»Die Luftver­schmutzung verringert die Lebens­erwartung«

Kwami Kpondzo zu den Folgen der industriellen Ausbeutung durch HeidelbergCement

Audiobeitrag von Rouby Traoré

10.10.2023
Teil des Dossiers Klimakrise und Migration

Im Jahr 2015 investierte HeidelbergMaterials (ehemals HeidelbergCement) 250 Millionen US Dollar in Togo, um eine Schlüsselrolle im westafrikanischen Bausektor zu spielen. Das Unternehmen ist die weltweite Nummer 1 bei Zuschlagstoffen und Beton und die weltweite Nummer 2 bei Zement. In Togo ist es seit 1984 tätig und baut dort Klinker für die Zementproduktion ab.

Die Folgen der industriellen Ausbeutung von Klinker für Menschen, Tiere und die Natur sind gravierend: Luftverschmutzung, Zerstörung der Küstenfischerei, hohe CO2-Emissionen bei der Zementherstellung. Dagegen kämpft seit vielen Jahren das Centre pour la Justice Environnementale-Togo (CJE-Togo), das Zentrum für Umweltgerechtigkeit-Togo. Es will die sozioökonomischen und kulturellen Lebensbedingungen der Menschen vor Ort verbessern. Rouby Traoré hat für den südnordfunk mit dem Geschäftsführer Kwami Kpondzo von CJE über gesundheitliche und klimatische Auswirkungen der Zementindustrie gesprochen.


Skript zum Beitrag

Erstausstrahlung südnordfunk 3. Oktober 2023 | Radio Dreyeckland

HeidelbergCement - jetzt Heidelberg Materiels* - ist ein deutsches multinationales Unternehmen, das in der Zementherstellung in Togo tätig ist. Erzählen Sie uns etwas über das Unternehmen und seine Aktivitäten vor Ort.

Kwami Kponzo: Die HeidelbergCement-Gruppe ist in Togo mit den Tochtergesellschaften Scantogo, Granutogo und Cimtogo tätig. Scantogo ist eine Fabrik zur Herstellung von Klinker mit einer Produktionskapazität von 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr. Die Fabrik befindet sich in Tabligbo in der Präfektur Yoto. Granutogo ist eine Brecheranlage für Zuschlagstoffe in Amélpké auf der Straße nach Notsè in der Präfektur Haho, etwa 72 Kilometer von der Hauptstadt Lomé entfernt. Cimtogo ist die älteste Fabrik der Heidelberg-Gruppe, die sich in Togo niedergelassen hat. Sie ist mit zwei Anlagen in Lomé und seit kurzem auch in Kara vertreten. Das Werk in Lomé, das sich im Hafengebiet in der Küstenregion des Landes befindet, hat eine Jahresproduktion von 1.700 Millionen Tonnen, während das Werk in Kara in Awandjélo eine Jahresproduktion von 300 Millionen Tonnen hat.

Alle diese Fabriken nutzen in ihrem Betrieb fossile Brennstoffe wie Öl und Gas, und wir wissen, dass diese Energieformen Gase freisetzen, die einerseits für Atemwegserkrankungen verantwortlich sind und andererseits die Klimakrise verursachen, von der kein Land der Welt verschont bleibt. Und noch wichtiger sind die Verletzungen und Missbräuche, denen die gefährdeten Bevölkerungsgruppen in den Gebieten, in denen diese Anlagen errichtet und betrieben werden, ausgesetzt sind, da ihr Land für die Aktivitäten der Anlagen enteignet wird. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Bevölkerung in Togo außerhalb der Hauptstadt Lomé und anderer Großstädte vorwiegend ländlich geprägt ist und daher hauptsächlich auf Land angewiesen ist, um landwirtschaftliche Aktivitäten als Lebensgrundlage zu betreiben.

Welche Auswirkungen haben die Aktivitäten von HeidelbergCiment auf die Bevölkerung?

Kwami Kponzo: Die Aktivitäten von Fabriken wie HeidelbergCement verursachen eine Verschmutzung der Atmosphäre und damit der Luft, die wir einatmen. Aus diesem Grund sind die Menschen in der Umgebung dieser Fabriken Gesundheitsproblemen ausgesetzt, die zu chronischen Atemwegserkrankungen führen können. Die übermäßige Belastung durch die von den Fabriken ausgestoßenen Schadstoffe führt bei Kindern, Erwachsenen und Frauen zu einer Zunahme von Atemwegsbeschwerden und -erkrankungen, einschließlich Anfällen von Atemnot, chronischem Husten und Sputum, chronischer oder nicht chronischer Bronchitis sowie Infektionen der Atemwege.

