Unter Vertrag im Bruderland DDR
Wie kamen Menschen aus Mosambik in den deutschen Arbeiter- und Bauernstaat?
Audiobeitrag von Kathi King und
Meike Bischoff
14.08.2022
Das rechte Pogrom in Rostock-Lichtenhagen jährt sich im August 2022 zum 30. Mal. Die Angriffe auf Asylbewerber*innen und vietnamesische Vertragsarbeiter*innen gehören zu den massivsten rassistischen Ausschreitungen in der Geschichte der Bundesrepublik. Nicht nur Vietnames*innen, auch viele der rund 26.000 Arbeiter*innen und Studierenden aus Mosambik waren der rassistischen Gewalt der 1990er Jahre ausgeliefert. Im südnordfunk blicken David Macou und Albino Forquilha auf ihre Jugend in der DDR zurück – und auf die Zeit danach.
Shownotes
- Interview mit dem Theaterregisseur, Schauspieler, Schriftsteller und Sänger Dan Thy Nguyen »Die Sicht der Opfer ist kaum bekannt«
- Informationen zur Geschichte und aktuellen Lage der ehem. DDR-Vertragsarbeiter*innen
- Reencontro familiar: Mosambique - Deutschland
- Kommentar: Für Entschädigungszahlungen an die ehemaligen mosambikanischen Vertragsarbeiter*innen (in zeitgeschichte-online.de)
Unter Vertrag und in Arbeit - Vertragsarbeiter*innen in der DDR
Audioskript | Erstausstrahlung 2. August 2022 im südnordfunk
Albino Forquilha: Ich bin Albino Forquilha, Vorsitzender der Gemischten Kommission. Sie führt mosambikanische Arbeiter*innen, die in Deutschland waren, und Schüler*innen der Schule der Freundschaft zusammen. Ich war Schüler von 1982 bis 1988 in der Schule der Freundschaft in Staßfurt und danach bin ich nach Mosambik zurückgekehrt. Aber ich bin auch nach Neubrandenburg zurückgegangen, um dort zu arbeiten.
David Macao: Der Vertrag zwischen der DDR und Mosambik wurde am 24. Februar 1979 gemacht. Und dann bin ich mit der ersten Vertragsarbeitergruppe in die DDR gekommen. Wir sind als erste Gruppe in Cottbus bzw. in Hoyerswerda angekommen und waren in der VEB BKW Welzow [Anmerkung: Braunkohle-Tagebau in der südlichen Niederlausitz] angestellt und haben als Erstes sechs Monate intensiv die deutsche Sprache gelernt.
Sprecherin: Der US-amerikanische Musiker Miles Davis widmete das 1974 erschienene Album Get on Up der mosambikanischen Befreiungsbewegung und späteren Partei FRELIMO. Im gleichen Jahr, am 25. April 1974, fand in Portugal die sogenannte Nelkenrevolution statt. Bei diesem friedlichen, zum größten Teil unblutigen und auch etwas romantisierten Militärputsch machten junge und progressiven Armeegruppen Schluss mit dem autoritären Regime des »Estado Novo«. Die portugiesischen Militärangehörigen waren bereits seit den frühen 1960er Jahren zur Bekämpfung der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen in die Kolonien geschickt worden. Die Gewalt, mit der Befreiungsbewegungen in Angola, Mosambik und Guinea-Bissau bekämpft wurden, erschütterte sie.
Portugal war Anfang der 1970er Jahre eines der letzten europäischen Länder, das noch Kolonien hatte. Und diese Kolonialherrschaft konnte nur mit härtester Gewalt, mit brutaler Repression, dem Verschwindenlassen von Menschen, Folter und gezielten Morden durch die Geheimpolizei aufrechterhalten werden.
Albino Forquilha: Die Klassen in der Schule der Freundschaft in Staßfurt waren zusammengesetzt aus Schüler*innen aller Provinzen Mosambiks. Der Aspekt des Tribalismus schwebte ja noch in unseren Köpfen, direkt nach der nationalen Befreiung, der Unabhängigkeit, die Mosambik 1975 von Portugal erlangt hatte. Das war auch eine Art, die benutzt wurde, um den Kampfwillen anzuheizen. Ich konnte also in der Klasse nicht meine Muttersprachen sprechen, es sei denn, ich traf zufällig auf jemanden aus meiner Region oder meiner Provinz. In Mosambik gibt es viele Sprachen.
Sprecherin: Mit dem Ende der Diktatur in Portugal wurden im Schnellverfahren Unabhängigkeitsverträge mit den afrikanischen und asiatischen Kolonien abgeschlossen. So auch mit Mosambik. Das südostafrikanische Land erklärte 1975 seine Unabhängigkeit, die sozialistische FRELIMO und frühere Befreiungsbewegung wird jetzt Regierungspartei. Unterstützung für den jungen Staat liefert unter anderem die Sowjetunion. 1979 schließt die DDR ein Abkommen mit der Regierung, mit dem sie Mosambikaner*innen einlädt, in der DDR zu studieren, eine Ausbildung zu machen, und vor allem: um zu arbeiten.
David Macao: Alles was ich wollte war Lernen. Einen Beruf lernen, für meine Zukunft. Deswegen war ich immer zufrieden. Das ist meine Wahrheit, wie ich sie bis heute verteidige, in meinem Herzen.
Starthilfe für die Rückkehr
Sprecherin: 1979 war David Macao 19 Jahre alt. Er bekam eine Anstellung im Braunkohle Tagebau Betrieb VEB BKW Welzow. Der liegt in der Lausitz zwischen Cottbus und Hoyerswerda. Die Mosambikaner*innen hatten lange Arbeitszeiten. 60 Prozent ihres Lohns wurde abgezogen und auf ein DDR-Konto überwiesen, als Starthilfe für die Rückkehr nach Mosambik. So sagte man ihnen das jedenfalls. Das, was ihnen nach Abzug der regulären Beiträge blieb, reichte kaum zum Leben. Deshalb machten viele Vertragsarbeiter Überstunden.
David Macao: Die 60 Prozent sind ja von unserm Lohn. Dann kommt die Rentenversicherung, kommt Sozialversicherung, kommen die Gewerkschaftsbeiträge... Das wurde vom Lohn alles abgezogen, und dann haben wir Überstunden gemacht.
Vertragsarbeit als Entwicklungshilfe?
Sprecherin: Neben der Entwicklungshilfe und der Unterstützung im Befreiungskampf sollte dies ein Akt der Solidarität zwischen den sozialistischen Bruderländern sein: Die Mosambikaner*innen sollten mit neu erlernten Fähigkeiten zurückkehren und den Aufbau des Landes mit voranbringen. Die Realität sah leider oft anders aus: Die Mosambikaner*innen wurden oft für Arbeiten eingeteilt, die deutsche DDR-Bürger*innen nicht machen wollten. Nur die wenigsten bekamen die versprochene Ausbildung oder konnten studieren. Etwa 17.000 Mosambikaner*innen kamen als sogenannte Vertragsarbeiter*innen in der DDR. Ähnliche Verträge gab es auch mit anderen Ländern: Vietnam, Angola, Kuba, Polen und Ungarn und einer Reihe weiterer sozialistischer Länder.
