»Religion und ich waren wie Öl und Feuer«

Wenn Queer­sein und Glauben sich treffen

Audiobeitrag von Antonia Vangelista

06.02.2024

Die Stimmung in Kenia wird feindlicher gegenüber queeren Personen. Kirchen und Moscheen erzeugen und verstärken häufig Vorurteile und hasserfüllte Stimmen. Eine queere Organisation in Mombasa gibt den Glauben an sie trotzdem nicht auf, und verbündet sich mit Priester*innen und Imamen.


Skript zum Audiobeitrag

Erstausstrahlung am 6. Februar 2024 im südnordfunk #117

Sprecherin: Ob Gott etwas gegen queere Menschen hat? Schwierig, ihn-sie-es persönlich zu fragen. Viele Vertreter*innen auf Erden sind jedoch davon überzeugt. Sie predigen, dass queeres Leben nicht gottgefällig sei – und finden Gehör. In Kenia sind mehr als 80 Prozent der Bevölkerung christlich, jeder zehnte Mensch ist muslimisch, Atheist*innen gibt es offiziell kaum. Dylan fühlt sich mittlerweile in der Kirche nicht mehr willkommen:

Dylan K.: Ich hörte auf, zu dieser einen bestimmten Kirche zu gehen, weil die Leute mich dort kannten und darüber tratschten, dass ich schwul bin. Also ging ich zu einer anderen Kirche. Die gleiche Geschichte hat sich wiederholt, bis ich mir gesagt habe: Ich muss aufhören zur Kirche zu gehen. Die Leute betrachten dich dort als einen Ausgestoßenen. Wenn du die Kirche betrittst, schauen sie dich an, als wärest du eine Braut. Es gibt dir keine innere Ruhe. Du kannst dich nicht auf den Gottesdienst konzentrieren. Es ist echt hart, irgendwo zu sein, wo Leute dich behandeln, als gehörtest du zu einer anderen Spezies.

Mit der Bibel die Macht

Sprecherin: Sich ausgestoßen fühlen, wie eine Braut am falschen Ort: Das gehört noch zu den harmloseren Erfahrungen, die queere Menschen in Kenia machen. Oft werden Betroffene auch körperlich angegriffen, ihre Geschäfte werden niedergebrannt, sie werden vergewaltigt und ermordet. Auch Dylan wurde schon zu Schulzeiten bedroht:

Dylan K.: Leute haben mir Namen gegeben, du bist eine Schlampe, ein Homosexueller, ein Perverser und so weiter. Andere haben meinen Namen an die Wände geschrieben. Ich wurde zutiefst verachtet, sogar vor den Lehrern, denn wenn du schwul bist, ist es allen egal. Du bist in unserer Gesellschaft nicht akzeptiert. Ich wurde auch aus meinen Vereinen rausgeworfen. Ich war also ziemlich einsam, könnte man sagen. So ging es weiter, bis eines Tages der Direktor eine Rede hielt. Er zitierte einen Bibelvers aus dem Alten Testament, der besagt, dass Homosexuelle gesteinigt werden sollen. Seit diesem Tag hatten die Leute die Macht, mir alles Mögliche zuzufügen.

Gruppenportrait im Garten von PEMA in Mombasa
Mitglieder der Organisation PEMA in Mombasa treffen das journalists.network | Foto: Gundula Haage

Sprecherin: Es ist kein Einzelfall, dass religiöse Zitate verwendet werden, um gegen queere Menschen zu hetzen. Auch ausländische Gruppen, etwa Evangelikale aus den USA, sollen die Stimmung gegen LGBTIQ-Personen befeuern, und die Regierung unterstützen. * Präsident William Ruto und seine Frau besuchen ebenfalls die immer populärer werdende evangelikale Kirche in Kenia. Bei Dylan stand eines Nachts ein Mob von Schüler*innen vor der Tür seines Internatszimmers.

Dylan K.: Ein großer Lärm hat mich aufgeweckt. Hämmern. Es gab eine schreckliche Aufruhr. Sie haben geschrien und gerufen. Ich erinnere mich, dass es ein Samstagabend in unserer Internatsschule war. Ein Tag, an dem die Leute nichts zu tun hatten. Leute hatten frei und riefen shoga, shoga, shoga. * Und ich so: Was passiert hier? Ich hatte so viel Angst, denn die ganze Zeit hatten die Leute falsche Vorstellungen von mir. Sie meinten, ich trage Makeup und mache all diese Sachen, die Homosexuelle angeblich machen. Ich saß also schockiert auf meinem Bett und konnte mich nicht bewegen. Dann haben die Angestellten alle Schüler*innen aufgefordert, sich zu versammeln. Es gab einen Notalarm, die Menge hat sich dann aufgelöst. Ein Lehrer kam zu mir. Er hat mich erkannt und meinte: Du solltest einen Weg aus der Schule aus finden, um dein Leben zu retten. Ich bin dann geflohen. Nicht durch das Eingangstor, denn das war von den anderen Schüler*innen besetzt. Also bin ich durch den Zaun raus und habe die Nacht im Haus des Lehrers verbracht.

