»Wenn das Land verschwunden ist, werden auch die Menschen verschwinden«

Dewi Candraningrum über Klimakrise, Frauen im Protest und Zementabbau durch HeidelbergCement

Audiobeitrag von Julia Reiff

06.11.2023
Teil des Dossiers Klimakrise und Migration

HeidelbergCement eilt der Ruf voraus, dass es das deutsche Unternehmen mit Menschenrechten und Umweltgesetzen nicht so genau nimmt. Die Tochterfirma Indocement betreibt bereits drei Zementwerke in Indonesien. Da die Nachfrage an dem Baustoff steigen soll, baut die Firma ihre Kalkminen weiter aus. Einer dieser Orte ist das Kendeng Gebirge auf der Insel Java. Dort soll eine weitere Mine errichtet werden. Dieser Ort ist das Zuhause der indigenen Bevölkerung Samin, die sich schon gegen die Kolonialisierung der Holländer zur Wehr setzen. Wir berichten über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Region, wie der Kalkabbau die Lage verschlimmern würde und das laufende Gerichtsverfahren gegen HeidelbergCement.


Skript zum Beitrag

Erstausstrahlung südnordfunk 7. November 2023 | Radio Dreyeckland

Heidelberg Cement heißt jetzt HeidelbergMaterials. Während der Hauptversammlung 2017 in Heidelberg betonierten fünf Personen aus Protest ihre Füße ein. Die Demonstrierenden imitierten den Proteststil des Netzwerks Save Kendeng aus Indonesien, dort machten 2006 Demonstrierende der indigenen Gruppe Samin auf die Zerstörung des Zentraljava-Gebirges aufmerksam. Inwiefern bist du persönlich Teil dieser Protestbewegung?

Dewi Candraningrum: Als wir anfingen zu untersuchen, was in den Zement-Abbaugebieten passiert, im Norden des Kendeng-Gebirges in der Java Region, fanden wir heraus, dass PT Indocement eine Tochtergesellschaft von HeidelbergMaterials ist. Und warum nicht die Heinrich-Böll-Stiftung mit uns zur Unterstützung vernetzen? Zur Unterstützung, sodass die Indigene Bevölkerung vernetzt ist und das ist dann auch das, was in den Protesten passiert ist.

Bleiben wir beim Protest: Kannst du uns sagen, warum Frauen bei den Protesten eine so wichtige Rolle spielen?

Dewi Candraningrum: Ja. Es gibt einen langen Kampf gegen den Zementabbau, darum, ob dieser legal oder illegal ist, ob er im Besitz des Staates oder im Besitz eines internationalen Konzerns ist. Meistens sind die Demonstrierenden männlich. Aber dann gab es mehrere Vorfälle, bei denen die männlichen Demonstranten mehrmals inhaftiert wurden und Augenzeugen ein Interview führten und in der Familie nachfragten, warum die Frauen nicht gerne an den Protesten teilnehmen. Seit nun Frauen die Proteste veranstalten, unterscheidet sich der Protest deutlich von den Protestarten der Männer. Die Frauen kochen zum Beispiel an den Standorten vor den Zementfabriken. Sie kümmern sich um die Babys und erziehen die Kinder. Bei unseren monatlichen Protesten vor dem Büro des Gouverneurs und vor dem Präsidentenpalast in Jakarta, veranstalten wir eine Art Essenszeremonie. Wir kochen und richten das Essen dann auf traditionelle Weise an, dann führen wir ein Ritual durch, und beten, dass diese Nahrung uns gesundmacht und uns mit dem Planeten verbindet, denn die Nahrung ist das Produkt des Planeten. Wir sind mit dem Berg verbunden. Durch das Essen sind wir mit dem Meer verbunden. Es handelt sich also um eine Art Lebensmitteldiplomatie. Das Schöne ist, dass das Essen zuerst dem Gouverneur übergeben wird. Wenn der Protest in Jakarta stattfindet, wird das Essen dem Präsidenten übergeben und auch der Polizei und der Armee, die uns während des Protests umzingelt haben. Deshalb ist alles friedlicher, soweit ich das damals miterlebt habe.

