»Wenn die Generation Z ein bisschen älter ist, muss der Staat gehen«

Im Gespräch mit der queer­feministischen Exiliranerin Mina Khani

Audiobeitrag von Eva Gutensohn

07.03.2024
Teil des Dossiers Feministische Kämpfe

In Iran gelten mit die schärfsten Gesetze, was Homosexualität betrifft. Seit der Revolution 1978 wurden hunderte Menschen aus diesem Grund öffentlich hingerichtet - sie werden es auch aktuell, vor allem junge Menschen, zum Zweck der Abschreckung. Die Queerfeministin, Aktivistin und Autorin Mina Khani lebt daher schon lange in Deutschland, ist aber in engem Kontakt mit der Bewegung und berichtet über die Situation vor Ort, ihre eigenen Erfahrungen und ihre Hoffnung trotz allem.

Audiobeitrag von Eva Gutensohn

07.03.2024
Teil des Dossiers Feministische Kämpfe

Erstausstrahlung südnordfunk | Radio Deyeckland | 6. Februar 2024

Skript zum Interview

Mina Khani, du bist Exil-Iranerin. Warum bist du nicht mehr in Iran?


Mina Khani: Ich lebe mittlerweile seit 20 Jahren in Deutschland. Als ich Iran verlassen musste, war ich noch Studentin. Ich wurde von der Uni exmatrikuliert, aus politischen Gründen. Es hatte auch mit dem Hijab zu tun und mit diesen ganzen Geschlechtertrennungen innerhalb der Universität. Ich war ein bisschen rebellisch und wollte Teil dieser Studentenbewegung nach den 1980er Jahren sein, die nicht so groß wie die Bewegung heute war, denn politisch war die Lage noch düsterer als heute. Der iranische Staat konnte damals bereits viele Bewegungen niederschlagen, und damals gab es nicht so eine direkte Kommunikation mit der Außenwelt. Wenn man sich politisch engagieren wollte, war es nicht so einfach. Heute findet man Leute in sozialen Medien. Später habe ich mich 2009 von Deutschland aus als Aktivistin engagiert. Damals hat meine Generation zum ersten Mal erlebt, wie in Iran hunderttausende Menschen auf der Straße waren. Sehr schnell wurde ich von den iranischen Botschaftern und den Staatsmännern hier in Deutschland identifiziert. Sie haben angefangen, über mich zu schreiben. Einmal wurde ich sogar in Berlin von ihnen geschlagen. Von da an wusste ich: Ich kann nicht mehr zurück. Also habe ich 2012 Asyl beantragt, weil mein iranischer Reisepass nicht mehr gültig war. Und seitdem lebe ich offiziell als Exiliranerin und politisch anerkannte Geflüchtete in Deutschland.


Du bezeichnest dich als Queerfeministin. War das vor 20 Jahren in Iran auch schon so? Welche Probleme gingen damit einher, sich so zu identifizieren?

»Als ich zum ersten Mal den Begriff Queer­feministin las, habe ich mich sofort damit identi­fiziert.«

Mina Khani: Damals gab es den Begriff queerfeministisch noch nicht, das hieß eher lesbisch oder feministisch. In meiner Jugend gab es dafür auch keine richtige Sprache. Es sei denn, man hatte Kontakt zu intellektuellen Menschen. Meine Familie war zwar sehr offen, nicht aber in dieser Hinsicht. Ich konnte darüber also auch nicht mit meinen Eltern sprechen. Ich hatte selber kaum eine Sprache dafür. In meiner Jugend dachte ich oft, ich werde irgendwie krank oder so, dass es doch irgendwie nicht normal sei. Ich glaube, so denkt man tatsächlich, wenn man unter so einer Zensur lebt. Niemand redet darüber. Das erste Mal habe ich Lesbsisch-Sein für mich als was Normales empfunden, als ich den Kuss zwischen Britney Spears und Madonna im Fernsehen gesehen habe. Oder es gab dann die Songs von dieser russischen Gruppe T.A.T.u. Durch solche Bilder habe ich mich als ziemlich normal anerkannt und gedacht, so schlimm ist es auch nicht. Beziehungsweise, es ist eine kulturelle Sache: Bei uns ist es schlimm, aber im Westen ist es das nicht. Später an der Uni hatte ich tatsächlich eine Beziehung zu einer meiner engen Freundinnen. Es war nicht sehr sexuell, wir sind nicht so weit gegangen. Aber wir waren zu eng für alle anderen. Wir haben uns auch angefasst, es war sehr emotional. Und dann gab es an der Uni viele Gerüchte über mich. Ich weiß noch, dass ich damals sehr aufgewühlt war. Ich habe mich auch geschämt, weil es rausgekommen ist, wollte mich aber auch immer noch verneinen. Dann bin ich zu Paria hingegangen, hab‘ geweint und gesagt: ‚Hast du gehört, was sie über uns erzählen?‘ Dann hat sie gesagt: ‘Ja. Warum weinst du?‘ Sie war okay damit. So habe ich für mich realisiert, ich kann auch damit klarkommen. Dann bin ich nach Köln gekommen. Und war mittendrin...Kulturschock. Ich wurde gerade 21 und dachte: ‚Boah, ey. Was ist das?‘ Ich war teilweise sauer wegen all dem, was wir nicht mitbekommen haben.

