt die kolumbianische Wahrheitskommission. Dafür gab es politische und wirtschaftliche Anreize: Für getötete Guerilleros zahlte die Regierung Uribe Prämien. Mit den ermordeten Zivilist*innen konnten die Streitkräfte die von der Politik geforderten Ergebnisse präsentieren, während sie gleichzeitig oft Bestechungsgelder von den bewaffneten Gruppen kassierten, die sie eigentlich bekämpfen sollten.

Für getötete Gueril­leros zahlte die Regierung Uribe Prämien

Das Kollektiv MAFAPO (Madres de Falsos Positivos), in dem sich die drei Frauen mit anderen Müttern organisieren, kämpft für eine politische Aufklärung der Fälle. Denn bisher herrschte Straflosigkeit für die staatlichen Morde. Gerade auch deshalb waren die Dreharbeiten politisch brisant: Das Filmmaterial ließ der Regisseur aus Sicherheitsgründen regelmäßig von der Schweizer Botschaft außer Landes bringen. Neben den drei Müttern begleitet Monroy Carlos Mora, der als junger Soldat in Ocaña im Departmento Norte de Santander miterlebte, wie seine neuen Vorgesetzten auf einmal zahlreiche Tötungen meldeten, ohne dass den Tötungen Gefechte vorausgegangen waren. Er war der erste Angehörige der Armee, der offen über den Falsos-Positivos-Skandal sprach und er unterstützt die Madres de Falsos Positivos in ihrem Kampf für Aufklärung. Im Film trägt er laut die Morddrohungen vor, die er dafür erhalten hat.

»Hijos del viento« ist gleichermaßen ein intimer Film: Monroy begleitet die Protagonist*innen nicht nur bei Treffen mit Anwält*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen. Er portraitiert auch, welche Auswirkungen die Verbrechen bis heute auf ihr Leben haben. Künstlerische Aufnahmen zeigen die Frauen, wie sie ihre Trauer in Liedern und Gedichten in dunklen Räumen und kargen Landschaften ausdrücken.

Gleichzeitig begleitet der Regisseur die Frauen in ihrem Alltag. Beatriz bringt fünfzehn Jahre nach den Geschehnissen erstmals die Kraft auf, das Viertel im Süden Bogotás zu besuchen, in dem ihr Sohn und ihr Neffe ermordet wurden. Begleitet wird sie von ihrer Nichte. Auch wollen sie den Anwohner*innen mitteilen, dass die beiden, deren Körper das Militär mit falschen Uniformen verkleidet hatte, unschuldig waren. Darío, der zusammen mit seiner Ehefrau Doris seit 2008 nach dem Leichnam ihres Sohnes Oscar sucht, sehnt sich nach einem Ende des ständigen Zirkels aus Hoffnung und Enttäuschung bei jeder Exhumierung eines Massengrabs. Carlos wiederum hat seiner Frau und seiner Tochter versprochen, zur Sicherheit der Familie den Militärdienst zu quittieren. Ein Wunsch, den die Streitkräfte blockieren, solange er die Vorwürfe gegen die Armee aufrechterhält. Eine andere Familie zeigt der Film im ausländischen Exil zur Weihnachtszeit, wo Maria ihren Enkelkindern vom ermordeten Vater und von Weihnachten in Kolumbien erzählt.

Der Film endet mit einem gemeinsamen Abendessen von Carlos und den Müttern. Mariachi-Musiker betreten die Bühne. Das fröhliche Muttertagslied, das sie spielen, sorgt für Tränen aber auch für Lachen. Ein bisschen Lebensfreude bei all der Trauer über die Verstorbenen – und vor allem eine gehörige Portion Trotz gegenüber einem Staat, von dem man das Schlimmste erwartet.

Monroy veröffentlicht seinen Film in einer Zeit, in der sich bei der Aufklärung der Fälle in Kolumbien einiges tut: Der pensionierte General Mario Montoya und acht weitere hochrangige Armeeangehörige wurden Ende August von einem Sondergericht des kolumbianischen Friedensprozesses der Kriegsverbrechen schuldig gesprochen. Am 3. Oktober 2023 bat der amtierende linke Präsident Gustavo Petro bei einem Staatsakt die Angehörigen um Verzeihung. Es ist das erste Mal, dass eine Regierung die staatliche Verantwortung für dieses Morden anerkennt. Der Film ist ein wichtiger Beitrag, diese Geschichte nicht zu vergessen und ihre Aufarbeitung weiterzubringen.

Die Madres de falsos positivos sind bis zum 23. Oktober auf Rundreise in Deutschland.

Nikolas Grimm ist Mitarbeiter im iz3w.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 399 Heft bestellen
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