»Jedes Mal, wenn wir Rauch, Staub und Gase aus Fabriken einatmen, gelangt eine große Menge an Fein­staub in unsere Atem­wege.«

Darüber hinaus verursacht die Luftverschmutzung Atemwegserkrankungen und ist eine wichtige Ursache für Morbidität und Mortalität, nicht nur bei den Anwohner*innen, sondern auch bei den Arbeiter*innen in den Fabriken. Luftverschmutzung führt nachweislich zu Krankheiten und vorzeitigem Tod, und die am stärksten Betroffenen sind die Menschen, die in der Nähe von stark befahrenen Straßen leben, auf denen die Fabriken stehen. Jedes Mal, wenn wir Rauch, Staub und Gase aus Fabriken einatmen, gelangt eine große Menge an Feinstaub in unsere Atemwege und Lungen. Darüber hinaus ist es wichtig, daran zu erinnern, dass Fabriken durch die Freisetzung von Gasen während der industriellen Revolution, die die Welt erlebt hat, besonders die Ursachen für die globale Erwärmung und den Klimawandel sind, die das Leben auf der Erde heutzutage beeinträchtigen und bedrohen.

Sind die Mitarbeiter*innen in den Zementfabriken ausreichend geschützt?

Kwami Kponzo: Die Mitarbeiter*innen in diesen Fabriken erleben sehr oft soziale und ökologische Ungerechtigkeit in Bezug auf ihre Gesundheit. In diesen Fabriken, die durch ihren Betrieb Gase, Rauch und Schadstoffe ausstoßen, wird ihre Gesundheit geschädigt. Die Beschäftigten sind oft gesundheitlich angeschlagen und leiden unter anderem an Asthma, Atemwegsinfektionen und in einigen Fällen an Augenschmerzen, die bis zur Erblindung führen können, sowie an Unfruchtbarkeit bei Frauen und Unfruchtbarkeit bei Männern. Sie führen zu einer geringen Lebenserwartung. Darüber hinaus verringert die Luftverschmutzung die Lebenserwartung, da die Zahl der Todesfälle pro Tag und die allgemeine Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen einschließlich Lungenkrebs steigt.  

Eine Studie des Bundesamts für Raumentwicklung aus dem Jahr 2018 zeigt, dass die Luftverschmutzung durch Feinstaub aus Fabriken in der Schweiz 2.300 vorzeitige Todesfälle pro Jahr verursacht, was 23.600 verlorenen Lebensjahren entspricht. Man könnte sich vorstellen, was mit den Angestellten passiert, die in den Fabriken arbeiten und keine angemessene persönliche Schutzausrüstung haben, um sich vor den gefährlichen Gasen zu schützen, die ausgestoßen werden.

Collage diverser Anzeigen und Artikel zur Preissteigerung von Zement aus der Presse in Togo
Zememt in Togo: Seit 2021 wird eine Preissteigerung befürchtet - ein Politikum fast wie die Brotpreise | Quelle: Collage diverser Anzeigen und Artikel aus der Presse in Togo

 

Welche Auswirkungen hat dies auf die Umwelt?

Kwami Kponzo: Wenn es also um die Folgen von Fabrikaktivitäten und Küstenerosion geht, sei daran erinnert: Die Gase, die von Fabriken und Industrien, die mit fossilen Energieträgern wie Öl, Gas, Kohle arbeiten, sind Treibhausgase. Und Treibhausgase sind die treibende Kraft hinter dem Prozess der globalen Erwärmung und der Klimakrise, und eine Erscheinungsform der globalen Erwärmung ist das Ansteigen der Wasserstände, Meere und Ozeane. Das führt zu Küstenerosion, die wiederum die Lebensgrundlagen wie Fischerei und Gemüseanbau zum Beispiel von Fischergemeinden entlang der Küste zerstört. Auch die Infrastruktur und menschliche Siedlungen wie Wohnhäuser, Wirtschaftszonen und landwirtschaftliche Nutzflächen gehen durch das Vorrücken des Meeres verloren.

