Buchcover

Pendeln zwischen England, Sudan und Ägypten

Rezensiert von Clara Taxis

27.02.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 395

Das Buch anderswo, daheim ist eine Sammlung von Erzählungen, die Leila Aboulela im Laufe ihrer Karriere einzeln veröffentlicht hat und nun als Band herausgibt. Die Geschichten schrieb Aboulela im Abstand von 18 Jahren, zwischen 1999 und 2017 – der rote Faden ist das Gefühl, im »Anderswo« nicht wirklich zu Hause zu sein.

Die Erzählungen vereint außerdem der Bezug zu Ägypten, Sudan und Großbritannien. Zwischen diesen Ländern ziehen die Protagonist*innen in ihren Familiengeschichten, Liebesbeziehungen oder Migrationsgeschichten ganz unterschiedliche Verbindungslinien. Die Herausforderungen des Lebens zwischen Khartum und London kennt Leila Aboulela aus eigener Erfahrung: Sie kam für ihr Masterstudium nach England und lebt, nach einigen Zwischenstationen in Ländern der Golfregion, seit 2012 in Schottland.

»Das Schick­sal unserer Gene­ration ist an­scheinend die Tren­nung: von unserem Land oder unserer Familie.«

Das Buch beginnt mit der Erzählung eines jungen Briten, der seine sudanesische Freundin in ihrer Heimat besucht und Probleme damit hat, die gemeinsame Beziehung in diesen ,anderen‘ Kontext zu übersetzen. Er schwankt zwischen Hilflosigkeit, Trotz und dem Wunsch, sich zu behaupten. Während in manchen Erzählungen die direkte Migrationserfahrung und die Entfremdung von der neuen Umgebung im Vordergrund stehen, ist es in anderen die Rückkehr und das Gefühl, im Herkunftskontext ebenfalls nicht mehr zu Hause zu sein.

Samra, die in der Erzählung »Der Strauss« aus dem Sudan zurück nach London kommt und von ihrem Ehemann Madschdi empfangen wird, wäre am liebsten in Khartum geblieben. Laut sagen kann sie das nicht, ihr Mann setzt alles daran, in London zu bleiben und spricht verächtlich von der ,Rückständigkeit‘ der gemeinsamen Heimat. Dort wirft man ihr Undankbarkeit vor, da sie es ,geschafft‘ hat und sich trotzdem beschwert – Samra flüchtet sich in Tagträume und fragt sich: Was wäre wenn?

In der Geschichte »Bunte Lichter« fährt die Protagonistin durch das weihnachtliche, kalt-nasse London, während ihre Gedanken im Sudan sind. Sie leidet unter »Entfremdungsschmerz« und sagt sich: »Das Schicksal unserer Generation ist anscheinend die Trennung: von unserem Land oder unserer Familie.« Anlass ist der Todestag ihres vor langer Zeit verstorbenen Bruders, der die Trauer und den Umgang damit in der Familie hochholt.

Diese Erzählung rundet ab, was die Autorin in ihren Geschichten in immer neuen Farben darstellt: Die verschiedenen kulturellen Bezüge, die Frage nach Heimat und Herkunft, begleiten die Protagonist*innen ständig. An vielen Stellen sind sie aber eher der Rahmen für menschliche Tragödien, Herausforderungen und Glücksmomente, als die Hauptbühne der Erzählungen.

Leila Aboulela: anderswo, daheim. Erzählungen. Lenos Verlag, Basel 2022. 238 Seiten, 25 Euro.

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