Perspektiven auf Versöhnung
Rezensiert von Madeleine Lang
08.11.2022
Veröffentlicht im iz3w-Heft 392
Es war ein Schuldeingeständnis, das auf sich warten ließ. Erst 110 Jahre nach der grausamen Vernichtungspolitik des Kaiserreichs gegen die Herero und Nama im heutigen Namibia wurde diese auch von der deutschen Bundesregierung als Völkermord bezeichnet. Dies führte schließlich zur Aufnahme bilateraler Verhandlungen der Regierungen Namibias und Deutschlands im Jahr 2015. Deren Ergebnis, das sogenannte Versöhnungsabkommen, wurde Mitte Mai 2021 von den Sonderbeauftragten beider Länder vorgestellt – und stieß auf Kritik und Ablehnung.
Vor diesem Hintergrund beleuchtet der von Henning Melber und Kristin Platt herausgegebene Sammelband Koloniale Vergangenheit – Postkoloniale Zukunft? das Versöhnungsabkommen, den Völkermord und die Deutsch-Namibischen Beziehungen anhand unterschiedlicher Perspektiven aus Deutschland und Namibia. Zudem geben die Beiträge Anstöße für eine mögliche Zusammenarbeit und Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit der beiden Länder.
Zu Beginn führen drei Artikel in die zentralen Themen ein: die Erinnerungs- und Gedenkkultur, den Umgang mit dem Völkermord in Geschichte und Gegenwart, sowie die Initiativen und Debatten im Deutschen Bundestag und der Außenpolitik. Im zweiten Teil werden diese thematischen Aspekte aus der Sicht von unterschiedlichen politischen, kulturellen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in Deutschland diskutiert. Im Kontrast zum Rest des Buches folgt ein afrofuturistischer, literarisch-poetischer Beitrag, in dem eine »Afro-Deutsche Künstler:in of African Descent« als Zeitreisende*r und Aktivist*in im Zeitstrahl wichtige Stationen der Geschichte Schwarzer Menschen durchlebt. Anschließend werden unterschiedliche Perspektiven, Reflexionen, sowie Familiengeschichten von Namibier*innen und Deutschnamibier*innen vorgestellt.
Stelllenweise gibt es Wiederholungen aufgrund größerer inhaltlicher Überschneidungen zwischen den Beiträgen verschiedener Autor*innen des Sammelbands. Ausgesprochen interessant ist aber, wie unterschiedlich Namibianer*innen, Deutsche und Deutschnamibier*innen den Umgang mit dem Völkermord und die Reaktionen auf das Versöhnungsabkommen erleben. So vermittelt die Diskussion unter verschiedenen Blickwinkeln ein breiteres Bild der Vergangenheit und Zukunft der deutsch-namibischen Beziehungen und macht den Sammelband zu einer empfehlenswerten Lektüre.