»Die Zementindustrie ist für einen massiven Anteil von acht Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich.«

Kwami Kponzo: Zementfabriken zum Beispiel setzen CO2 frei, das allgemein als Kohlendioxid bekannt ist. Die Zementindustrie gilt als die Industrie mit den zweithöchsten Kohlendioxid -Emissionen; sie ist für einen massiven Anteil von acht Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Der Großteil der Kohlendioxid-Emissionen entsteht durch einen chemischen Prozess namens Kalzinierung. Dieser Prozess findet statt, wenn Kalkstein, der noch als Klinker bekannt ist, in Öfen erhitzt wird, wodurch er in CO2 und Kalziumoxid zerfällt. Die andere Hauptquelle für CO2 ist die Verbrennung fossiler Brennstoffe, um die Öfen zu heizen. Diese Öfen werden in der Regel mit Erdgas und Kohle geheizt, was eine weitere Kohlendioxidquelle zu der durch die Kalzinierung erzeugten hinzufügt.

Das Vorrücken der Meere ist aufgrund des Klimawandels ein Phänomen, das für die Küstengemeinden viele Verluste und Schäden mit sich bringt. Allein in Togo zum Beispiel haben die Fischergemeinden an unserer Küste am Golf von Guinea den Großteil ihres Landes verloren und sind gezwungen, ihre Dörfer zu verlassen, um irgendwo anders Zuflucht zu suchen: weil das Meer vorrückt und die Küstenerosion voranschreitet. Das Zentrum für Umweltgerechtigkeit in Togo hat Untersuchungen durchgeführt, die gezeigt haben, dass die Menschen an der Küste nicht mehr sicher sind, weil sie Angst haben, von heute auf morgen durch die Küstenerosion vertrieben zu werden. Daher ist diese Situation in den Gemeinden, mit denen wir arbeiten, noch alarmierender. Es handelt sich dabei um die Gemeinden Doévi-Kopé, Adissénou, Goumoukopé und Aného. Die Häuser, Aktivitäten und Lebensgrundlagen der Fischer dieser Gemeinden sind, da sie an der Küste leben, stark bedroht.

Erzählen Sie uns vom Küsten- bzw. Meeres­vorstoß in Togo und seinen Auswirkungen auf die Bevölkerung.

Kwami Kponzo: Im Dorf Doévi-Kopé beispielsweise wurde die Schule der Kinder vom Meer verschluckt, wodurch ihr Zugang zu Bildung eingeschränkt wurde. Die Brunnen, die als Trinkwasser dienten, sind alle ins Meer geflossen. Für Mädchen und Frauen bedeutet dies, dass sich ihre täglichen Aktivitäten auf die Suche nach sauberem Wasser konzentrieren und ihnen der Zugang zu grundlegenden Rechten wie dem Recht auf Bildung und einkommensschaffenden Aktivitäten verwehrt bleibt. Es gibt dort kaum noch sanitäre Einrichtungen.

In Adissénou, einem anderen Küstenort, hat das Meer allein im Jahr 2023 zweimal die Wohn- und Lebensräume sowie den Friedhof dieser Gemeinde überflutet. Diese Verluste häufen sich und beeinträchtigen das Leben dieser Menschen, die durch die Küstenerosion gefährdet sind, die sie aufgrund der Verschmutzung durch die Verursacherländer und die oben erwähnten fossil betriebenen Industrien und Fabriken ungerechtfertigt erleiden. Aus diesem Grund muss die soziale, klimatische und geschlechtsspezifische Umweltungerechtigkeit bekämpft und behoben werden. Das Centre for Environmental Justice Togo bemüht sich, das Sprachrohr dieser Küsten- und Fischergemeinden zu sein, die in völliger Ungerechtigkeit leben.

Abschließend lässt sich sagen, dass das Vordringen des Meeres die Dörfer und Gemeinden an der Küste verschlingt, was zu Problemen mit angemessenen Unterkünften und Binnenvertreibung führt, mit all den Problemen, die dies für das friedliche Zusammenleben von Menschen mit sich bringt: Kriminalität, Diebstahl, Enge, schwieriger Zugang zu Ressourcen wie Land und Wasser, wodurch die Grundrechte und das Leben dieser Küstengemeinden sowie ihre gesamte Existenz gefährlich gefährdet werden. Ich glaube, dass es wichtig ist, dies zu betonen und dass Umweltgerechtigkeit und Klimagerechtigkeit im Mittelpunkt der Debatten über den Klimawandel stehen, damit die gefährlich betroffenen Bevölkerungsgruppen berücksichtigt werden und ihr Bedarf an Wohnraum gedeckt wird.

Die Menschen, die umgesiedelt wurden, um die verschiedenen Niederlassungen von HeidelbergCement zu errichten, fordern immer noch ihre Entschädigung. Wie ist der Stand der Dinge in Bezug auf die Entschädigung dieser Menschen?

