Mitglieder des Kollektivs Yasunidos bringen Kisten voller Unterschriftenlisten zur Nationalen Wahlbehörde
Das Kollektiv YASunidos überreicht Unterschriften | Foto: Pedro Bermeo

»Wir können nicht auf die nächste Klima­konferenz warten«

Antonella Calle über das Referendum zu Ölförderung in Ecuador

Seit über zehn Jahren kämpft die Initiative YASunidos für ein Verbot der Erdölförderung im Nationalpark Yasuní, der im ecuadorianischen Amazonasgebiet liegt. Bereits 2013 hatte die Bewegung Unterschriften für ein Referendum über einen Förderstopp gesammelt. Seither blockierten Ecuadors Regierungen die Abstimmung – bis im vergangenen Jahr das Verfassungsgericht verfügte, dass das Referendum durchgeführt werden müsse. Für YASunidos war das Ergebnis am 20. August 2023 ein voller Erfolg: 54 Prozent der Ecuadorianer*innen sprachen sich für den Schutz des Nationalparks aus. In Ishpingo, Tambococha und Tiputini (kurz: ITT) darf damit kein Erdöl mehr gefördert werden. Wir sprachen mit Antonella Calle Avilés, einer der Sprecherinnen von YASunidos, über die Hintergründe des Referendums und welche Perspektiven sich daraus für die Klimabewegung weltweit ergeben.

von Robert Gather

17.10.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 399
Teil des Dossiers Klimakrise

iz3w: Ihr habt zehn Jahre für die Durchführung dieses Referendums gekämpft. Mit welchen Widerständen hattet ihr zu ringen? Und wer versuchte das Referendum zu verhindern?

Antonella Calle: * Widerstand gab es bereits 2013, als wir das Referendum erstmals initiieren wollten. Damals hat die linke Regierung von Präsident Rafael Correa die etwa 757.000 Unterschriften, die wir dafür gesammelt haben, für ungültig erklärt. Somit konnte das Referendum nicht stattfinden. Auch die folgenden Regierungen von Lenín Moreno und Guillermo Lasso stellten sich klar gegen die Volksabstimmung. Zeitweise, insbesondere unter der Regierung von Correa, wurden wir Aktivist*innen verfolgt, als wären wir eine kriminelle Gruppe. Dahinter stehen vor allem auch die Interessen der Ölindustrie. Diese hat traditionell großen Einfluss in der ecuadorianischen Rechten. Aber auch in der Linken gibt es Kräfte, die sich soziale Gerechtigkeit nur auf Grundlage eines extraktivistischen Systems vorstellen können.

Welche Kräfte und Organisationen haben diesen Kampf für das Referendum und für den Nationalpark Yasuní hauptsächlich getragen?

Der Kampf für die Verteidigung des Yasuní war ebenso vielfältig wie der Nationalpark selbst und vereinigte sehr unterschiedliche Teile der ecuadorianischen Gesellschaft. Dazu gehörten natürlich die indigene Bewegung und die Umweltbewegung, aber auch die feministischen Genoss*Innen, die Arbeiter*innen oder Tierschutzorganisationen. Bereits vor zehn Jahren arbeiteten diese unterschiedlichen Bewegungen beim Sammeln der Unterschriften zusammen. Das war eine wichtige Grundlage dafür, dass wir nun eine überwältigende Mehrheit für den Schutz des Yasuní gewinnen konnten.

Du hast die Regierung von Correa als eine ausgesprochene Gegnerin des Referendums genannt. Eines der Vermächtnisse der ersten Amtszeit Correas ist jedoch auch die Verfassung von 2008, in der die Rechte der Natur verankert sind. Wie wichtig war oder ist diese Verfassung – auch in Hinblick auf das Referendum?

Es stimmt, dass Ecuador das erste Land war, dass in seiner Verfassung die Rechte der Natur schützt. Aber diese Verfassung stammte nicht aus der Feder Rafael Correas, sondern wurde von einer Vielzahl sozialer Organisationen ausgearbeitet. Zwar hat die Regierung die verfassungsgebende Versammlung einberufen und diese dann auch angenommen, aber die Verfassung kommt von der ecuadorianischen Bevölkerung, nicht von den Politiker*innen. Die letzten Wahlen haben gezeigt, dass es in der ecuadorianischen Gesellschaft – unabhängig von der jeweils amtierenden Regierung – einen relativ breiten Konsens für den Schutz der Umwelt gibt. Neben dem erfolgreichen Referendum für den Yasuní gab es am selben Tag einen weiteren erfolgreichen Volksentscheid mit über 68 Prozent Zustimmung, der den Bergbau in der Andenregion Chocó bei Quito verbietet.

»Der Kampf für die Verteidigung des Yasuní war ebenso vielfältig wie der Nationalpark selbst«

International wird die Regierung Correa häufig immer noch als progressive linke Regierung gesehen. In wirtschaftlichen und sozialen Fragen mag das teilweise stimmen, aber bei Themen wie reproduktiven und sexuellen Rechten, den Rechten der LGBTIQ-Gemeinschaft und mit Blick auf den repressiven Umgang mit sozialen Bewegungen, steht sie überhaupt nicht für fortschrittliche Positionen.

