Buchcover

»Wir haben uns immer gewehrt«

Rezensiert von Johanna Riemenschneider

23.02.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 395

Wie kann man Geschichte erzählen, die es nicht wert war, aufgeschrieben zu werden, nach der man heute akribisch suchen muss und am Ende dennoch viel undokumentiert bleibt? Genau das schafft die Graphic Novel Rufe aus der Vergangenheit. Von Frauen geführte Versklavtenaufstände.

Das Buch erzählt von Frauen, die sich einst gegen Sklavenhalter*innen wehrten, Revolten planten und Aufstände auf Sklavenschiffen initiierten. Durch die Rekonstruktionen historischer Ereignisse, verknüpft mit großer Vorstellungskraft, werden die Figuren in kontrastreichen Schwarz-Weiß-Zeichnungen regelrecht zu Heldinnen. Bis zu ihrer Entscheidung, gegen ihre Sklavenhändler*innen zu kämpfen, werden beispielsweise die Kriegerinnen Adono und Alele begleitet, die 1770 gezwungen werden, ein Schiff zu den Amerikas zu besteigen. Sie erhalten in der Graphic Novel, anders als in den alten Schiffslogbüchern, vor allem eins: Eine eigene Erzählung, einen Namen, ein Gesicht.

Das Buch erzählt von Frauen, die sich einst gegen Sklavenhalter*innen wehrten

Historikerin Rebecca Hall verwandelt mit der Veröffent­lichung die Ergebnisse ihrer Disser­tation in lebendige Bild­geschichte. Gleichzeitig lässt sie mit Einblicken in den damit verbundenen Forschungs­prozess sowie eigene Rassismus­erfahrungen ein viel größeres Bild entstehen. Die Geschichte der Versklavung und Unterdrückung endet nicht in der Vergangenheit: »Wie unsichtbare Kräfte, die alles um dich herum geformt haben, aber dir fehlen die Worte, um sie zu beschreiben. So fühlt es sich an, mit dem Erbe der Versklavung zu leben«.

Diese Erfahrung wird durch die Illustrationen von Hugo Martínez sichtbar. Die Geschichte spiegelt sich in den Pfützen der Avanues, im eigenen Badezimmer und in den gläsernen Bauten des New Yorks der 2000er. Jener einstigen englischen Kolonie, in der Hall zu diesem Zeitpunkt ihre Suche nach vergessenen Aktivistinnen beginnt. Die Autorin, selbst Figur im Buch, thematisiert auch die schmerzhaften Aspekte der detailreichen Nachforschungen. Noch persönlicher wird dies durch die Porträtierung ihrer Großmutter, die als Versklavte geboren wurde und durch rassistische Gewalt ihr Zuhause verlor.

Die Graphic Novel liefert eine Mischung aus Historie, einfühlender Erzählung, Forschungstagebuch und biografischen Elementen. Zuletzt sind die »Rufe der Vergangenheit« jedoch auch ein Aufruf, Traumata in der Gegenwart offenbar zu machen, um so neue Vorstellungsmöglichkeiten für die Zukunft zu schaffen und eine »alternative Schwarze Zeitlichkeit« zu finden.

Rebecca Hall: Rufe aus der Vergangenheit. Von Frauen geführte Versklavtenaufstände. Unrast Verlag, Münster 2022. 208 Seiten, 18 Euro.

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