David Macao: Meine ganzen zwölf Jahre bin ich in Hoyerswerda geblieben. Ich war nicht in anderen Betrieben, wie andere Kollegen von uns. Ich war nicht nur Vertragsarbeiter, sondern auch Gruppenleiter, der Chef also.
Sprecherin: David war, anders als viele Vertragsarbeiter*innen, die an verschiedenen Orten eingesetzt wurden, bis 1991 am selben Ort, und als Gruppenleiter der mosambikanischen Arbeiter*innen in seinem Betrieb hatte er hier besondere Verantwortung:
David Macao: Ja, als Gruppenleiter musste ich früh arbeiten gehen und um 15 Uhr dann ins Büro. Das war für mich nicht leichter, denn ich musste viele, viele Stunden arbeiten, als Gruppenleiter saß ich von 15 Uhr bis ungefähr 22 Uhr im Büro und musste Berichte schreiben. Alles, was ein Leiter macht für seine Gruppe… Und einmal im Monat musste ich dann nach Berlin, diese Berichte zu unserem großen Chef bringen.
Sprecherin: Und er wurde mit seinen Kollegen beauftragt, in Schulen zu gehen und mit den Kindern dort über sein Leben, seine Arbeit und Mosambik zu sprechen – eine Aufgabe, die ihm viel Freude bereitete, und die er als wertvolles antirassistisches Engagement betrachtete.
Albino Forquilha: Wir kamen in ein Bürgerkriegsland und es war überhaupt nicht das, was wir erwartet hatten. Anstatt unsere Familien zu sehen, wurden wir nach unserer Ankunft am Flughafen direkt in die Armee eingezogen. Und die Armee war damals gleichbedeutend mit dem Tod. Viele Menschen sind damals gestorben. Also hat sich bei uns der Eindruck aufgedrängt, dass Mosambik sich nicht mehr um die Schüler*innen kümmert, die es vor sieben Jahre nach Deutschland geschickt hatte. Also gingen wir zur Truppe. Manche sind bis heute dabei. Es war sehr schwierig, weil wir unsere Familien nicht sehen konnten.
Es waren ja schon acht Jahre vergangen, in denen wir uns nicht gesehen hatten. Das war sehr hart. Und wir hatten so viele Sachen für sie mitgebracht – Koffer voller Kleider, die dann vielleicht irgendwo gelagert wurden und dort verrotteten. Oder jemand hat sie gestohlen, ich weiß es nicht. Niemand hat die Sachen je wiedergesehen. Wir sind 1982 nach Deutschland gegangen und 1988 wiedergekommen, wurden in die Armee eingezogen und waren dann fünf bis zehn Jahre in der Armee. In all dieser Zeit haben wir unsere Familien nicht sehen können. Wie ich es heute verstehe, ist es eine gravierende Verletzung unserer Zivilrechte.
Sprecherin: Für viele Mosambikaner*innen war gerade die Zeit der Ausbildung hart, denn sie konnten währenddessen ihre Familie nicht sehen. Auch der Postverkehr gestaltete sich schwierig. Mosambik war nicht nur wegen der langen Kolonialzeit und dem noch frischen Befreiungskampf ein gebeuteltes Land: Seit 1976 gab es einen Bürgerkrieg zwischen der sozialistischen FRELIMO-Bewegung (Anmerkung: Frente de Libertação de Moçambique) und der rechten RENAMO (Anmerkung: Resistência Nacional Moçambicana (kurz Renamo, portugiesisch für Nationaler Widerstand Mosambiks), die vom rassistischen, südafrikanischen Regime finanziert wurde und unter anderem auch aus der BRD Unterstützung erhielt. Viele kapitalistische Nationen und Kolonialländer sahen es gar nicht gern, dass einige afrikanische Staaten sich nach der Entkolonialisierung für ein sozialistisches Gesellschaftsmodell entschieden. So wurde hier der Kalte Krieg auf grausame Weise ausgefochten. Diese Tatsache hinderte viele Mosambikaner*innen daran, in ihr Land zurückzukehren. Denn in Mosambik warteten Gewalt, Not, und die Gefahr in die Armee eingezogen zu werden.
Schulbesuche konnten aber nicht aufwiegen, woran es fehlte in Sachen Solidarität und Interkulturalität. Kontakte zwischen der deutschen DDR-Bevölkerung und Vertragsarbeiter*innen abseits der Arbeit waren nicht vorgesehen. Die Vertragsarbeiter*innen lebten separiert in Wohnheimen, oft kontrollierten von Pförtner*innen, wer zu Besuch kam. Doch beim Sport oder beim Feiern begegneten sich die Gruppen. Es entstanden Freundschaften und Liebesbeziehungen. Nicht selten kam es aber auch zu Gewalt und Konflikten rassistisch motivierter Art. Politisch war David Macao sehr eingebunden in DDR-Strukturen, denn auch er war Mitglied bei der FRELIMO. Zwischen den politischen Organisationen der DDR und Mosambik gab es regen Austausch:
David Macao: Ich war FRELIMO-Mitglied seit 1980, bis ich dann nach Mosambik zurückgekommen bin. 1995 bin ich als Parteimitglied ausgetreten. In der DDR hatten wir immer Versammlungen zusammen mit den SED-Mitgliedern. In unserem Betrieb gab es eine Zusammenarbeit zwischen FRELIMO und SED, und zwischen den Jugendorganisationen OJM (Organização da Juventude Moçambicana) von unserer Seite und den FDJlern. Außerdem haben die Gewerkschaften zusammengearbeitet. Und die Frauenorganisationen: Unsere Organisation OMM (Organização da Mulher Moçambicana) aus Mosambik und Frauenorganisationen aus der DDR.
Solidarität mittels Ausbildung?
Sprecherin: Eine weitere Gruppe von Mosambikaner*innen waren die Schüler*innen der Schule der Freundschaft. Albino Forquilha ging auf die Schule mit dem hoffnungsvollen Namen im sachsen-anhaltinischen Staßfurt. Die Kleinstadt liegt auf halbem Wege zwischen Magdeburg und Halle.