Kwami Kponzo: Im Fall von Scantogo, der uns hier interessiert, hat die Fabrik zwar Anstrengungen unternommen. Aber die Kompensations- und Entschädigungszahlungen für die Bevölkerung von Tabligbo und Sika-Kondji sind noch nicht vollständig erfolgt, da die Güter, die sie verloren haben, nicht gerecht verteilt und nicht entschädigt wurden. Die Bevölkerung hat ihr Land für die Bauarbeiten an das Unternehmen verpachtet und erhält dafür keine Entschädigungen. Die Landparzellen, die sie früher als Felder genutzt haben, werden nicht angemessen entschädigt und Scan Togo scheint sich nicht an die vereinbarten Zahlungsintervalle zu halten. Die Menschen leiden sehr unter dem Verlust ihrer Felder, und für viele von ihnen wird die Situation immer schlimmer.

»Vor allem die weib­lichen Erben wurden bei den Entschä­digungs­zahlungen ausgeschlossen.«

Im Jahr 2020 veröffentlichte die Bevölkerung eine Erklärung und forderte Gerechtigkeit. Die wichtigsten Punkte dieser Erklärung waren unter anderem: Das Geld, das an die Gemeinden ausgezahlt wurde, wurde nicht an alle Erben ausgezahlt und vor allem die weiblichen Erben wurden ausgeschlossen, was dazu führte, dass die Erben der weiblichen Nachkommen den Verkauf des Landes anzweifelten. Die Geschlechtergerechtigkeit wird somit untergraben. Die Bevölkerung beklagt einen Mangel an Transparenz bei der Zählung der Parzellen, was vor 2019 nicht der Fall war, als alles gut verlief, immer in ihren Worten. Ab 2019 werden bei der Erneuerung von Pachtverträgen für Land die Kopien der Zählprotokolle nicht mehr an die Landbesitzer*innen ausgehändigt, was die Transparenz beim Landerwerb beeinträchtigt, da die Landbesitzer*innen nicht mehr wissen, auf welcher Grundlage sie entschädigt werden sollen. Die soziale Gerechtigkeit wird also durch die Aussagen dieser Gemeinschaften, die in erster Linie von diesem Fall betroffen sind, behindert. Ohne soziale Gerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit für diese Gemeinschaften, denen ihr Land ohne angemessene Entschädigung durch die Fabriken entzogen wurde, wie beispielsweise im Fall von Scan Togo, ist klar, dass die Fähigkeit der Menschen gering ist, die Klimakrise zu bewältigen, die durch die fossilen Brennstoffe verursacht wird, die von den Fabriken in ihrem Streben nach Profit genutzt werden. Deshalb ist Klimagerechtigkeit notwendig.

Was sind Ihre Erwartungen für die Zukunft mit Blick auf Klimagerechtigkeit?

Kwami Kponzo: HeidelbergCement hat die dringende Pflicht und Schuldigkeit, diese Menschen vor den negativen Auswirkungen der Klimakrise zu schützen, die durch die noch immer auf fossilen Brennstoffen basierende Produktionsweise im Land verschärft wird. In diesem Sinne rufen wir die Aktivist*innen für Klimagerechtigkeit in Deutschland dazu auf, sich unserer Sache im Zentrum für Umweltgerechtigkeit Togo anzuschließen, um der Bevölkerung zu helfen, die unter dem Kalksteinabbau leidet, indem sie die Anwohner*innen entschädigt und ihr Land geräumt wird. Als eine Organisation, die sich für Umwelt-, Sozial-, Klima- und Geschlechtergerechtigkeit einsetzt, glauben wir, dass es wirklich Alternativen gibt, um das Leid dieser Menschen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene zu lindern. Und dass diese Lösungsansätze ähnliche Aktionen in anderen Ländern inspirieren könnten, die ebenfalls unter diesen Formen von Ungerechtigkeit auf dem afrikanischen Kontinent leiden.

Darüber hinaus sollte der in Vorbereitung befindliche verbindliche internationale Vertrag über multinationale Unternehmen und Menschenrechte dies grundsätzlich berücksichtigen und eine Erneuerung der Aktivitäten transnationaler Unternehmen ermöglichen, die in den Ländern des globalen Südens tätig sind. Und vor allem einen Rahmen bieten, in dem Leitlinien für diese multinationalen Unternehmen formuliert werden können, zur Vermeidung aller Formen des Missbrauchs in der Rohstoffindustrie eine gerechte Energiewende im Kontext der aktuellen Klimakrise. Das sollte unbedingt in Betracht gezogen werden.

Shownotes - Zementabbau und Klimakrise

Rouby Traoré hat bereits mehrfach über die Zementindustrie in Togo berichtet.

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