Sprecherin: Selbst dort ist Dylan nicht sicher, auch der Lehrer demütigt ihn wegen seiner sexuellen Orientierung. Dylan verlässt die Schule kurz darauf. Das ganze ist einige Jahre her. Dylan erzählt seine Geschichte in einem Garten in einer ruhigen Wohngegend in Mombasa. Das einstöckige Haus gehört PEMA, einer Organisation für queere Menschen. Der Name bedeutet auf Suaheli soviel wie „ein guter Ort“ oder „ein Ort des Trostes“. Gemeinsam mit einem Dutzend anderer junger Journalist*innen aus Deutschland bin ich hier zu Besuch, empfangen von ungefähr ebenso vielen Mitgliedern von PEMA. Einer von ihnen ist Mustafa.

Mustafa W.: Durch PEMA lernen wir viel. Es gibt eine Kampagne zu unseren Rechten und zu mentaler Gesundheit. Die Leute werden in dieser Organisation sehr gestärkt, und Wissen wird unter den Mitgliedern geteilt.

Sprecherin: Sie werden auch ermutigt, die religiösen Glaubenssätze zu  hinterfragen, die gegen sie verwendet werden. Im Vereinshaus können Mitglieder, wenn sie wollen, zum Gottesdienst zusammenkommen. In Workshops setzen sie sich mit ihrem Glauben auseinander, wie Mustafa erzählt:

Mustafa W.: Ich bin sowohl mit der christlichen als auch der islamischen Religion aufgewachsen: Meine Mutter ist Christin, mein Vater Muslim. Schließlich wurde ich Muslim. Ich habe herausgefunden, dass es im Islam viel Unterdrückung von marginalisierten Gruppen gibt. Deswegen waren Religion und ich zunächst wie Öl und Feuer: Wir konnten nicht zusammenkommen.

Dann hatte ich das Glück, bei einem Workshop von PEMA teilzunehmen. Er richtet sich an muslimische Mitglieder. Bei dem Workshop ging es weniger um religiöse Lehren und mehr um die Gesetze des Universums und um Menschlichkeit. So habe ich den menschlichen Aspekt von Religion verstanden, statt den politischen. Die religiösen Führungspersonen benutzen Religion für politische Absichten, und um Leute zu manipulieren. In Moscheen erzählen sie uns von Himmel und Hölle. Das sollen wir tun, um in den Himmel zu kommen, mit jenen Taten kämen wir in die Hölle. Bei PEMA habe ich eher gelernt, wie ich mich innerlich und persönlich verändern kann, und wie ich mit der Gesellschaft leben kann. Wenn ich gut mit mir selbst und der Community klarkomme, kann ich auch mit den anderen Leuten außerhalb besser zusammenleben. Das hat mir wirklich geholfen.

Himmel und Hölle

Sprecherin: Um ein gutes und sicheres Zusammenleben zu ermöglichen, geht PEMA auch auf diejenigen zu, die queeres Leben oft mit Hölle in Verbindung bringen, und es damit zur Hölle machen: religiöse Führungspersonen. Einer von ihnen ist Reverend Joab Omundi.

Joab Omundi: Auch ich habe gewaltvoll gesprochen, bevor ich angefangen habe, diese Menschen zu verstehen. Dann habe ich Informationen und ein Bewusstsein dafür bekommen, und jetzt spreche ich anders. Es war ein Prozess. Ich habe immer wieder Informationen bekommen und wurde sensibilisiert. Ich habe diese Menschen mehr und mehr verstanden, bis ich sie schließlich akzeptiert habe. Jetzt stehe ich auf der anderen Seite und setze mich für sie ein.

Sprecherin: Es hat Zeit und Geduld gebraucht, dass Reverend Joab Omundi nun an der Seite von queeren Menschen steht. Er erklärt, dass er vorher wie viele andere Menschen zu wenig über sexuelle Identität und Orientierung wusste, und heftige Vorurteile hatte:

Joab Omundi: Ich habe diese Personen als weniger menschlich betrachtet und gedacht, sie handeln nicht richtig. Aber irgendwann habe ich verstanden, dass jede einzelne Person unterschiedlich ist, und so von Gott geschaffen wurde. Wenn jemand bisexuell ist, wurde die Person so von Gott geschaffen. Ich schätze PEMA Kenya, also die LGBTQ-Organisation, mit der ich zusammenarbeite. Sie haben viel Aufklärungsarbeit geleistet und Treffen  organisiert, Barazas. Wir nehmen an diesen Versammlungen teil, und ich habe dadurch viel gelernt.

Sprecherin: Auf Suaheli bezeichnen Barazas Gemeinschaften, die sich treffen, um zu diskutieren, sich zu informieren und – in diesem Fall –Führungspersonen zur Rechenschaft zu ziehen. Auch Imam Mose Mwesi trifft sich seit über fünf Jahren mit Mitgliedern von PEMA. Er sagt, dass sein Glaube ihn davon überzeugt, dass alle Menschen gleichwertig seien.

