Buchcover Motiv Stacheldraht
Buchcover Grenzenlose Gewalt | Autorenkollektiv Meuterei

Europa auf der Anklagebank

Rezensiert von Sarah Spasiano

09.11.2022
Veröffentlicht im iz3w-Heft 392

Das Buch Grenzenlose Gewalt will eine »Anklageschrift gegen die Friedensnobelpreisträgerin EU« sein. Kleinteilig aufgearbeitet und belegt wird dabei, wie die EU ihre Grenzen immer weiter abschottet und militarisiert – etwa durch die Kriminalisierung von Flucht und Fluchthilfe. Erklärtes Ziel des Autorinnenkollektivs ist es, die an den EU-Außengrenzen verübte Gewalt kritisch zu dokumentieren und dabei die vielfältigen systematischen Abschottungsmechanismen aufzuzeigen – was ihnen auf beeindruckende Weise gelungen ist. Dabei dokumentieren sie die Bedingungen, die an verschiedensten Orten des europäischen Grenzgebiets herrschen: vom Evros im Osten über den Balkan und Lampedusa bis zu den Kanarischen Inseln ganz im Westen der EU.

Die Autorinnen schaffen es, die strukturelle, »grenzenlose Gewalt« nachvollziehbar aus Einzelfällen und Statistiken zusammenzufügen und es entsteht ein komplexes und vielschichtiges Bild. Trotz der sachlich hervorragend recherchierten Dokumentation konnten die Autorinnen sich vereinzelten emotionalen Kommentaren nicht entziehen. Diese machen das Lesen über die geschilderten brutalen Gewaltlogiken und -handlungen etwas erträglicher – beispielsweise wenn es um die Politik des Sterben-Lassens im Mittelmeer geht. Trotzdem werden Leser*innen kaum verhindern können, an einigen Stellen das Buch zuzuklappen und den Kopf zu schütteln.

Das Buch stützt sich zu großen Teilen auf aktivistisches Wissen solidarischer Gruppen, die an den Außengrenzen selbst direkt aktiv sind. Mitglieder dieser Gruppen, darunter Alarmphone, borderline-europe, Border Violence Monitoring und die Iuventa-Crew, sind die Autorinnen des Buchs. Das kollektive Schreiben erlaubt es, Spezialistinnenwissen zu unterschiedlichen Themen und Regionen an einer Stelle zu bündeln. Auch wenn sich teilweise Informationen doppeln, ergibt sich dadurch ein außergewöhnlich breiter aber keineswegs oberflächlicher Einblick in die Strukturen des EU-Grenzregimes. Das Buch funktioniert dadurch auch als Nachschlagewerk für die politische Arbeit aller, die in der Solidaritätsbewegung mit Migrierenden und Geflüchteten aktiv sind oder sich dafür interessieren.

Der Blick auf den »Krieg gegen Flüchtende« zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie viel Gewalt notwendig ist, um die europäische Machtposition auf Kosten von Schutzsuchenden aufrecht zu halten. Das Privileg, in Europa zu leben muss endlich ungemütlicher werden. Dieses Buch leistet dazu einen Beitrag.

Autorinnenkollektiv mEUterei: Grenzenlose Gewalt. Der unerklärte Krieg der EU gegen Flüchtende. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2022. 312 Seiten, 18 Euro.

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