Als ich später zum ersten Mal den Begriff Queerfeministin las, habe ich mich sofort damit identifiziert. Doch alles, was ich erlebte, habe ich komplett vom iranischen Kontext getrennt, weil ich wusste, es kommt raus. Die iranischen Geheimdienste werden das rauskriegen. Irgendjemand wird in der Öffentlichkeit darüber sprechen. Das hat aber wirklich lange gedauert, obwohl ich ja immer auch schon mit der iranischen Queer-Community in Kontakt war, schon seit 2009. Wir haben zusammen gearbeitet, aber ich habe mich nicht geoutet. Manchmal haben sie was vermutet und gefragt: ‚Bist du sicher, dass du nicht Teil der Community bist?‘ Aber bis 2018 habe ich das geheim gehalten.

Die Queeraktivistin Mina Khani (Foto: Braschler/Fischer)

Homosexualität wird in Iran teilweise mit der Todesstrafe geahndet. Wie kann ich mir die Community in Iran unter diesen Bedingungen vorstellen? Führen die Leute ein Doppelleben?

Mina Khani: Es ist sehr kompliziert und schwer zu fassen. Ich kenne zum Beispiel Personen, von denen ich nicht wusste, dass sie queer waren. Wie Fereydun Farrochsad, der iranische Sänger, der im Auftrag des iranischen Regimes ermordet wurde. *. Es gab auch damals Underground-Communities, aber man musste irgendeinen Zugang dazu finden. Für mich waren die damals nicht zugänglich. Sie haben Treffpunkte, sie haben ihre eigene Kultur, sie haben teilweise ihren eigenen Sprachgebrauch, Codes und so weiter. Bestimmte Cafés, bestimmte Stadtviertel, bestimmter Habitus. Ich habe das nicht mitbekommen, weil es sich zum großen Teil in den letzten zwanzig Jahren entwickelt hat. Ich weiß davon, weil ich viele Freunde habe, die aus Iran geflohen sind und erzählt haben, was in der Community alles abgeht.

Was ist das für eine Entwicklung?

Mina Khani: Die iranische queere Generation Z ist komplett anders. Sie ist sehr radikal, sehr antagonistisch, sie ist unzufrieden, rebellisch. Sie ist präsent, zeigt sich, wehrt sich und lernt. Eben habe ich z.B. noch mit einer nicht-binären Person gesprochen, wir sind schon seit über einem Jahr in Kontakt. Diese ganze Gen-Z, die Frau-Leben-Freiheit-Bewegung, hat mir sehr oft über die Ereignisse in Iran berichtet. Auch auf theoretischer und politischer Ebene haut es mich um. Es sind sehr viele. Es gibt natürlich auch in Iran queere Menschen, die ihr Leben leben wollen und nicht groß politisch aktiv sind. Aber als queere Person in Iran leben zu wollen, ist für sich genommen ein einziger Widerstand.