Zeitgleich mit dem Referendum fand auch die erste Runde der Präsidentschaftswahlen statt. Am 15. Oktober werden sich nun mit Luisa González eine Correista und mit Daniel Noboa ein Kandidat der Wirtschaftselite gegenüberstehen. González hat von Anfang an die Initiative zum Stopp der Erdölförderung in Yasuní abgelehnt, während Noboa sich vor den Wahlen für das »Ja« ausgesprochen hat. Was erhoffst du dir von den Wahlen und einer neuen Regierung?

Wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut, ist die Sache ziemlich eindeutig: Der große Gewinner hierbei ist der Yasuní. Das ist ein klares Zeichen an die Politik: Die nächste Regierung – ob sie nun Noboa oder González heißt – muss die Agenda, die die ecuadorianische Gesellschaft im Referendum vorgegeben hat, respektieren. Konkret heißt das, das Öl im Boden zu lassen, die Förderung zu beenden, die zugehörige Infrastruktur wieder abzubauen, die Natur wiederherzustellen und außerdem die indigenen Gemeinschaften zu entschädigen.

Es besteht jedoch Grund zur Sorge, dass die Regierenden nicht in diesem Sinne handeln. Vor einigen Tagen hat der aktuelle Energieminister der Regierung Lasso erklärt, sie würden das Ergebnis des Referendums nicht anerkennen. Darauf folgte ein großer Aufschrei, sogar aus dem Lager der Gegner*innen des Referendums, weil es die Grundlagen unserer Demokratie in Frage stellt. Inzwischen hat Andrés Arauz, der Kandidat für die Vizepräsidentschaft des Correismo, erklärt, dass sie das demokratische Ergebnis respektieren werden. Dennoch ist die Frage der Umsetzung entscheidend. Beispielsweise plant Nobao, das Ergebnis zwar umzusetzen, aber die ausfallenden Staatseinnahmen mit einem drastischen Ausbau von Bergbauprojekten zu kompensieren. Dieses Szenario entspricht natürlich absolut nicht unseren Vorstellungen!

Welche Auswirkungen hätte ein Ausstieg aus der Erdölförderung auf die Staatsfinanzen und welche anderen Wirtschaftsmodelle schlagt ihr vor?

»Würden die Unternehmen ihren Anteil zahlen, könnte der Wegfall der Öleinahmen ausgeglichen werden«

Ganz grundlegend fordern wir eine Umverteilung des Reichtums. Zuallererst müssten dann die umsatzstärksten Unternehmen des Landes ihren gerechten Teil beitragen. Dazu gehört ein Ende der Steuervorteile, die die vergangenen Regierungen den Unternehmen gewährt haben. Zweitens gibt es in Ecuador Unternehmen, wie das der Familie Noboa, die dem ecuadorianischen Staat trotz aller Steuervorteile Millionen von Dollar schulden, die nicht eingetrieben werden. Würden die Unternehmen ihren Anteil zahlen, könnte der Wegfall der Öleinnahmen aus Yasuní-ITT im Staatshaushalt mehr als ausgeglichen werden. Wir sollten soziale Investitionen finanzieren, indem wir die Reichen besteuern.

Es ist das erste Mal weltweit, dass sich die Bevölkerung eines Landes in einem solchen Referendum für den Schutz der Natur und gegen den Extraktivismus entscheidet. Wie siehst du die internationale Bedeutung dieser Erfolge?

Meiner Meinung nach sendet Ecuador mit diesem Referendum zwei wichtige Botschaften an die Welt: Überall auf der Welt gibt es extraktivistische Projekte, die nicht demokratisch legitimiert sind und von der Mehrheit der Betroffenen nicht erwünscht sind.

Mit dem Referendum wurde gezeigt: »Ihr kommt mit euren antidemokratischen Praktiken hier nicht durch, hier wird das ecuadorianische Volk entscheiden, ob ihr bleibt oder geht«. Gegen den Extraktivismus setzen wir die Demokratie, denn wenn Projekte ganz Ecuador betreffen, müssen alle antworten – und nicht nur die Politiker*innen.

Die zweite Botschaft bezieht sich auf die jährlichen UN-Klimagipfel, bei denen am Ende meist nichts erreicht wird. Jedes Jahr setzen sich dort die Mächtigen zusammen, um Lösungen zu erörtern. Die Ergebnisse umfassen nur sehr vage Vereinbarungen – und manchmal nicht einmal das. Als wir vor zehn Jahren mit der Unterschriftensammlung begannen, war der Klimawandel noch nicht so nah – heute spürt man die Auswirkung bereits sehr drastisch, sowohl im Globalen Süden wie auch im Norden. Deshalb gilt: Wir können nicht einfach weiterhin jedes Jahr auf die nächste Klimakonferenz warten. Wir Bürger*innen müssen anfangen, konkrete Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise zu ergreifen und durchzusetzen. Wenn wir dabei allein auf die Regierungen vertrauen, können wir lange warten.

Robert Gather ist Mitarbeiter im iz3w.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 399 Heft bestellen
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