Albino Forquilha: Ich ging damals auf die weiterführende Schule in der Provinz Manica, nur sieben Kilometer von der Grenze zu Simbabwe entfernt. Ich wurde als einer der besten Schüler ausgewählt, um nach Kuba zu gehen – damals die Volksrepublik Kuba. Erst als ich in Maputo ankam, in dem Prozess der Auswahl der Schüler*innen, haben sie mir gesagt, dass ich nicht nach Kuba, sondern in die DDR gehen sollte, denn ich sei noch zu jung für Kuba. Wir flogen mit etwa 300 anderen Reisenden nach Deutschland. Wir kamen in Berlin an. Ich war das erste Mal in Europa. Es war auch das erste Mal für mich an einem internationalen Flughafen außerhalb Mosambiks. Die Leute haben sich umarmt und geküsst, es ist ja ein Ort des Ankommens, des Begrüßens und des Abschieds. Das war neu für mich, denn in meiner Kultur ist das nicht zugelassen, sich in der Öffentlichkeit zu küssen und zu umarmen. Als nächstes erinnere ich mich, wie wir von einem Team aus Magdeburg empfangen wurden. Sie haben uns zum Zug gebracht, der uns dann von Berlin nach Magdeburg und von Magdeburg nach Staßfurt gebracht hat. Da drin war schon alles vorbereitet, es gab Lunchpakete für uns. Sie hatten uns Essen mitgebracht. Wir wurden wirklich exzellent empfangen! In Staßfurt war es genauso, die Schule war speziell für uns gebaut worden, darum hatte die mosambikanische Regierung gebeten. Sie war wirklich groß, mit Speisesaal und Turnhalle. Wir fühlten uns wohl.
Sprecherin: Interessant ist der Genderaspekt: Ein Großteil der Schüler*innen waren männlich. Die wenigen Mädchen waren zudem der Gefahr ausgesetzt, bei einer Schwangerschaft wieder in ihr Herkunftsland geschickt zu werden. So ging es übrigens auch vielen Vertragsarbeiterinnen, welche vor die Wahl zwischen Abtreibung oder Abschiebung gestellt wurden. Auch Albino Forquilha kann davon berichten:
Albino Forquilha: Zusammen mit den mosambikanischen Lehrer*innen waren wir etwa 1.000 Leute. Davon waren nur etwa 200 Mädchen. In meiner Klasse waren wir 30 Schülerinnen und Schüler. Sechs Mädchen und der Rest waren Jungs. Der Unterricht war auf Portugiesisch und Deutsch. Wir hatten einen Intensivkurs, der uns befähigen sollte, dem Unterricht zu folgen. Wir hatten einen straffen Stundenplan und sogar am Samstag Unterricht in 17 verschiedenen Fächern. Man ging bei uns davon aus, dass wir in Mosambik nur die vierte Klasse absolviert hätten, obwohl ich ja schon auf der weiterführenden Schule war und die sechste Klasse erfolgreich beendet hatte. Wir begannen also mit dem Niveau der fünften Klasse und sollten bis zur 12. Klasse auf der Schule bleiben, begleitet von einer Berufsausbildung. Das war der Plan für unseren Aufenthalt. 1986 wurde dann angenommen, dass wir die 10. Klasse absolviert hätten. Danach kamen wir in eine andere Phase, in der wir mit dem allgemeinen Unterricht weitermachten, aber auch mit der zweieinhalbjährigen Berufsausbildung. Wir hatten weiterhin intensiven Unterricht, auch samstags. Die meisten beendeten die 10. Klasse. Einige mussten wegen Problemen – etwa wegen ›mangelnder Disziplin‹, so hieß das in der DDR – zurück nach Hause. Einige der Mädchen wurden später schwanger und zurück nach Mosambik geschickt.
Sprecherin: Mit Unterstützung seiner Lehrerin konnte Albino Maschinen- und Anlagenmonteur werden. Den Ausbildungsberuf selbst auswählen, das war vielen Mosambikaner*innen in der DDR nicht vergönnt.
Albino Forquilha: Ich wurde also bei Chemieanlagenbau in Staßfurt als Azubi angenommen. Dieses große Unternehmen hatte auch ein Ausbildungszentrum. Ich habe die Ausbildung mit Erfolg abgeschlossen. Ich muss sagen, ich war der beste Schüler. Ich war damals in Berlin, um den Vorsitzenden Erich Honecker zu treffen, und sie machten ein Foto von mir. Das Foto war riesig und ging ans mosambikanische Bildungsministerium. Die damalige Bildungsministerin Graça Machel hatte es lange in ihrem Büro hängen.
Rassistische Vorfälle und die Wende
Sprecherin: Solidarität und Internationalismus wurden in der DDR großgeschrieben. Unsere beiden Interviewpartner aber berichten auch von rassistischen Vorfällen:
David Macao: Seit 1980 habe ich gemerkt, dass irgendwas zwischen uns und den DDR-Bürgern nicht stimmt. Nicht mit allen DDR-Bürgern, aber mit einigen Jungen. Zu dieser Zeit war es aber noch nicht so hart, weil die Stasi so präsent war. Die Leute wussten, dass jede dritte, vierte Person von der Stasi ist, da haben sie Rassismus nicht so offen ausgelebt. Gespürt haben wir es trotzdem schon. 1982 haben wir in unserer Versammlung beschlossen, dass wir nicht alleine gehen können, sondern immer zu zweit, dritt oder viert in eine Gaststätte gehen oder in den Zug steigen. Das haben wir so wegen des Rassismus gemacht. Wenn ich allein war, am Tisch oder in der Toilette, kamen Leute und haben mich mit rassistischen Ausdrücken beschimpft und mich gefragt, was ich in der DDR suche.
Es gab also Rassismus, aber es war verboten, das in der SED zu äußern. Da musste man über Solidarität sprechen. Große Solidarität, Solidarität mit den Ländern und Afrika, und so weiter. Wenn man da von Rassismus gesprochen hätte, wäre das ein großes Problem gewesen.
Sprecherin: Dem Personal der Schule der Freundschaft schien bewusst gewesen zu sein, dass die Kinder of Color besonderen Schutzes bedurften – vor den Reaktionen der ortsansässigen Bevölkerung. Manche Schüler*innen berichten vielleicht deshalb von gefängnisähnlichen Bedingungen in der Schule der Freundschaft. Albino Forquilha berichtet vom sehr behüteten Aufwachsen an der Schule, aber auch von rassistischen Erfahrungen in seiner Jugendzeit:
Albino Forquilha: Eine Zeit lang sind wir nicht alleine ausgegangen, denn wir waren noch Kinder und wurden, wenn wir die Schule verließen – und auch das nur in nur in Gruppen von 15 oder 20 Leuten – von einer Erzieherin begleitet. Wir hatten neben den Lehrer*innen auch andere pädagogische Bezugspersonen, die waren wie unsere Eltern. Sie haben uns außerhalb der Schule begleitet, wenn wir Kleidung kaufen mussten, beim Hausaufgaben machen, beim Mittagessen. Damals gab es noch keine Probleme. Die begannen erst als wir anfingen, alleine auszugehen und bereits als Jugendliche gesehen wurden. Wir trafen uns mit anderen Leuten, gingen in die Disco und solche Sachen. Da haben wir den Rassismus in Deutschland zu spüren bekommen. Viele Leute haben uns angegriffen.