Mose Mwesi: Wir sind alle menschliche Wesen. Aber siehst Du deine Hautfarbe und meine? Sind sie gleich? Sie sind unterschiedlich. Dein Denken und meines? Unterschiedlich. Warum? Weil Gott, der uns erschaffen hat, verschiedene Sprachen, Hautfarben und so weiter erschaffen hat. Gott mag diejenigen, die rechtschaffen leben. Wir sind alle gleichwertig. Es geht nicht um Hautfarbe, oder darum ob du straight bist oder nicht. Sondern darum, rechtschaffen zu leben. Statt uns gegenseitig zu diskriminieren, warum kommen wir nicht zusammen und schaffen eine Gemeinschaft, die uns Gottes Anerkennung verschafft?

Sprecherin: Er ist engagiert, um andere Imame davon zu überzeugen, dass queere Menschen genauso Teil der Gemeinschaft sind wie alle anderen. Mehr als 500 Imame hat er nach eigenen Angaben bereits erreicht. Aber nicht bei allen stößt er auf offene Ohren – selbst sein Leben und seine Arbeit seien dadurch nicht mehr sicher:

Mose Mwesi: Eine große Hürde für uns religiöse Führer*innen in Afrika ist, dass du dein Leben und deine Möglichkeit zu arbeiten verlieren kannst, wenn du offen bist. Dabei verdienst du so dein täglich Brot. Aber wenn sie erfahren, dass Sheikh XY sich für die LGBTIQ Gemeinschaft einsetzt, schmeißen sie dich aus deiner Moschee oder deiner Kirche. Danach verbreiten sie deinen Namen, sodass du auch anderswo keine Anstellung mehr findest, und deinen Lebensunterhalt nicht mehr verdienen kannst. Wie kannst Du so deiner Verantwortung zu Hause nachkommen? Als Vater und Ehemann, wenn Du kein Einkommen hast? Das ist wirklich eine Herausforderung. Gottseidank habe ich diese Hürde überstanden. Ich habe im August 2021 meine Moscheegemeinde und damit meine Arbeit verloren. Aber das Leben geht weiter, ich lebe noch.

Sprecherin: Seit über zwei Jahren hat er also keine eigene Gemeinde mehr, die ihn bezahlt. Er predigt weiterhin in wechselnden Gemeinden, aber Geld verdient er dabei nicht. Für einen Imam ist es vielleicht keine Option, sich von der Religion als Institution zu entfernen. Für einige queere Menschen, denen oft so viel Ablehnung und Hass entgegenschlägt, schon. Etwa für Mustafa und V-Jay J.

»Religion trennt häufig die Menschen, das Universum bringt sie zusammen«

V-Jay J.: Ich verstehe mich als Muslim*in, bin aber eher spirituell. Ich denke, dass ich nicht alles befolgen muss, was der Koran sagt. Denn ich entscheide, es so zu verstehen wie ich möchte. Ich meine, Religion schränkt uns ein. Ich sage, dass ich Muslim*in bin, weil ich am gleichen Tag beerdigt werden will, an dem ich sterbe. Ich möchte nicht in die Leichenhalle kommen. Aber abgesehen davon halte ich mich nicht an alles, was meine Religion sagt oder will. Früher gab es bestimmte Dinge, die ich nicht gemacht habe, weil das so im Koran steht. Jetzt ist es mir scheißegal.

Sprecherin: Hast Du denn eine spirituelle Praxis, betest Du zum Beispiel?

V-Jay J.: Ich bete, allerdings nicht jeden Tag. Ich bete für mich. Meiner Ansicht nach sind wir alle Götter, ich bin ein*e G*tt. Ich glaube also nicht an ein übernatürliches Wesen, das irgendwo da oben wohnt. Ich glaube an die Kraft des Universums.

Mustafa W.: Ich denke, die meisten aus der LGBTIQ-Community können mehr mit dem Universum anfangen als mit der Religion. Wie ich gesagt habe, trennt Religion häufig die Menschen, und das Universum bringt sie zusammen.

V-Jay J.: Deswegen sind die meisten von uns eher spirituell, obwohl wir in eine Religion hineingeboren werden.

Sprecherin: Spiritualität und der Glaube an die eigenen, vielleicht göttlichen Kräfte ist für einige queere Menschen in Kenia ein Weg, mit dem Hass umzugehen, der ihnen aus Kirchen, Moscheen und der Gesellschaft oft entgegenschlägt. Von ganz viel Kraft und Mut zeugt auch ihre Bemühen, trotz allem auf religiöse Führungspersonen zuzugehen.

Antonia Vangelista war im November mit dem journalists.network auf einer Recherchereise in Kenia und hat PEMA besucht. Die Gespräche mit Reverend und Imam haben ihre Kollegen Philipp Sandner und David Ehl geführt.

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