Indonesiche Proteste im Kendeng Gebirge gegen Zement Abbau des deutschen Unternehmens HeidelbergCement
In Indonesien protestieren die Mütter des Kendeng Gebirges vor einem Tempel mit Porträt Gemälden von Dewi Candraningrum gegen den Abbau von Zement. | Foto: Dewi Candraningrum 2016

Ich möchte über die Samin sprechen, die in der Gegend leben, in der die Fabrik gebaut werden soll. Die Saminismus-Bewegung des späten 19. Jahrhunderts hat den Kapitalismus abgelehnt der der indonesischen Bevölkerung von den Niederländern aufgezwungen wurde. Diese Bewegung protestierte friedlich gegen die Übernahme der Region Java durch die Kolonisatoren. Nun will das deutsche Unternehmen Heidelberg Materials Teile der Java-Region übernehmen. Inwiefern sind die Samin an den Protesten beteiligt und wie trägt ihre Verbindung zum Land zu eurem Aktivismus bei?

Dewi Candraningrum: Ich persönlich und auch die Öffentlichkeit bewundern den Einsatz, die Hingabe und das Engagement der indigenen Gemeinschaft Samin. Es ist ihre lebenslange Verpflichtung, ihre lebenslange Hingabe, an der Seite des Planeten, des Landes und der Berge zu stehen. Sie begehrten damals nicht nur gegen die Niederländer auf, sondern auch im Alleingang gegen den damaligen Präsidenten, der das Volk ungerecht behandelt hat.

Die Frauen kochen zum Beispiel an den Standorten vor den Zementfabriken.

Als die Holländer kamen und eine andere Kultur und einen anderen Lebensstil aufzwingen wollten, die Sklaverei durchsetzen und von den Bauern und Bäuerinnen unvorstellbar hohe Steuern wollten, rebellierten die Samin gegen die Niederländer. Und jetzt revoltieren sie wieder gegen jede Regierungspolitik, die das Land oder die Beziehung zwischen ihrer Identität und Mutter Erde zerstört. Sie nennen die Welt Muttererde. Und jetzt, da viele internationale Zementkonzerne nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Frankreich und China kommen, sind sie der Ansicht, dass diese Art von Existenzkampf auch dem historischen Kampf ähnelt. Diese Art des konsequenten und nachhaltigen Protests ist für uns also wirklich eine Quelle der Inspiration.

Im Zuge der Dezentralisierung der Macht an die lokalen Regierungen in Indonesien konnte HeidelbergCement das Recht auf Bergbau von der lokalen Verwaltung erlangen. Warum hat sich die lokale Regierung so entschieden? Und welche Gewinne erhoffte sie sich?

Dewi Candraningrum: Laut unserer Recherche mit einem Team junger, engagierter Anwält*innen fanden wir heraus, dass Indonesien bis 2050 genug Zement hat, um seine eigene Infrastruktur aufzubauen. Es gibt also keinen Grund, Zement erneut abzubauen, zu verkaufen oder zu exportieren, denn das bedeutet, dass wir dann Probleme mit dem Grundwasser haben werden. Wir werden Probleme mit Überschwemmungen haben, und mit den Lebensräumen der Fledermäuse. Die Fledermäuse sind ein sehr wichtiger Bestäuber für die Landwirte im Anbaugebiet. Wenn der Lebensraum der Fledermäuse verschwindet, verschwinden sie. Wenn der Bergwald verschwunden ist, wenn das Land verschwunden ist, werden schließlich auch die Menschen verschwinden.

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Der ökologische Konflikt ist also im Grunde ein sozialer Konflikt. Und, die Regierung beschleunigt jetzt mit dem Prozess der Regionalisierung und Lokalisierung den bürokratischen Prozess. Es handelt sich also um eine Art Abkürzung zur Ausbeutung der Natur. Früher, während der Suharto-Ära, waren wir ja mit einer Art Autorität nicht einverstanden. Wir fanden die Lokalisierung oder Regionalisierung oder Autonomie jeder Region gut, um diese einzeln zu unterstützen, im Hinblick auf Gerechtigkeit, im Hinblick auf soziale Gleichheit, nicht im Hinblick auf Ausbeutung. Und genau wie bei den natürlichen Ressourcen ist es für die Regierung der Region jetzt der schnellste Weg, an Geld zu kommen.

Gibt es irgendwelche Versprechen von der Regierung oder von Seiten der Unternehmen an die Bevölkerung?

Dewi Candraningrum: Ich kann mich an keine Versprechen erinnern, die uns gegeben wurden, als das Gesetz so geändert wurde, wonach in der gesamten Bergregion legal Zement gefördert werden darf. Früher galt das Gesetz: Wenn ein Berg Kalkstein-Vorkommen aufweiset, dann könnte es auch Quellen, Höhlen und Grundwasservorkommen geben. Dann sollten wir das nicht abbauen. Ein Forscherteam hat das kartiert. Und wir haben nicht nur Hunderte, sondern Tausende von Wasserquellen im gesamten Gebirge gefunden, aber diese werden gerade durch ein neues Gesetz und eine neue Regelung zerstört, die besagt, dass man dort an Bodenschätzen abbauen kann, was immer man will. Es hat den Menschen wirklich wehgetan. Das neue Gesetz tut uns weh. Jedes Mal, wenn sie etwas abbauen möchten, sagen sie: Na ja, das ist ein trockenes Gebiet, wir könnten dort abbauen. Dort lebt niemand. Aus unserer Sicht sind das nur Ausreden, um Investitionen aus dem Ausland für die lokale Regierung anzuziehen.