»Als queere Person in Iran leben zu wollen, ist ein einziger Widerstand.«

Du musst die ganzen Zeit massiv Widerstand leisten. Wegen der Familie, wegen dieser ganzen Gesetze, usw. Kriminalisiert werden in Iran die gleichgeschlechtlichen Handlungen, das steht im Gesetz. Sanktioniert von Peitschenhieben bis zur Todesstrafe. Iran ist sowieso eines der wenigen Länder, in denen es immer noch die Todesstrafe für so etwas gibt. Bei Männern ist es ein bisschen klarer und expliziter. Für Frauen ist es komplizierter, in ihrem Fall gilt es als Verbreitung der Korruption auf Erden. Die Fälle weiblicher Homosexualität waren sehr intransparent. Bis auf zwei Fälle, die dann auch in Deutschland bekannt wurden: Sareh Sedighi-Hamedani und Elham Choobdar wurden in Iran wegen »Propaganda für Homosexualität« zur Todesstrafe verurteilt. Zum Glück ist es nicht vollstreckt worden. Sareh ist jetzt in Deutschland, sie ist eine Freundin. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, was das für ein Schock war. Ihr Fall und der Fall von Elham waren wirklich ein Präzedenzfall. Der Staat hat gemerkt, dass die queere Community jedoch zurückschlägt. In den letzten zehn Jahren hat sich die queer-Community immer mehr politisiert. Man sieht immer mehr Menschen, die gerade aus Iran rausgekommen sind oder sogar immer noch in Iran leben und sich als queer outen. Das hat sich am heftigsten während der Frau-Leben-Freiheit Bewegung gezeigt. Ich habe selber zwei Kampagnen gestartet, in denen es um die gleichgeschlechtliche Liebe ging. Man sieht, wie queere Menschen Händchen halten oder sich küssen, ohne dass man ihr Gesicht erkennt. Love is love. Wir erhielten viele Fotos und wurden teilweise mit Nachrichten aus Iran von der queeren Community bombardiert. Weil sie sich zeigen wollten, sichtbar sein und kämpfen wollten. Auch innerhalb der Diaspora war die queere Community sehr aktiv, weil es ja zum ersten Mal um Gendergerechtigkeit innerhalb einer großen Bewegung ging. Die Frauenbewegung gab es immer schon und sie war seit je her eine Verbündete der queeren Community, wenngleich sie selber manchmal homophob und transphob war. Trotzdem war die iranische Frauenbewegung vom Mindset her offen. Man konnte mit ihnen sprechen und man konnte sie auch für sich gewinnen.

Gibt es etwas, das dir wirklich Hoffnung macht für die (queeren) Menschen in Iran?

Mina Khani Ja, die Generation Z. Sie werden in den nächsten Jahren nicht nur den iranischen Staat und die iranische Gesellschaft überraschen, sondern auch die Welt. Sie sind ja gerade noch Teenager. Aber die werden größer, die werden älter, die werden reifer. Sie haben in den letzten zwei Jahren krasse Erfahrungen gemacht. Und haben das noch nicht verarbeitet. Viele wurden festgenommen, viele wurden ermordet. Sie haben mittlerweile Held*innen unter sich. Sie haben Namen, Gesichter, Figuren wie Nika, Soraya, Mehrshad, viele andere. Der revolutionäre Akt dieser Generation auf der Straße und innerhalb der Schulen während der Frauen Leben-Freiheit-Bewegung bestand teilweise nur noch darin, dass sie gezeigt haben, wie sie sind.

»Die Generation Z wird in den nächsten Jahren nicht nur den iranischen Staat, sondern auch die Welt überraschen.«


Die Leute der Gen-Z haben nicht unbedingt große Reden gehalten oder krasse Texte oder Manifeste geschrieben. Es war einfach nur ihre Präsenz auf der Straße. Doch das war so heftig für diesen Staat, dass der sie gezielt ermordet hat, davon bin ich überzeugt. Man erkennt im Handeln des Staats Muster – etwa, welche Jugendlichen direkt durch Schießereien oder Schlägereien ermordet werden. Es gibt großen Hass von Seiten des Staates gegenüber diesen Jugendlichen, er nimmt systematisch die Jugendlichen und junge Menschen fest und richtet sie auch systematisch hin – um abzuschrecken. Und es gibt auf der anderen Seite eine starke Resilienz der Jugendlichen gegenüber dem Staat. Sie werden die gesellschaftlichen Strukturen verändern und wir befinden uns gerade in diesem Prozess. 2019 hat der Staat bei landesweiten Protesten das Internet drei, vier Tage komplett ausgeschaltet und dann gab über 1.500 Ermordete auf der Straße, darunter mehr als 30, 40 Jugendliche. Ich sagte schon damals, das wird die Jugend in Iran heftig politisieren. Genau das haben wir 2022 ja gesehen. Diese Jugend wird diese Bilder nicht vergessen. Und die werden sich weiter politisieren, sie werden noch radikaler. Ich bin mir sicher: wenn die Generation Z ein bisschen älter ist, dann muss der Staat gehen.

Vielen Dank, dass du deine Erfahrungen, dein Wissen und auch persönliche Dinge geteilt hast.

Eva Gutensohn arbeitet bei Radio Dreyeckland.

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