Portraitfoto von Karl Pfeifer
Portrait des Journalisten und Antifaschisten Pfeifer aus dem Film »Somehow in Between - The Life of the Journalist Karl Pfeifer« | Foto: Johannes Zinner

Niemals ruhen

Zum Tod des Journalisten und Shoa-Überlebenden Karl Pfeifer

»Zwischen allen Stühlen« heißt ein Film über Karl Pfeifer.* Es war sicher kein Ungeschick, das ihn immer wieder zwischen allen Stühlen landen ließ. Es war seine Geradlinigkeit, sein unbestechlicher Blick und seine Bereitschaft, seine Erkenntnisse und Meinungen kundzutun und zu ihnen zu stehen, sei es auch unbequem. Am 6. Januar ist Karl Pfeifer gestorben, seine kritische Stimme fehlt schon jetzt.

Er wurde 1928 als Sohn ungarisch-jüdischer Eltern in Baden bei Wien geboren. Von Kindheit an war er mit antisemitischer Ausgrenzung konfrontiert. Sein 15 Jahre älterer Bruder Erwin hatte früh die Konsequenz gezogen, sich der zionistischen Bewegung anzuschließen und nach Palästina auszuwandern. Mit dem ‚Anschluss‘ 1938 sah sich auch die übrige Familie gezwungen, Österreich zu verlassen und reiste über Umwege nach Ungarn, wo zahlreiche Verwandte lebten. Karl Pfeifer lernte innerhalb eines Jahres fließend Ungarisch – und war bald wieder antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt. Er stellte fest, dass er als Jude trotz seiner tiefen familiären Verankerung in diesem Land kein Ungar war. Waren unter dem ‚Reichsverweser‘ Miklós Horthy bereits ab 1920 antisemitische Gesetze erlassen worden, wurden Jüdinnen und Juden in Ungarn unter deutscher Besatzung und der von Horthy eingesetzten Marionettenregierung ab 1944 systematisch deportiert und ermordet. Die faschistischen Pfeilkreuzler führten die Vernichtung weiter.

Viele nahe Verwandte Karl Pfeifers wurden ermordet. Seine Mutter starb 1940 an einer schweren Krankheit, sein Vater kurz nach der Befreiung Budapests. Karl Pfeifer schloss sich früh der zionistisch-sozialistischen Jugendorganisation Hashomer Hatzair an. Hier fand er junge Menschen mit einer ähnlichen Haltung und eine Art Ersatzfamilie. Über Hashomer Hatzair gelang ihm 1943 mit einem der letzten Kindertransporte und einem gefälschten Pass die Flucht nach Palästina. Dort verbrachte er die ersten Jahre in Kibbuzim, wo er Hebräisch lernte und lebenslange Freundschaften schloss. 1946 schloss er sich dem Palmach, der Elitetruppe der zionistischen Untergrundarmee Hagana, an und kämpfte im Unabhängigkeitskrieg bis zur Gründung Israels.

Pfeifer kehrt zurück nach Europa

1951 kehrte Karl Pfeifer nach Österreich zurück, wo er nicht freundlich aufgenommen wurde. Für die ehemaligen Nazis war er als überlebender Jude unbequem. Dazu war er noch ein Linker, der sich aber wegen seiner offenen Kritik an Stalin auch bei der KPÖ unbeliebt machte. So wurde er »kein Kommunist« und verzichtete auch auf das für das eigene Fortkommen fast unabdingbare Parteibuch irgendeiner Couleur. Später wurde er ob seiner klaren Worte über einen rechten Politikwissenschaftler von der FPÖ in einen langen Rechtsstreit verwickelt. Aber er machte es sich auch nicht im Lager der FPÖ-Gegner*innen bequem: Dort eckte er mit Kritik an linkem Antisemitismus an.

Karl Pfeifer prangerte die Mitgliedschaft der Orbán-Partei Fidesz in der Europäischen Volkspartei an, als das noch kaum jemanden interessierte

Bleibend war die Verbundenheit zu Israel und Ungarn. Beide Länder besuchte er zeitlebens immer wieder – im Falle Ungarns war das ab 1955 möglich, nach dem Ende des stalinistischen Rákosi-Regimes. Mit sozialistisch geprägtem Wohlwollen angekommen, bemerkte er sofort Missstände. Dies verstärkte sich ab 1979, als er in Budapest mit Dissident*innen in Kontakt kam. Daraus entstand Karl Pfeifers erster Artikel für die österreichische Arbeiterzeitung, in dem er unter anderem auf Ungarns Wohnungsnot, Korruption und die weltweit höchste Selbstmordrate aufmerksam machte. Wenig später wurde er Redakteur der Zeitung der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien. Obwohl er anfangs unter Pseudonym schrieb, wurde seine Tätigkeit von den Behörden registriert. In den 1980er-Jahren wurde er viermal aus Ungarn ausgewiesen.

Nach der ‚Wende‘ 1989 schaute Karl Pfeifer genauso kritisch auf die ungarischen Zustände wie zuvor. Aus seinen Artikeln lässt sich nachverfolgen, wie schnell Nationalismus und Antisemitismus sich nach 1989 Bahn brachen. Diese Entwicklung verschärfte sich unter Ministerpräsident Viktor Orbán. Karl Pfeifers Analyse ging dabei derjenigen anderer Medien voraus und sie ging über das hinaus, was bisweilen recht gleichförmig skandalisiert wurde. Antisemitismus wie Antiziganismus, Nationalismus und Geschichtsrevisionismus – insbesondere die Verharmlosung des Horthy-Regimes –, Sozialabbau und Korruption, die Zerschlagung der Linken, der kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen, all das zeigte Karl Pfeifer akribisch auf. Zudem benannte er die mangelnde Kritik im Ausland. Er prangerte die Mitgliedschaft der Orbán-Partei Fidesz in der Europäischen Volkspartei an, als das noch kaum jemanden interessierte. Seine journalistische Tätigkeit zu Ungarn führte er bis zu seinem Tod fort.

»Er war und blieb einer der wichtigsten Vermittler zwischen den ungarischen zivilen Gruppen und der deutschsprachigen Öffentlichkeit«, so der Schriftsteller György Dalos *. Erst in seinen letzten Lebensjahren wurde seine Leistung – auch als Zeitzeuge – im offiziellen Österreich anerkannt und er mehrfach geehrt. Er starb, bis zuletzt aktiv und voller Pläne, plötzlich in Anwesenheit seiner Ehefrau Dagmar Pfeifer. Mit ihm haben wir einen geistreichen, humorvollen, lieben Kollegen mit Rückgrat verloren und zugleich eine der letzten Stimmen eines ‚alten‘, polyglotten und nicht an Ländergrenzen interessierten Mitteleuropas.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 395 Heft bestellen
Unsere Inhalte sind werbefrei!

Wir machen seit Jahrzehnten unabhängigen Journalismus, kollektiv und kritisch. Unsere Autor*innen schreiben ohne Honorar. Hauptamtliche Redaktion, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit halten den Laden am Laufen.

iz3w unterstützen