Lass uns auf den Klimawandel und die Wasservorkommen in der Region zurückkommen, mit denen du dich auch akademisch befasst hast: Warum sind Frauen in der Region anders vom Klimawandel, der Wasserknappheit und dem Bergbau betroffen?

Dewi Candraningrum: Ich habe mehrere Untersuchungen zu den Auswirkungen der Klimakatastrophe, der Klimakrise und des Klimawandels für Frauen durchgeführt. Wir haben festgestellt, dass Frauen in zweierlei Hinsicht anfälliger sind: Erstens hinsichtlich ihrer sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte. Beispielsweise gibt es in einer Region, anders als im Condon-Fall, ein Öl Leck eines Konzerns, das Öl gelangt ins Grundwasser in einem Dorf in Panama in Zentral-Java. Dort haben wir herausgefunden, dass 24 Frauen und etwa 13 Männer an Krebs gestorben sind. Frauen sind also aufgrund ihres Fortpflanzungssystems körperlich doppelt betroffen. Und zweitens liegt es an den traditionellen kulturellen Konstrukten, die dazu führen, dass Frauen im Vergleich zu Männern häufiger mit Wasser zu tun haben, weil Frauen Pflege- und Hausarbeiten erledigen. Deshalb sind sie anfälliger.

Das ist keine Erwärmung, sondern die Atmosphäre kocht.

Kannst du etwas mehr über die Überschwemmungen vom letzten November bis Januar 2023 erzählen?

Dewi Candraningrum: Die Unternehmen PTSMS / Indocement / HeidelbergCement haben ihre Fabriken dort noch nicht fertiggebaut und doch gibt es bereits seit November Überschwemmungen, nicht nur – wie gewöhnlich - bis Januar, sondern sogar bis in den März. März und April – das sind viele Monate, in denen die Reisfelder unter Wasser stehen. Und mit dem globalen Kochen, es ist keine Erwärmung, sondern die Atmosphäre kocht, erleben wir heftige, heftige Regenfälle. In den letzten zwei Wochen hat Indonesien eine Hitzewelle erlebt. Früher ist die Temperatur nie über 33 Grad gestiegen. Jetzt haben wir dort 38 oder sogar 41 Grad. Das ist also eine zusätzliche Belastung, eine Krise in einer Krise. Und wenn dort noch mehr Unternehmen hinzukommen, ist das so, als gäbe es eine mehrfache oder zunehmende Krise - das ist nicht nur eine Katastrophe, das ist eine Mega-Katastrophe.

Die von FIAN Deutschland und der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützte Kendengs-Volksbewegung hat im Namen der von der geplanten Zementfabrik betroffenen Gemeinden 2020 eine Beschwerde eingereicht. Diese wirft HeidelbergCement vor, mit ihrem Vorgehen gegen die OECD-Richtlinien verstoßen zu haben. Wer sind die Menschen hinter dem Fall? Und was ist deine Rolle dabei?

Dewi Candraningrum: Ich bewundere eine Gruppe junger, engagierter Anwält*innen, die ihre Arbeit ehrenamtlich erledigt haben. Es handelt sich um eine Stiftung zur Unterstützung von Rechtsstreitigkeiten für ungeschützte Gruppen, und diese jungen Leute arbeiten mit der Heinrich-Böll-Stiftung zusammen, um diese Art der Recherche, der Dokumentation, der Einreichung und dann eines Gerichtsverfahrens vor Ort durchzuführen und an der Seite der Menschen zu sein. Und was ich gehört habe, ist, dass es zwischen HeidelbergCement und den Menschen dort so etwas wie Verhandlungen oder Vermittlungen gibt. Und die sind fehlgeschlagen.

Aus unserer Sicht sind das nur Ausreden, um Investitionen aus dem Ausland für die lokale Regierung anzuziehen.