Digitales Schnupperabo
Drei Monate schnuppern, lesen, schmökern.
Sie haben uns verfolgt und mochten es nicht, dass die deutschen Mädchen uns akzeptierten. Wir hatten auch Liebesbeziehungen mit den deutschen Mädchen, das hat viele Probleme mit sich gebracht. Es gab eine Zeit, in der wir an Freitag- und Samstagabenden nicht in Discos reinkamen, weil wir angegriffen wurden. Ich selbst wurde zwei Mal angegriffen. Außerdem wurde die Schule einmal von dieser Gruppe Skinheads umzingelt, die uns angreifen wollten. Wenn diese Situationen eintraten, hatten wir nicht viel Rückhalt von der deutschen Bevölkerung oder Schutz von der Polizei. Wir konnten auf der Straße angegriffen und geschlagen werden, und keine*r der Passant*innen hat eingegriffen, um den Schwarzen zu helfen. Da habe ich eine andere Sichtweise auf die Dinge bekommen.
Sprecherin: Albino Forquilha hat aus diesen Erlebnissen seine eigenen Schlüsse gezogen. Von der sogenannten Völkerfreundschaft, der internationalen Solidarität, war auf gesellschaftlicher Ebene nichts zu spüren – im Gegenteil. Die Schüler*innen mussten sich selbst organisieren, um nicht Opfer rassistischer Gewalt zu werden. Das war in den Jahren bis 1988.
Albino Forquilha: Das war ein gravierendes Problem, das wir hatte: Dass diese Freundschaft zwischen Mosambik und Deutschland vielleicht mehr auf einer Regierungsebene passiert und dass die deutsche Bevölkerung nicht wirklich ein Verständnis davon hatte, was es heißt, ›Freundschaft‹ zwischen den Menschen in zwei Staaten zu schließen. Ich erinnere mich, dass wir uns intern einmal organisierten, denn wir hatten die Kapazitäten, erfolgreich in einen Kampf zu gehen. Aber das war ja nicht das Ziel! Als wir jedoch merkten, dass die Situation schlimmer wurde, haben wir uns organisiert, um uns zu verteidigen. Damals gab es einige Revolten in der Schule, mit der Polizei, sogar im ganzen Distrikt von Magdeburg. Damit wollten wir Aufmerksamkeit auf unsere Situation lenken und die Polizei dazu bringen, dass sie uns schützt.
Wir beobachteten dann auch einige Polizist*innen, die immer vor unserer Schule anhielten. Aber das war nicht die Art von Schutz, die wir wollten. Wir wollten uns in der deutschen Gesellschaft sicher fühlen! Wir wollten die Freiheit, uns in der Gesellschaft unbehelligt zu bewegen. Und nicht dafür zu bestraft werden, dass unsere Haut dunkel ist. Wir hatten immer Angst, im Zug, im Bus, beim Spazierengehen, im Supermarkt, in der Freizeit. Wir kamen zu dem Schluss, dass das ein Problem der fehlenden Sensibilisierung sei. Dass die Leute nicht gelernt hätten, was es hieße, die ›Solidarität der Völker‹ zu leben. Das war ein schwerwiegender Punkt, der mein Wohlbefinden einschränkte und auch ein bisschen mein Weltbild befleckte.
Aber das ist ja nicht nur uns, den Leuten aus Mosambik so gegangen. Wir haben die gleichen Probleme bei den Menschen aus Kuba beobachtet, bei Schüler*innen aus Namibia. Es waren Kinder. Die Leute aus Angola, aus Äthiopien haben unter den gleichen Problemen gelitten wie wir. Sogar die Leute aus Vietnam, auch wenn ihre Haut nicht wie die unsere ist. Sobald die Deutschen gemerkt haben, dass jemand fremd ist, gab es einen Grund, die Person anzugreifen. Weil sie ›unsere Frauen‹ klauen, oder ›unsere Arbeitsplätze‹ oder weil ›ihr dahin zurückgehen sollt, wo ihr herkommt‹, weil ›ihr Schwarze seid‹ – diese Situationen kamen ständig vor und wiederholten sich.
Sprecherin: Es blieb nicht bei rassistischen Sprüchen. Am 17. September 1987 wurde der 18-jährige mosambikanische Schüler Carlos Conceição von einem rassistischen Mob ermordet.
Albino Forquilha: Wir haben einen Kollegen verloren, den hat eine Gruppe Skinheads umgebracht. Es war an einem Wochenende, wir waren in der Disco. Carlos da Conceição war ein Schulfreund von mir und er wurde bei einem dieser Angriffe in Staßfurt von einer Brücke in den Fluss geworfen. Er ist dabei gestorben. Wir haben keine Bemühungen erkennen können, diese Verhältnisse zu bekämpfen. Weder von der deutschen noch von der mosambikanischen Regierung. Es wurden keine wirklichen Anstrengungen getätigt oder Maßnahmen ergriffen, diese rassistischen Gewalttaten zu unterbinden und es gab auch keine wirkliche Aufklärung. Die Skinheads waren überall, am Bahnhof zum Beispiel, und haben angegriffen, wen sie wollten, vor allem uns Schwarze. Es schien, als würden sie und ihre Verbrechen gedeckt. Das ist ein großes Problem, das meine schönen Erinnerungen trübt.
Sprecherin: Carlos‘ Mörder wurden zwar gefasst, doch wurde lediglich einer von ihnen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und bereits nach zwei Jahren wieder entlassen. Die Schüler und Schülerinnen der »Schule der Freundschaft« wurden angewiesen, über den Todesfall zu schweigen. Heute erinnert nichts mehr an den Mord. Die Initiative 12. August aus Merseburg setzt sich allerdings derzeit, gemeinsam mit einem Mitschüler Carlos‘, für einen Erinnerungsort ein.
Die Mauern und Zäune der Schule wurden von vielen als beengend, gefängnisartig wahrgenommen. Für Albino waren sie aber auch Schutz vor einer feindlichen, rassistischen Umwelt. Das eigentliche Gefängnis war die rassistische Gesellschaft:
Sprecherin: Trotz dieser Erfahrungen von Rassismus und Gewalt, der harten Arbeit, dem fehlenden Kontakt nach Hause, blicken unsere Interviewpartner gern zurück auf ihre Zeit in der DDR:
David Macao: Wenn ich ehrlich bin: Meine Jugendzeit war sehr, sehr gut. Meine Jugendzeit über war ich in der DDR. Ich kann heute sagen: Ich war in Deutschland sehr zufrieden. Nicht jeder afrikanische Junge hatte diese Möglichkeit, nach Europa zu kommen. Und ich hatte diese Möglichkeit, nach Europa zu fliegen, um zu lernen. Ich kann nicht sagen, dass mir alles, was in der DDR war, gefallen hat. Manches ja, anderes nicht. Aber als junger Mann war ich ganz allein, ohne Familie, keine Frau, keine Kinder. Ich hatte ein freies Leben.
