Ein gemalte Collage aus Menschen in Kleidung im Kolonialstil und glutroten Flammen
»Palast aus Flammen«, Malerei von Wan wo Layir

Leichen im Keller

Ein Kommentar zur Rückgabe der Götterstatue Ngonnso

Seit 120 Jahren befindet sich Ngonnso, eine Figur, die die Gründungsgottheit der Nso repräsentiert, in deutschem Besitz. Die Nso konnten in den 1970er-Jahren herausfinden, dass sich die Statue in den Händen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin befindet. Seitdem kämpfen sie um ihre Rückgabe. Im Juni 2022 gab die Stiftung schließlich ihren Willen zur Rückführung bekannt.

von Wan wo Layir

13.01.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 394
Teil des Dossiers Restitution

Auf einer Pressekonferenz am 27. Juni 2022 in Berlin verkündete Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), dass die Stiftung nach einer internen Vorstandssitzung »den Weg für die Rückgabe von Ngonnso an Kamerun frei gemacht« hätte. Die deutsche Stiftung verfügt seit 1962 über die Statue von Ngonnso, der bedeutenden Gründungsgottheit der Nso.

Obwohl die Nso seit über 40 Jahren um Restitution kämpfen, wurde ihnen kein offizielles Dokument ausgehändigt, in dem dieser Wille zur Rückgabe zum Ausdruck käme. Stattdessen erhielten sie lediglich einen braunen Papierumschlag mit einer Kopie der Pressemitteilung, die auch an die Berliner Presse ging. Bei den Nso wurde die Nachricht mit gemischten Gefühlen aufgenommen: Mit Freude, Dankbarkeit, Erleichterung – und bei den Pessimist*innen, wie mir auch mit Wut. Denn, wenn jemand in der Nacht dein Haus in Brand steckt, bedankst du dich nicht für das Licht. Vor allem nicht, wenn dein Blut und deine Knochen der Brennstoff dieses Feuers sind. Meine Wut oder Hoffnungslosigkeit bezieht sich auf die Wortwahl und die Oberflächlichkeit dieser Pressemitteilung.

Laut der Pressemitteilung ist die SPK offen für die »Rückkehr« von Ngonnso – nicht für Restitution oder Wiedergutmachung. Ein steriler Akt, der lediglich dem Druck der Rückgabeforderungen nachgibt. Dabei wird die Community selbst als Verhandlungspartner*in ignoriert: Die SPK schlug vor, Ngonnso nach Kamerun zurückzuschicken, bestand aber darauf mit den nationalen Behörden zusammenzuarbeiten. Außerdem heißt es in der Mitteilung, dass dieses »Objekt« für das Volk der Nso von großer spiritueller Bedeutung sei. Indem die SPK aber im Folgenden feststellt, dass Nso ein »historisches Königreich« sei, wird die gegenwärtige Existenz der Nso unterschlagen. Dieser Rückgriff auf das Bild der ,edlen Wilden‘, die nur in der Vergangenheit, in einer Art dunklem Zeitalter existierten und für die nur die Spiritualität zählte, ignoriert die Bedeutung völlig, die Ngonnso heute für das Volk der Nso einnimmt.

Denn Ngonnso hat nicht nur eine spirituelle, sondern auch eine zutiefst dekoloniale Bedeutung. Mit ihren jahrzehntelangen Rückgabeforderungen haben die Nso ihre Vorstellungen von dekolonialer Gerechtigkeit gegenüber den Deutschen artikuliert: Die Kaiserlichen ,Schutztruppen‘ führten Anfang des 20. Jahrhunderts mehrere Strafexpeditionen gegen die Nso an und töteten und verhafteten Tausende Menschen. Sie stahlen Elfenbein, brannten den Palast nieder und töteten den Fon, die politische und spirituelle Führungspersönlichkeit der Nso. In diesem Zusammenhang ist Ngonnso also kein Objekt für die Nso. Sondern ein Subjekt, das über seine materielle Form hinausgeht und als Verbindung zur spirituellen Welt der Vorfahren dient, aber auch als Brücke zwischen dem Jetzt und einer Welt der dekolonialen Gerechtigkeit.

Ironischerweise schmückt sich die SPK in ihrem Schreiben auch damit, über »mehrere Jahre in Kontakt mit Vertreter*innen der Nso« gewesen zu sein. Dabei wurde versucht, eben diese aus den Museen fernzuhalten: Der Zugang zu den Archiven wurde verwehrt, ihre Forderungen nach Rückgabe wurden abgelehnt oder ignoriert. Dennoch behauptet die SPK, dass die Gespräche mit diesen Vertreter*innen zur Schlussfolgerung geführt hätten, dass Ngonnso »nicht durch Plünderung im Rahmen von Kriegshandlungen« entführt worden war – als wären Kolonialherrschaft und Krieg auf ein einmaliges Ereignis zu reduzieren.

Die erwähnten »Gespräche« fanden einmalig am 10. Dezember 2021 über Zoom statt. Dabei musste der Historiker Verkijika Fanso immer wieder die Tatsache verteidigen, dass Ngonnso vom deutschen Kolonialoffizier Hans Glauning entführt wurde. Das Museum hingegen behauptet, die Statue sei als »Schenkung« des Kolonialoffiziers Kurt von Pavel nach Berlin gekommen.

Ein strategischer Schritt?