Sprecherin: Übrigens: Die Kendeng People's Movement (JMPPK) haben eine Klage eingereicht, im Namen der von der geplanten Zementfabrik betroffenen Gemeinden und unterstützt von FIAN Deutschland und der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Kendeng-Bewegung wirft HeidelbergCement vor, bei seinem Vorgehen gegen die OECD-Leitsätze verstoßen zu haben. Wir fragten die Rechtsanwältin Etik Oktaviani, die mit der Klage befasst ist, gegen welche Leitsätze verstoßen wurde und was der aktuelle Stand der Klage ist. Sie erklärt der südnordfunk Redaktion schriftlich, es gehe um den Schlichtungsmechanismus über die Nationale Kontaktstelle, und der wäre für gescheitert erklärt worden.

Etik Oktaviani: Das liegt daran, dass der Grundsatz der Vertraulichkeit unterschiedlich ausgelegt oder gesehen wird. Für ein Unternehmen sollte die Bedeutung des Grundsatzes der Vertraulichkeit nur den Parteien in der Mediationssitzung bekannt sein. Die Vertreter*innen der Gemeinschaft, die an der Mediation teilnehmen, sollten hingegen den Mediationsprozess oder die Ergebnisse nicht vor jenen, die sie vertreten, geheim halten. Das Scheitern der Mediation ist also auf die unterschiedlichen Ansichten des Unternehmens und der Gemeinde zurückzuführen.

Sprecherin: Der Widerstand auf rechtlichem Wege geht weiter. Die Umweltgenehmigungsklage, die von der Gemeinde beim Verwaltungsgericht der Regionalregierung Semarang eingereicht wurde, stützt sich auf die Behauptung, der Bau der Zementfabrik sei illegal und beruhe auf nicht-legitimen Daten. Wir fragten Etik Oktaviani, welche Daten konkret gemeint sind und welche anderen Daten in der Verhandlung von Seiten der lokalen Gemeinden vorgelegt wurden. Ihre Antwort:

Etik Oktaviani: Meinen Sie mit »Gerichtsdokumenten« die Umweltgenehmigungsklage, die von der Gemeinde beim Verwaltungsgericht des Staates Semarang eingereicht wurde? Wenn ja, dann lautet die Erklärung wie folgt: In der von der Gemeinde eingereichten Klage war eines unserer Argumente die Diskrepanz zwischen den Daten, die der Befürworter einer Umweltverträglichkeitsprüfung zugrunde gelegt hatte, und den Fakten oder Daten von vor Ort. Diese Daten sind sehr wichtig, um die Merkmale von Karstgebieten zu kennen, in denen kein Bergbau betrieben werden sollte.

In der Umweltverträglichkeitsprüfung werden nur 19 Höhlen, 29 Quellen und 3 Ponore erwähnt. Die vom ASC, einem geologischen Verein (Acintyacunyata Speleological Club) und der Gemeinde in demselben Gebiet durchgeführten Untersuchungen ergaben jedoch, dass es 30 Höhlen, 110 Quellen und 9 Ponore gibt. Dies bedeutet, dass bei der Erstellung der Umweltverträglichkeitsprüfung falsche Daten verwendet wurden.

Zurück zu Dewi. Wie bekannt ist diese Beschwerde in Indonesien?

Überhaupt nicht bekannt.

Gibt es Unterstützung aus dem Global Norden, da Heidelberg Cement in Deutschland ansässig ist? Wie haben deutsche zivilgesellschaftliche Gruppen euer Ziel unterstützt und wie könnten sie in Zukunft den Protest der Kendeng-Bewegung unterstützen?

Dewi Candraningrum: Ja, wir sind sehr dankbar. Wir haben mehr als Glück. Manchmal denke ich an die Dichotomie zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden, oft gibt es innerhalb dieser Dichotomie überhaupt keine Versöhnung. In Bezug auf den Handel, ja, da schon. Aber in Bezug auf ein Netzwerk des Aktivismus, oder in Bezug auf die Sorge um den Planeten glaube ich persönlich und auch die Gemeinschaft fest daran, dass es viele Menschen außerhalb gibt, die für unser Land und den Planeten engagiert sind. Es handelt sich also um ein grenzenloses Netzwerk, ohne darauf zu achten: Welche Religion haben Sie? Was ist dein Land? Was ist Ihre Rasse? Was ist deine Haut? Dann stehen wir gemeinsam für den Planeten ein. Ja, wir sind sehr dankbar für dieses Netzwerk.

Shownotes

Julia Reiff traf Dewi Candraningrum Mitte Oktober in Freiburg. Im November wird erwartet, dass der von den betroffenen Gemeinden geführte Prozess in Java wieder aufgenommen wird, um die Gültigkeit einer erteilten Umweltverträglichkeitsprüfung anzuzweifeln.

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