Albino Forquilha: Wir hatten sehr gute Bedingungen in der Schule, eine sehr gute Ausbildung, wir wurden sehr gut behandelt. In der Schule gab es keinerlei Probleme. Als ich nach Deutschland kam, war ich bereits zwei Jahre auf dem Internat gewesen. Verglichen damit hatten wir einen sehr vollen Stundenplan, was aber gut war für unsere Ausbildung und wir hatten auch handwerkliche Aufgaben, arbeiteten auf dem Acker. Das war in Deutschland normaler Schulalltag. Das einzige gravierende Problem war, dass wir nicht die Freiheit hatten, alleine die Schule zu verlassen. Aber wir hatten genügend Kleidung und genug zu Essen. Ich erinnere mich, dass es zu dieser Zeit vielen meiner Geschwister in Mosambik sehr schlecht ging, dass die Menschen im Krieg aufgrund der Nahrungsmittelknappheit verhungerten.
Ich hatte diesen Vergleich und dieses Bewusstsein. Die gravierenden Schwierigkeiten begannen, als wir als Jugendliche unsere Freiheit auskosten wollten und der Rassismus in der deutschen Bevölkerung dies nicht zuließ. Das Land, das uns aufgenommen hatte, die Bevölkerung, die Gesellschaft – nicht alle, natürlich nicht – aber sie attackierten uns, sie töteten uns. Das hätte auch den ganzen schönen Prozess zunichtemachen können und das Bild, das ich von Deutschland hatte. In meinem Land war Krieg. Wir kamen nach Deutschland, um unserem Land zu dienen, um uns zu bilden, um zu arbeiten. Aber in diesem Land werde ich angegriffen und getötet, nur aufgrund meiner Hautfarbe! Das ist sehr schwerwiegend. Selbst um Freundschaften zu schließen oder Fußball zu spielen, brauchten wir manchmal Schutz. In diesem Sinne war es schon wie ein Gefängnis. Dafür müsste eine Überprüfung stattfinden in Kooperation der beiden Staaten, um zu untersuchen, was damals passiert ist. Denn manchmal reicht eben ein politisches Abkommen nicht aus, es muss vielmehr ein Abkommen zwischen den Bevölkerungen sein.
Baseballschlägerjahre
Sprecherin: 2019 prägte der Journalist Christian Bangel, der in Frankfurt (Oder) aufgewachsen ist und dort die Wende erlebte, auf Twitter den Begriff »Baseballschlägerjahre«. Mit diesem Hashtag rief er dazu auf, an die rechte, rassistische Gewalt in dieser Zeit zu erinnern. Hoyerswerda 1991, Mannheim-Schönau und Rostock-Lichtenhagen 1992, die Brandanschläge von Mölln und Solingen: Sie stehen heute emblematisch für die Gewaltausbrüche, Ausschreitungen und Pogrome der Nachwendezeit. Was dabei häufig untergeht: Gerade in den neuen Bundesländern waren Vertragsarbeiter*innen die ersten Betroffenen der Gewalt. Vietnames*innen im Sonnenblumenhaus von Rostock, mosambikanische Vertragsarbeiter*innen in Hoyerswerda. Der 1990 in Eberswalde ermordete Amadeo Antonio Kiowa war Vertragsarbeiter aus Angola. Der 2000 in Dessau ermordete Alberto Adriano war Vertragsarbeiter aus Mosambik. Die Liste der von Nazis ermordeten Vertragsarbeiter*innen ist noch länger.
Hinzu kommt, dass die wiedervereinigte Bundesrepublik sich nicht für die Vertragsarbeiter*innen aus der DDR verantwortlich fühlt. Viele Betriebe schließen, teils chartern sie eigens Flüge, um die Vertragsarbeiter*innen auf eigene Faust abzuschieben. Diese Flüge gehen auch mal nicht nach Mosambik, sondern in die Nachbarländer – was für Mosambikaner*innen, die gerade aus einem sozialistischen Land kommen, auch aufgrund der Paramilitärs der RENAMO nicht ungefährlich war. Viele Mosambikaner*innen kämpfen darum, bleiben zu können – und schaffen es nicht. Viele Familien werden dabei getrennt. So auch die von David Macao, der mit einer deutschen Frau eine zweijährige Tochter hatte. Erst 1997 erhalten die Vertragsarbeiter*innen, die noch in Deutschland geblieben sind, einen sicheren Aufenthaltsstatus. David berichtet, wie sich das politische Klima in der Zeit um den Mauerfall änderte:
David Macao: Als erstes habe ich nicht verstanden, was sich da politisch bewegte. Auf den Versammlungen mit der SED hat man uns immer erzählt, dass es Probleme gibt. Damals war ja Kalter Krieg und man hat uns gesagt, der Kapitalismus wolle den Sozialismus auslöschen. Aber so richtig verstanden haben wir das nicht. Dann kam Herr Gorbatschow im August 1989 nach Berlin und sagte: Das sind die Probleme der DDR und die müssen in Berlin gelöst werden. Ab diesem Zeitpunkt mussten wir die Politik verstehen. Weil wir alle Ausländer waren, Vertragsarbeiter. Man hat uns dann, das heißt, unsere Kollegen, haben uns richtig gesagt: Ihr seid Ausländer und Deutschland ist für die Deutschen. Rechte und rassistische Sprüche sind mehr geworden. In Gaststätten ist man sofort an unseren Tisch gekommen und es wurde gesagt: Deutschland ist für die Deutschen, nicht für die Ausländer. Wir müssten Deutschland verlassen. Man hat 1989 immer ›Deutschland‹ gesagt. Da haben wir gemerkt, dass wir keinen Schutz haben, und dass jeder sagt, was er will: Wir hatten Angst auf die Straße zu gehen, so ganz allein.
Sprecherin: David berichtet auch von Angriffen und Anschlägen auf sein Wohnheim in Hoyerswerda. Diese offene Gewalt beginnt schon in den Tagen vor dem 1. Mai 1990. Auch am 2. Oktober 1990 kommt es zu Ausschreitungen in Hoyerswerda und weiteren Städten, einen Tag vor der sogenannten Wiedervereinigung. Der Blog zweiteroktober90.de versucht die Erinnerung an diese in Vergessenheit geratenen Vorboten der Pogrome der frühen 1990er Jahre zu rekonstruieren und wachzuhalten. Vom 17. bis zum 20. September 1991 dann kommt es zu den »Ausschreitungen von Hoyerswerda«. David hat all dies miterlebt. Ihn schockiert im Rückblick besonders die Passivität der Politik und Polizei.
