Unruhiges Wasser
Rezensiert von Luca Apfelbaum
18.10.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 406
»Natürlich hatte sie am Abend davor wieder am Telefon geweint. Sobald es wieder hell war, wollte sie die Nächte gerne vergessen. Sie redete sich ein, dass es so war, das Erwachsen werden: Man übte es tagsüber, nachts wurde man zum Kind.«
Die Protagonistin des Debütromans Gewässer im Ziplock von Dana Vowinckel ist die fünfzehnjährige Margarita. Sie lebt bei ihrem alleinerziehenden Vater Avi, der als Kantor in einer jüdischen Gemeinde in Berlin singt, und verbringt alljährlich ihre Sommerferien bei ihren Großeltern in Chicago.
Für Margarita beginnt die Geschichte in Chicago, für Avi bei seiner Arbeit in der Synagoge. Die Perspektive der Erzählung springt zwischen Vater und Tochter hin und her. So erfahren wir, dass Margarita die Zeit bei ihren Großeltern unerträglich findet, das Badezimmer zu ihrem Zufluchtsort wird und sie sich in Gedanken ständig zurück nach Berlin wünscht. Doch anstatt wie erwartet die Sommerferien bei ihren Großeltern auszuharren, wird sie unfreiwillig und abrupt zu ihrer abwesenden Mutter nach Israel geschickt, von der sie nicht einmal wusste, dass sie dort lebt. Schmerzlich muss Margarita erfahren, dass sie noch nicht die Erwachsene ist, die sie sich zu sein wünscht. Sie kommt noch nicht gegen die Entscheidungen ihrer Familie an. Trotz großer Wut wird sie dennoch neugierig, wie es in Israel sein wird: »Wie man sie anschauen würde, ob es eindeutig wäre, dass sie dort nicht hingehörte, oder ob sie eine von ihnen wäre, ein jüdisches Kind in einem jüdischen Land.«
Wir begleiten Margarita dabei, wie sie in Israel auf ihre Mutter Marsha trifft, die beiden sich auf eine Rundreise begeben, ständig streiten, sich in den Auseinandersetzungen kennenlernen oder sich Margarita schweigend in ihre Bücher zurückzieht. Zwischen Margaritas Erzählungen schieben sich immer wieder die von Avi aus Berlin, dessen religiöser Alltag eine präsente Rolle darin spielt. Die Ruhe, die er in Gebeten findet, die Synagoge, in der er arbeitet und die Leidenschaft zum Singen, die er als Kantor zu seiner Profession gemacht hat.
Dana Vowinckel gelingt es mit ihrer nuancierten Sprache Nähe zu den Charakteren aufzubauen und uns ihren Gedanken, Motiven und Erfahrungen folgen zu lassen. Sie beleuchtet das facettenreiche und durchaus konfliktbeladene jüdische Leben an verschiedenen Orten und schafft es dabei, den Lesenden die Lebensrealitäten der Protagonist*innen in klaren, aber dennoch nicht gefühlslosen Worten näherzubringen.