Statue mit Farbe beschmiert
Cover des BuchesHamburg: Tor zur Welt | Motiv Wallstein Verlag

Das Tor zur Welt

Rezensiert von Joachim Zeller

05.12.2022
Veröffentlicht im iz3w-Heft 393

In den Städten im norddeutschen Küstenraum ist eine Vielzahl von Aktivitäten festzustellen, die deren Verstrickung in den Kolonialismus aufzuarbeiten suchen. Dazu gehörte als Pionier schon seit Jahren die Hansestadt Bremen. Aber auch in Oldenburg, Wilhelmshaven, Kiel und Lübeck gibt es postkoloniale Initiativen. In Flensburg war 2017 die Ausstellung »Sønderjylland-Schleswig Kolonial« zu sehen, die sich mit dem kulturellen Erbe des Kolonialismus in der Region zwischen Eider und Königsau beschäftigte.

Nun hat die koloniale Metropole Hamburg nachgezogen. Als wichtigster Hafen Deutschlands betrachtete man sich in Hamburg stets als das »Tor zur Welt«. Früher betrieben Kaufleute Handel mit Kolonialmächten und Kolonien – sowohl mit Kolonialwaren als auch mit Menschen. In Hamburg finden sich eine Vielzahl (post-)kolonialer Erinnerungsorte. Sie stehen nicht nur für die Stadtgeschichte, sondern geben auch Aufschluss über die Geschichte der frühen Globalisierung unter kolonialen Vorzeichen.

In Hamburg finden sich eine Vielzahl (post-)kolonialer Erinnerungsorte

Der Sammelband Hamburg: Tor zur kolonialen Welt gibt Einblicke in die koloniale Vergangenheit der Hansestadt. Es ist eine Vergangenheit, die im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit allzu lange vergessen und verdrängt war. Die Beiträge der dreißig Autor*innen behandeln aufgeteilt in fünf Kapitel Erinnerungsorte aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Migration und Denkmäler. Herausragend sind die Aufsätze über die Institutionen der Kolonialwirtschaft, zu denen bisher kaum geforscht wurde. Dazu gehören die Handelskammer, der Hafen, der Übersee-Club und Unternehmen wie der Woermann-Konzern. Gerne hätte man auch etwas über William Henry O’Swald gelesen, gibt es doch das Terminal O’Swaldkai im Hamburger Hafen. Als einer der wichtigsten Kaufleute auf Sansibar trat William Henry O’Swald im Handel mit dem damaligen Deutsch-Ostafrika hervor. Aber Vollständigkeit kann und will ein solcher Band nicht leisten. Was die koloniale Wissenschaft und Kultur betrifft, richtet sich der Fokus etwa auf das ehemalige Museum für Völkerkunde, dem heutigen Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK). Ein anderes Thema ist der Tierpark Hagenbeck, in dem damals die berüchtigten Völkerschauen abgehalten wurden. Biographische Skizzen zu einzelnen Hamburger Persönlichkeiten runden das Buch ab.

Problematisch ist die von Jürgen Zimmerer, einem der beiden Herausgeber, verfasste Einleitung. Hier wird so getan, als hätte die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der kolonialen Geschichte der Hansestadt im Grunde erst im Jahr 2015 begonnen. In diesem Jahr wurde an der dortigen Universität die Forschungsstelle »Hamburgs (post-)koloniales Erbe / Hamburg und die (frühe) Globalisierung« eingerichtet. Großzügig attestiert er dem von ihm selbst geleiteten Projekt eine »solide wissenschaftliche Grundlagenforschung«. Verschwiegen wird dabei, dass man sich quasi in ein gemachtes Bett gelegt hat. Denn schon in den Jahren zuvor hat es Historiker*innen und Aktivist*innen gegeben, die sich mit den globalen Vernetzungen und den geteilten Geschichten Hamburgs intensiv befasst haben. Hervorzuheben ist hier der viel zu früh verstorbene Heiko Möhle, der unter anderem im Jahr 1999 den Band »Branntwein, Bibeln und Bananen. Der deutsche Kolonialismus in Afrika – Eine Spurensuche in Hamburg« herausgegeben hat. Zwar wird das Buch von Möhle aufgelistet, aber lediglich versteckt in einer Fußnote. Ein solches Vorgehen, nämlich die bis heute sehr aktiven zivilgesellschaftlichen Initiativen der Stadt an den Rand zu drängen und unsichtbar zu machen, zog sich denn auch durch die gesamte Projektphase seit 2015 hindurch.

Sichtbarkeit postkolonialer Initiativen

Die Kritik, die es an der finanziell üppig ausgestatteten Forschungsstelle gegeben hat, wird mit keinem Wort genannt. Hingegen mussten die migrantischen und diasporischen Selbstorganisationen sowie die postkolonialen Initiativen bis dato weitgehend ohne finanzielle Unterstützung des Senats zurechtkommen. Dabei hieß es in der Hamburger Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Grünen von 2015, dass »das Expertenwissen diesbezüglich relevanter Initiativen unverzichtbar« sei. Ein stadt- und bundesweites Bündnis kritisierte daraufhin die Pläne des Hamburger Senats als »Topdown-Modell« und »Fehlstart in der Erinnerungskultur«. So lässt sich am Beispiel der Stadt Hamburg das strukturell problematische Verhältnis aufzeigen, das zwischen den offiziellen Wissenschaftsinstitutionen, der Kulturverwaltung und der Politik auf der einen Seite und den postkolonialen Erinnerungsinitiativen auf der anderen Seite besteht.

Und wieso treten eigentlich bei dieser postkolonialen Thematik nur zwei weiße Männer als Herausgeber auf und auch nicht in alphabetischer Reihenfolge? Zwar wird gerne betont, einer transkulturellen Verflechtungsgeschichte verpflichtet zu sein und die Stimmen der Kolonisierten und ihrer Nachfahren zu Wort kommen lassen zu wollen. Aber wenn es um die Schärfung des eigenen Profils geht, geraten Prinzipien wie Teilen und Partizipation schnell ins Abseits.

In dem Buch heißt es, die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Hamburgs habe gerade erst begonnen. Das stimmt und ist doch nur die halbe Wahrheit.

Jürgen Zimmerer / Kim Sebastian Todzi (Hrsg.): Hamburg: Tor zur kolonialen Welt. Erinnerungsorte der (post-)kolonialen Globalisierung. Wallstein Verlag, Göttingen 2021. 591 Seiten, 32 Euro.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 393 Heft bestellen
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