David Macao: Die Politiker haben uns nicht verteidigt. Sie haben uns im Stich gelassen. Wir konnten nicht mehr weiter, weil wir auch nicht in unserem Wohnheim leben konnten. Sie haben uns nicht geschützt. Wir waren schutzlos und konnten nirgendwo hingehen. In die Kaufhalle konnten wir nicht, spazieren gehen auch nicht. Und dann? Die einzige Möglichkeit, die blieb ihnen wohl blieb: wir wurden im Dezember 1991 mit dem Bus nach Frankfurt am Main gefahren und dann mit dem Flugzeug nach Mosambik geschickt.
Sprecherin: Anstatt die Vertragsarbeiter*innen zu schützen, wurden sie in die Flieger gesetzt und in ihre Länder zurückgeschickt. Auch dort erreichen sie die Nachrichten über die Gewalt im wiedervereinigten Deutschland:
David Macao: Ich habe davon in Mosambik erfahren, durch meine vielen Freunde, die noch in Deutschland geblieben waren. Die haben mir dann gesagt, dass die Angriffe in Deutschland noch weitergehen. 1990 hat das angefangen, '91 in unserem Wohnheim in Hoyerswerda. Und dann, '92 auch noch mal in Cottbus und in Rostock. Man muss diesen Kampf weiterführen, gegen diesen Rassismus, nicht nur in Deutschland, man muss das bekämpfen, bis jeder Mensch weiß, dass wir alle Menschen sind, genauso wie jeder in dieser Welt.
Eltern suchen Kinder suchen Eltern
Sprecherin: Ein weiteres Unrecht, das den Vertragsarbeitern widerfahren ist, sind die auseinandergerissenen Familien. David suchte seit 1991 Kontakt zu seiner Tochter in Hoyerswerda, deren Mutter leider schon früh verstorben ist.
David Macao: Ich habe eine Tochter. Sie ist jetzt 34 Jahre alt und sie will mich sehen. Ich bin jetzt hier in Mosambik und ich habe kein Geld. Als Vater will ich meine Tochter sehen und richtig kennenlernen. Viele von uns haben Kinder und diese Kinder sind bis zu 32 Jahre alt. Die wollen ihren Vater, ihre Mutter sehen. Ich glaube, wir haben ein Recht unsere Familie in Deutschland zu besuchen.
Sprecherin: In Deutschland setzt sich der Verein Afropa Solibabys dafür ein, dass Kinder ihre mosambikanischen Väter wiederfinden können. Er wurde von Betroffenen gegründet, die gemeinsam ein Netzwerk aufgebaut haben. Albino berichtet davon, was auf mosambikanischer Seite in diese Richtung passiert:
Albino Forquilha: Alle, die auf der Suche nach ihren Vätern sind … es kann sehr gut sein, dass viele ihre Väter im Krieg verloren haben. Das ist die Situation. Wir haben eine große Gruppe Mosambikaner, die haben in Deutschland Kinder gemacht und mussten dann nach Mosambik zurückkehren. Deren Kinder sind jetzt auf der Suche nach den Vätern in Mosambik. Das ist die andere Situation. Zu uns, meiner Organisation AAMA, kommen viele junge Leute, die in Deutschland geboren sind, und sich dann auf die Suche nach ihrem Vater gemacht haben. Wir haben einen Fall – ich habe ihren Namen vergessen, aber ich habe sie in Deutschland besucht –, wir sind zusammen zur Botschaft, sie kam nach Mosambik, lernte ihren Vater dort kennen und ging zurück nach Deutschland. Denn als die Leute in den frühen 90ern oder etwas früher zurückgingen, mussten sie ganz kleine Kinder, Säuglinge oder schwangere Frauen zurückgelassen. Das sind etwa 24 Personen, die jetzt ihre Väter suchen. Wir hatten ein Projekt, Begegnung und Wiedersehen – das war genau dafür da, unsere Arbeit in die breite mosambikanische und deutsche Öffentlichkeit zu tragen. Wir haben mit mosambikanische Gruppen kooperiert, haben soziale Medien, das Radio und andere Medien in Deutschland dafür genutzt, um zu sagen: »Guck mal, hier ist eine Telefonnummer. Wer auf der Suche nach dem Vater ist, ruft hier an!« Die meisten Väter waren Arbeiter, die wenigsten Schüler. Einige Arbeiter heirateten deutsche Frauen. Doch als die Mauer fiel, mussten sie zurück. Wir mussten alle zurück. Es gibt viele Leute, die ihre Väter suchen.
Kampf um Anerkennung und ausstehende Löhne
Sprecherin: Madgermanes werden die ehemaligen Vertragsarbeiter genannt, die nach Mosambik zurückkehrten. Jede Woche demonstrieren sie, schon seit ihrer Wiederankunft in Mosambik: Sie fordern ihre einbehaltenen Lohnanteile zurück. Am Anfang des Interviews berichtete David von 60 Prozent seines Lohns, die er abgeben musste. Den mosambikanischen Vertragsarbeiter*innen war erzählt worden, dass dieser Anteil ihres Lohns auf ein Konto eingezahlt werden würde, von dem er das Geld bei der Rückkehr nach Mosambik abheben könnte – als Starthilfe sozusagen. Gesehen haben die Rückkehrer*innen von diesem Geld bis heute nichts oder nur sehr wenig. David berichtet von seiner Odyssee auf der Suche nach seinen Lohnanteilen nach seiner Ankunft in Mosambik:
David Macao: Sofort als ich angekommen bin, ging ich ins Ministerium. Ich habe nach meinem Lohn gefragt und man hat mir sofort gesagt, dass mein Lohn noch in Deutschland sei. Dann habe ich meinem Betrieb sofort einen Brief geschrieben. Und gefragt: Warum ist mein Lohn in Deutschland geblieben? Der Betrieb hat geantwortet: Nein, dein Lohn ist in Mosambik. Wir haben alles nach Mosambik überwiesen. Dann hat dieses Hin und Her angefangen. In der deutschen Botschaft habe ich gefragt: Warum ist mein Lohn in Deutschland geblieben? Der deutsche Botschafter hat mir gesagt: Nein, in Deutschland ist nichts geblieben. Der ganze Lohn, den wir in Deutschland erarbeitet haben, ist hier in Mosambik.
Sprecherin: Albino Forquilha wird bei seiner Ankunft in Mosambik 1988 direkt von der mosambikanischen Armee eingezogen. Als er aus dem Wehrdienst entlassen wird, ist es zu Ende mit der DDR. Sein Abschluss wird, wie bei vielen, nicht anerkannt:
Albino Forquilha: Meine Ausbildung war sehr gut und ich fühlte mich wohl mit dem, was ich tat, obwohl sie in Mosambik nicht anerkannt wurde. Deshalb kämpfen wir dafür – unsere Kommission –und fordern die Anerkennung. Wir kehrten ungefähr Ende 1988 aus Deutschland zurück und wurden direkt in die Armee eingezogen. Fünf Jahre später konnten ein paar Leute zurückkehren, um die Gleichwertigkeit ihrer Zertifikate zu bekommen. Sie haben uns zunächst keine gleichwertigen Zertifikate für die weiterführende Ausbildung gegeben. Nur die für die mittlere Reife, was uns Probleme bereitet hat. Sie haben uns keine Gründe genannt. Das Einzige, was sie mir sagten, war, dass die Ergebnisse unserer Ausbildung, die wir in der DDR erhalten hatten, bereits disqualifiziert wurden, nach dem Fall der Mauer in Berlin. Als hätten wir daran irgendeine Schuld! Die Unternehmen und mosambikanischen Institutionen akzeptierten unsere Qualifikationen nicht. Wir hatten damit keine Chance auf dem Arbeitsmarkt.
