Buchcover von Norbert Rehrmann: Simón Bolívar. Die Lebensgeschichte des Mannes, der Lateinamerika befreite.

Befreier und Despot

Rezensiert von Jürgen Schübelin

17.02.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 401

Simón Bolívar ist auch 194 Jahre nach seinem Tod in ganz Lateinamerika – am extremsten in seinem Geburtsland Venezuela – omnipräsent: im politischen Diskurs, natürlich in den Schulen und erst recht in der Literatur, meist mit viel verklärendem Pathos und gerne jenseits der Grenze zum Kitsch. Der 2010 verstorbene Dresdner Kulturwissenschaftler Norbert Rehrmann hat bereits 2009 eine Biographie verfasst, die ein Kontrastprojekt dazu darstellt. Nun wurde die reich illustrierte Biografie des Libertador neu aufgelegt.

Was dieses aufwändige Standardwerk so lesenswert macht, ist seine Balance. Einerseits würdigt der Autor Bolívar als militärischen Strategen, politischen Visionär eines geeinten Lateinamerikas und Autor von Verfassungen sowie rhetorisch beeindruckenden Traktaten und Essays. Andererseits benennt er klar dessen finstere Seiten als Despot und Verantwortlichen für Kriegsverbrechen. Rehrmann zeichnet akribisch den Weg eines jungen Mannes aus einem reichen kreolischen Elternhaus nach, der nie eine Universität besuchte, sich aber als rastloser Vielleser eine profunde humanistische Bildung aneignete, intensive Lehr- und Wanderjahre in Europa und den USA verbrachte, ein exzessives, geradezu selbstzerstörerisches Sexualleben führte, und sich im Alter von 22 Jahren für berufen hielt, die Revolution gegen die Herrschaft Spaniens anzuführen. Der Weg bis dahin war jedoch von zahlreichen Rückschlägen gepflastert.

Ausführlich geht Rehrmann auf die Unterstützung ein, die Bolívar aus Haiti erhielt, das 1804 seine Unabhängigkeit und das Ende der Sklaverei erkämpfte. Dabei arbeitet er heraus, wie widersprüchlich dennoch die Einstellung des weißen Libertador gegenüber der afrokaribischen und indigenen Mehrheitsbevölkerung Venezuelas und Kolumbiens zeitlebens war. Klar benennt er auch die Kriegsverbrechen, wie Bolívars Befehl, im Februar 1814 über 800 spanische und kanarische Kriegsgefangene exekutieren zu lassen.

Rehrmanns Bolívar ist ein Mann mit außerordentlichen Begabungen aber auch extremen Schwächen. Er zeigt auf, wie dieser an einer guten Regierungsführung scheiterte, weil er nie auf demokratische Entscheidungsprozesse vertraute, sondern an einen autoritär geführten Staat glaubte. Rehrmann gesteht ihm zu, dabei nie auf den eigenen finanziellen Vorteil aus gewesen sein. Das zumindest unterscheidet ihn von dem kleptokratischen Autokraten-Regime in Venezuela, das ihn als »Bolivarische Republik« im Staatsnamen führt.

Norbert Rehrmann: Simón Bolívar. Die Lebensgeschichte des Mannes, der Lateinamerika befreite. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2023. 224 Seiten, 15 Euro.

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