Zu diesem Zeitpunkt wurde ich selbst aus dem Humboldt Forum verbannt, weil ich zu viele unbequeme Fragen zur Herkunft ihrer ,Sammlungen‘ gestellt hatte. In einem Schreiben forderte man mich auf, mich zu erklären, andernfalls würde das Hausverbot dauerhaft sein. Nach meiner Antwort wurde ich am 13. Januar zu einem Gespräch mit Vertreter*innen des Humboldt Forums, der SPK und des ethnologischen Museums eingeladen. Während dieses Treffens meinte die Vertretung der Provenienzforschung über Ngonnso: »Wie in den meisten Fällen lassen sich die genauen Umstände des Erwerbs nicht nachvollziehen. Es handelt sich um eine komplizierte Geschichte des Erwerbs, aber es ist völlig klar, dass Ngonnso nicht legal angeeignet wurde.«

Die Statue sei als »Schenkung« nach Berlin gekommen

Demnach sind die Erwerbsumstände von Ngonnso nicht so eindeutig nachgewiesen, wie es die SPK in ihrer Pressemitteilung behauptet. Die Rückgabe wurde bekanntgegeben, ohne dass die notwendige Recherchearbeit geleistet worden wäre. Dazu macht die SPK im Schreiben deutlich, dass es bei der »Frage der Rückführung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten nicht allein auf einen Unrechtskontext ankommt. Auch die besondere – vor allem spirituelle – Bedeutung eines Objekts für die Herkunftsgesellschaft kann eine Rückgabe begründen«. Demnach wäre die Entscheidung als Wohlwollen des Museums zu verstehen, um die Nso vor einem Mangel an Spiritualität zu bewahren. Ist es nicht genügend koloniales Unrecht, wenn in Berlin wieder eine Gruppe weißer Männer Entscheidungen über die Zukunft der Nso trifft, ohne dass diese anwesend sind? Stellt der seit 120 Jahren ungerechtfertigte Entzug des Zugangs zu einer so bedeutenden Figur keinen Akt der Ungerechtigkeit an sich dar? Muss es sich um einen Krieg handeln, damit es als koloniales Unrecht gilt?

Diese Fragen wurden nicht mit der Gemeinschaft der Nso geklärt. Stattdessen wollte das Museum diesen Prozess schnell über die Bühne bringen. Ich vermute, dass die Rückgabeentscheidung ein strategischer Schritt war, weil die SPK Leichen im Keller hat – im übertragenen Sinn, aber auch im wörtlichen. Vieles deutet darauf hin, dass die kolonialen Militärs in Nso menschliche Überreste gestohlen haben: Hans Glauning befand sich auf der Strafexpedition gegen die Nso in Begleitung von Wilhelm Eckhard, einem Militärarzt, der sich mit dem ,Sammeln‘ menschlicher Überreste einen Namen gemacht hatte. Ein Teil seiner ,Sammlung‘ ist heute im Museum für Früh- und Vorgeschichte untergebracht, das der SPK angehört und in dem sich Überreste der Nso befinden könnten. Wenn die SPK behauptet, keine Skelette im Keller zu haben, fordere ich sie auf, alle Informationen über Eckhards Expedition mit der Nso-Gemeinschaft zu teilen.

Rückgabe im Gewaltkontext

Bis heute wurden die Archive der SPK nicht für die Vertreter*innen der Nso geöffnet. Würde eine ernst gemeinte Restitution nicht die Öffnung dieser Archive beinhalten? Die SPK gab für dieses Verbot, wie jede echte Kolonialmacht, keine richtige Begründung an, sondern schob Rechtsregelungen vor. Zusätzlich wurde einer Delegation von Wissenschaftler*innen und dem Gefolge des Fon der Nso, die in Deutschland die Rückgabegespräche weiterführen wollte, nur ein paar Stunden vor ihrem Flug die Einreise verweigert. Diese systematischen Hindernisse machen es den Nso, sowie anderen vom Kolonialismus betroffenen Gemeinschaften, unmöglich, vollumfänglich über das koloniale Unrecht zu sprechen, das ihnen widerfahren ist.

Die Pressemitteilung der SPK kündigte Gespräche über Rückgabe von Ngonnso an. Gleichzeitig machte die Stiftung den Nso damit auch klar, dass die Gespräche nach ihren Regeln stattfinden werden. Das Dokument kommt einer kolonialen Neudefinition von Restitution gleich, die ohne Reparationen auskommt. Gleichzeitig ist Restitution nach diesem Verständnis weder eine rechtliche noch eine moralische Frage, sondern eher ein Appell an das Wohlwollen weißer (neo-)kolonialer Regierungen und Institutionen. Dabei hat die SPK und die deutsche Regierung Ngonnso nicht in einem Vakuum ,erworben‘, sondern im Gewaltkontext des Kolonialismus, in dem auch der Nso-Palast niedergebrannt wurde. Sollen wir ihnen also doch dafür dankbar sein, dass sie unseren Palast angezündet haben? Wenn unser Blut und unsere Knochen der Brennstoff dieses Feuers waren, sollten wir ihnen zumindest dankbar sein für das Licht und die Wärme, die das Feuer gebracht hat. Und die Asche vergessen.

Ngonnso hat in der Tat eine große Bedeutung für die Nso: Ngonnso ist die Möglichkeit das Ausmaß der kolonialen Gewalt zu begreifen und eine dekoloniale Zukunft zu artikulieren. Dies zu ignorieren hieße, den Nso die Anerkennung dieser Vergangenheit und den Anspruch auf eine gerechtere Zukunft zu verweigern.

Wan wo Layir (Lam’nso: »das Kind ohne Namen«) bezeichnet sich als Drapetomanie-Patient*in. Wan wo Layir ist Künstler*in und beschäftigt sich mit subalternen Studien, Dekolonialisierung, Black Empowerment und kritischen Museumsstudien. Blog: randomramblings.eu

 

Übersetzung aus dem Englischen: Annalena Eble.

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