Sprecherin: Als sich mehr und mehr Protest von Seiten der Vertragsarbeiter*innen regt, wird es der mosambikanischen Regierung mulmig zumute. Sie lässt die Polizei eingreifen:
David Macao: Das Ministerium hat schnell die Polizei eingesetzt. Da haben wir schon gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt. Warum organisiert unsere Regierung ein großes Aufgebot an Polizisten, um sich zu verteidigen, wenn wir nach unserem Lohn fragen? Wir sind pazifistisch, wir haben kein Gewehr und wir wollten nicht kämpfen.
Sprecherin: Im »Park des 28. Mai« in Maputo, der nun Jardim dos Madgermanes genannt wird, treffen sich die ehemaligen Vertragsarbeiter*innen und organisieren sich:
David Macao: Dann wir haben uns organisiert und sind in unseren Garten gegangen. In einer Versammlung haben wir dann gesammelt, was wir über unsere Löhne wissen. Das haben wir aufgeschrieben und unserer Regierung übergeben, wir haben unsere Forderungen übergeben.
Sprecherin: Doch ihre politische Arbeit wird wieder und wieder durch die Polizei behindert. David spricht von einem Krieg:
David Macao: Unsere Regierung hat dann die Polizei in unseren Garten geschickt und die Polizei hat alles mit uns gemacht, was ein Polizist so machen kann, um den Staat zu verteidigen. Sie haben Menschen getötet, man hat uns geschlagen und so weiter. Wir haben gemerkt, dass richtig Krieg war – und bis heute ist. Doch wir haben bis heute noch nicht aufgegeben, weil wir recht haben. Alles, was wir in Deutschland verdient haben, ist unser Geld. Wir haben Tag und Nacht dafür gearbeitet. Deswegen kämpfen wir bis heute, um von den beiden Staaten die richtigen Antworten zu bekommen. Wo ist unser Geld?
Sprecherin: 2019, vierzig Jahre nach dem Abkommen zwischen Mosambik und 30 Jahre nach dem Mauerfall, bringt eine Konferenz in Magdeburg das Thema endlich auch in Deutschland aufs Tapet. Und für David Macao kommt mit ihr eine lang ersehnte Antwort – auch wenn sie eine schlimme Vermutung bestätigt:
David Macao: Und dann hatte ich Glück: 2019 war in Magdeburg eine Internationale Konferenz und ich war eingeladen. Dort hat man mir erklärt, dass man mit unserem Lohn die Staatsschuld von Mosambik verrechnet hat. Nach fast 28 Jahren habe ich erfahren, was man mit meinem Lohn gemacht hat.
Albino Forquilha: Deshalb haben wir uns zusammengetan, die Arbeiterinnen, die Arbeiter, die ehemaligen Schülerinnen und Schüler mit unseren Forderungen. Wir haben diese Gemischte Kommission gegründet. Ich bin selbst Vorsitzender. In 2019 hatten wir die Konferenz „Respekt und Anerkennung“ in Magdeburg. Heute kämpfen wir noch für unsere Rechte. Die eine Seite als Arbeiter*innen und die andere als Schüler*innen.
Sprecherin: Magdeburg im Februar 2019: Hier veranstalteten ehemalige Vertragsarbeiter und Ex-DDR-Bürger*innen gemeinsam die Konferenz »Respekt & Anerkennung«. Zum ersten Mal wird hier benannt, was mit den Löhnen der mosambikanischen Vertragsarbeiter*innen passiert ist: Sie wurden zur Tilgung der Staatsschulden Mosambiks bei der DDR verwendet. In den Vertragsunterlagen steht davon natürlich nichts. Einzig ein verdächtiges Wort findet sich dort: Es heißt die Löhne würden ›verrechnet‹ werden. David und viele andere sprechen hier von Sklaverei. In Magdeburg wurde auch ein Memorandum mit Forderungen an die deutsche und mosambikanische Regierung aufgesetzt, in der es um Erinnerungspolitik, um die ausstehenden Löhne, das geschehene Unrecht und die Rechte der der deutsch-mosambikanischen Familien geht. In der Bundesrepublik scheint es in kleinen Schritten vorwärts zu gehen.
Albino Forquilha: Das läuft gut! Wir sind da schon 30 Jahre dran. Das erste Mal haben wir die Forderungen in den 1990ern in Mosambik geäußert. Damals hatten wir viele negative Antworten. Einige der Arbeiter*innen sind bereits verstorben oder inhaftiert. Nachdem sie aus Deutschland wiederkamen, haben ehemalige Schüler*innen und Arbeiter*innen ihre eigenen Organisationen gegründet, um ihre Rechte einzufordern. Außerdem haben wir diesen Dachverband, AAMA, die Deutsch-Mosambikanische Freundschaftsgesellschaft, um besser mit Deutschland zu interagieren und Unterstützung anzufordern. Unsere Anliegen sind wissenschaftlicher und kultureller Austausch mit Deutschland, Deutschunterricht, der Austausch von Filmen und solche Dinge. Als dann 2008 die Vorsitzenden gewählt wurden, haben sie mich vorgeschlagen. Ich bin angetreten und sagte in meiner Wahlkampagne, dass wenn ich die Wahl gewänne, würde die Forderungen der Schüler*innen und Arbeiter*innen auch Thema in der AAMA werden, denn meine Vorgänger*innen haben das nicht akzeptiert. Sie sagten, die aus Deutschland Zurückgekehrten seien verwirrt.
Ich machte also diese Aspekte zur Priorität. Nachdem wir 30 Jahre lang ergebnislos unsere Forderungen in Mosambik gestellt hatten, sind wir eine Kooperation mit einer deutschen Kirche eingegangen, damit wir auch in Deutschland Gehör finden. Wir hatten dieses Treffen mit deutschen Staatsvertreter*innen und dann gründeten wir die Gemischte Kommission und ich muss sagen, die Prozesse laufen von deutscher Seite aus seit zwei, drei Jahren sehr gut, obwohl COVID natürlich versuchte, uns auszubremsen.
