Buchcover von Bernd Heyl: Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte

Post­kolonialer Reise­begleiter

Rezensiert von Naita Hishoono

29.04.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 402

Mit Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte hat Bernd Heyl ein Buch verfasst, das mit Blick auf die Tourismuszahlen in Namibia dringend benötigt war: Aus keinem anderen europäischen Land besuchen jährlich so viele Menschen Namibia wie aus Deutschland. Im Jahr 2022 waren es knapp 62.000 Deutsche, von 460.000 Tourist*innen insgesamt. Was reizt die deutschen Besucher*innen an dem Land im Südwesten Afrikas? Wunderschöne Natur, eine reiche Artenvielfalt, freundliche Menschen – und ja – man spricht Deutsch. Aber wie viel wissen die Tourist*innen über die Verbrechen des deutschen Kolonialismus in Namibia?

Bis heute kommen deutsche Besucher*innen nicht nur als Tourist*innen, sondern auch um Familie, Kolleg*innen und Freund*innen zu besuchen, die in Namibia leben und arbeiten. Die deutsch-namibische Geschichte begann mit Betrug. 1883 ‚kaufte‘ der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz, im berühmten Meilenschwindel, dem Nama-Kaptein Josef Frederiks Land im heute immer noch nach ihm benannten Lüderitz ab. Landschwindel, weil der listige Kaufmann dem Frederiks das Land als Seemeilen statt Landmeilen im Vertrag abkaufte. Die Stadt Lüderitz wurde somit zum geschichtsträchtigen Ort. Auch die berüchtigte Haifischinsel liegt vor Lüderitz. Sie diente der deutschen Kolonialmacht als Konzentrations- und Internierungslager, nachdem die ‚Schutztruppen‘ einen Großteil der OvaHerero und Nama im von Genozid 1904 bis 1908 ermordet hatten.

Wie viel wissen die Tourist­*innen über die Ver­brechen des deutschen Kolonial­ismus in Namibia?

Die deutsche Kolonialgeschichte prägt den namibischen Alltag bis heute. Sie scheint auf in Straßennamen, Ortsnamen, Gebirgsnamen und historischen Denkmälern. Deutsch ist eine der namibischen Landessprachen. Obwohl nur knapp ein Prozent der Namibier*innen Deutsch spricht, sind die Deutschsprachigen eine der wohlhabendsten Gruppen des Landes. Nach wie vor befindet sich ein Großteil des Agrarlands in der Hand weißer Farmer*innen.

Die Problematik der deutsch-namibischen Kolonialgeschichte ist den wenigsten deutschen Besucher*innen bewusst. Hier kann das Buch von Bernd Heyl Abhilfe schaffen. Einem kritischen Blick auf die deutsche Kolonialherrschaft und ihrem Ziel, in Namibia 100.000 Deutsche anzusiedeln und die afrikanische Bevölkerung zu verdrängen, folgt die vertiefende Darstellung der kolonialen Geschichte von zwanzig namibischen Orten. Das Buch nimmt die Leser*innen mit auf die Reise nach Windhoek, Lüderitz, Swakopmund und Tsumeb – Städte die von Tourist*innen gern besucht werden –, weist aber auch auf die politisch-historische Bedeutung weniger bekannter Orte wie etwa Gibeon, Warmbad oder Otjimbingwe hin.

Über 200 historische und aktuelle Fotografien, historische Dokumente und Gastbeiträge von Helga Roth, Werner Hillebrecht, Henning Melber, Hans-Martin Milk und Joachim Zeller erinnern an die leidvolle koloniale Gewaltherrschaft, an die gemeinsame deutsch-namibische Geschichte.

Das Schlusskapitel widmet sich der Frage, wie eine gemeinsame Erinnerungskultur zwischen Namibia und Deutschland aussehen kann. Eine wichtige Frage, die auch die Zivilgesellschaft in Namibia, die »traditional authorities« der OvaHerero und Nama und die Regierung diskutieren.

Letztlich ist das Buch mehr als ein Reisebegleiter, es kann allen Namibia-Interessierten empfohlen werden. Interessant ist es auch für Leser*innen, die im entwicklungspolitischen Bereich zwischen Europa und Afrika arbeiten. Da Deutschland bis heute Diplomat*innen, Lehrer*innen, Entwicklungshelfer*innen, Praktikant*innen, Studierende und Forschende nach Namibia sendet, kann dieses Buch auch für sie eine reichhaltige Quelle zum besseren Verständnis Namibias und der deutschen Kolonialgeschichte sein. Dringend nötig wäre eine Übersetzung auf Englisch, damit auch Namibia-Interessierte und Namibier*innen, die Englisch sprechen, dieses Buch lesen können.

Bernd Heyl: Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte. Ein postkolonialer Reisebegleiter in die deutsche Kolonialgeschichte. Brandes & Apsel, Frankfurt 2021. 284 Seiten, 29,90 Euro.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 402 Heft bestellen
Unsere Inhalte sind werbefrei!

Wir machen seit Jahrzehnten unabhängigen Journalismus, kollektiv und kritisch. Unsere Autor*innen schreiben ohne Honorar. Hauptamtliche Redaktion, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit halten den Laden am Laufen.

iz3w unterstützen