Die Konferenz 2019 »Respekt und Anerkennung« in Magdeburg hatte viele positive Reaktionen hervorgerufen. Aber das hat uns nicht gereicht. Wir wollten dieses Thema an die breite Öffentlichkeit bringen. Also haben wir uns mit Gewerkschafter*innen, mit Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und Publizist*innen getroffen, damit möglichst viele Leute verstehen, was überhaupt unsere Anliegen ist und warum wir diese Forderungen stellen; damit wir uns nicht ständig rechtfertigen müssen, für das, was wir tun. Auch ein wichtiger Aspekt daran ist, dass wir auch eine Gruppe gefunden haben, die in Ostdeutschland für ihre Rechte kämpft. Auch sie fühlen sich ungerecht behandelt während der Zeit der DDR. Da wir aus derselben Gegend kamen, trafen wir uns und formten so etwas wie eine Einheit. Außerdem gibt es die Folgekommission in Deutschland; diejenigen, die nach der Konferenz 2019 in Magdeburg weitergemacht haben und uns repräsentieren. Diese Kommission besteht aus mosambikanischen Arbeiter*innen und Schüler*innen, die in Deutschland bleiben konnten, sowie deutschen Unterstützer*innen. Sie sind so etwas wie unsere Botschaft: Sie bekommen unsere Sorgen und Dokumente aus Mosambik, dann kanalisieren sie diese und schicken sie nach Deutschland.
So kam das Thema erstmals in den Bundestag. Es wurde dort zumindest am Rande debattiert. In diesem Jahr nun gab es auch erstmals im Bericht des Auswärtigen Amtes eine Zeile mit Bezug auf dieses Thema. Wir bewerten das als einen Erfolg. Wir haben auch deutsche Anwält*innen engagiert, die mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte verbunden sind, um mit ihnen unsere Forderungen Punkt für Punkt durchzugehen. Da geht es um die Sozialversicherung, um Steuervergünstigungen – alles Rechte, die deutsche Arbeitnehmende haben und die uns zugesagt wurden; die Zusagen wurden aber nicht eingehalten. So bilden wir eine Einheit, die gemeinsam dafür kämpft, dass diejenigen, die eine Entscheidung treffen, diese zugunsten der Geschädigten treffen. Der Prozess geht in die richtige Richtung.
David Macao: Ehrlich gesagt: Hier in Mosambik passiert nichts. Unsere Regierung will bis heute nichts von uns und unserem Kampf hören. Deswegen ist hier in Mosambik bis heute, zwei Jahre nach dieser internationalen Konferenz nichts passiert. Aber wir erfahren aus Deutschland, dass vieles gemacht wird. Dort nimmt man unser Problem richtig wahr. Es gibt Politiker*innen, die versuchen zu sehen, was nicht richtiggemacht wurde. Und das gefällt uns. Außerdem ist es gut, dass uns verschiedene Gruppen, Wissenschaftler, Parteien und Organisationen hören wollen. Sie zum Beispiel. Wir sind natürlich sehr zufrieden, dass man in Deutschland versucht, unser Problem in Deutschland richtig zu sehen und zu verstehen, was da los war. Hat uns Mosambik als Sklaven oder als Vertragsarbeiter, oder als Personen, die was lernen mussten, in die DDR geschickt, um diese Staatsschulden von Mosambik zu verrechnen? Jetzt sind es schon 32 Jahre und wir warten immer noch auf die richtige Antwort. Aber wir werden bis zum letzten kämpfen, bis wir von einem der beiden Länder die richtige Antwort bekommen.
Albino Forquilha: Ein großer Wunsch ist dies, das wird künftig ein sehr wichtiger Punkt in Studien über die Kooperation zwischen zwei Staaten sein: Bei Themen der Zusammenarbeit, wenn sie die Bewegungsfreiheit der Leute betrifft, ist es nötig, dass sich die Beziehung der Menschen aus den Bevölkerungen beider Staaten, beider Nationalitäten vertieft. Weil wir, als wir nach Deutschland aufbrachen und dort in eine Gesellschaft kamen, kaum eine Beziehung zum Auswärtigen Amt oder zur Politik hatten. Wir waren dort als Individuen in einer Gesellschaft, als Teil dieser Gesellschaft. Es ist also nötig, dass die Gesellschaft auch diesen Geist, diesen Esprit der internationalen Zusammenarbeit verinnerlicht. Wenn das nicht passiert, kann es in dieser Ablehnung resultieren, die wir erlebt haben.
Die andere Lektion ist genau diese: Mosambik hat unsere Zertifikate nicht anerkannt, weil Deutschland bereits eine große Kampagne gefahren hatte, die jedwede Bildung disqualifizierte, die in der DDR gelehrt worden war. Mosambik hat uns geschädigt, und Deutschland auch. Uns wurde der Lohn abgezogen, wir bekamen ihn nie wieder. Sozialversicherung wurde abgezogen, die bekamen wir auch nicht zurück. Ich spreche hier von Menschenrechten, die respektiert werden sollten. Und wir wollen Unterstützung in unserer Arbeit.
Die wichtigste Unterstützung besteht darin, diejenigen, die in Deutschland im Parlament Entscheidungen treffen, unter Druck zu setzen, damit sie dann beobachten, wie es sich mit den verletzten Rechten entwickelt. Derzeit gibt die deutsche Regierung viele Zusagen und viel Unterstützung an die Ukraine. Geld, Kriegsgeräte, sogar ukrainische Geflüchtete in Deutschland werden unterstützt. Und warum tun wir das? Weil wir die Menschenrechte respektieren! Dann lasst uns auch die Menschenrechte der Mosambikaner*innen respektieren, die verletzt wurden! Lasst uns hinsehen! Lasst sie uns entschädigen! Diejenigen, deren Rechte auf Jahre von den Regierungen zweier Staaten verletzt wurden. Damit wir endlich Frieden finden können.
Weitere Shownotes
- Das Online-Projekt zweiteroktober90 dokumentiert neonazistische Angriffe vom 2. oder 3. Oktober 1990 direkt vor oder an dem Tag der Vereinigung der beiden deutschen Staaten:
- Der Verein Afropa Solibabys ist ein Forum für die ›Kinder‹, die ihre Väter in Mosambik suchen, für den Austausch zwischen den ›Müttern‹ , den ›Kindern‹ und den Mosambikanern, die selbst ihre Kinder suchen oder sich austauschen möchten.
- In Gedenken an Delfin Guerra und Raúl Garcia Paret wurde die Initiative am 12. August ins Leben gerufen.
- Die Webdokumentation "Eigensinn im Bruderland" der Journalistin Julia Ölkers erzählt multimedial von "Migrant*innen, die als Vertragsarbeiter*innen, als Studierende oder politische Emigranten in die DDR kamen und ihre eigenen Vorstellungen behaupteten".
- Die Lebensgeschichten von Betroffenen rechter Gewalt stehen im Mittelpunkt des Webprojekts "Gegen uns", unter anderem die des mosambikanischen Vertragsarbeiters Jorge Gomondai.