Filmstill aus "Candyman" (USA, 1992)
Candyman, Candyman, Candyman, Candyman… in: Candyman (USA, 1992) | Foto: Turbine Medien GmbH

»Der Schwarze stirbt zuerst«

Interview mit dem Filmkritiker Mark H. Harris über Black Horror

Mark H. Harris aus Los Angeles hat eine düstere Leidenschaft: die Schwarze Präsenz in Horrorfilmen. Dazu betreibt er den Blog blackhorrormovies.com. Zusammen mit der Medienwissenschaftlerin Robin Means Coleman hat er das Buch »The Black Guy Dies First« (dt. etwa: Der Schwarze stirbt zuerst) verfasst, das im Februar 2023 erscheint. Das Interview gibt es als Hörbeitrag.

Das Interview führte Kathi King

11.01.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 394
Teil des Dossiers Grauen ohne Grenzen

iz3w: Wann hat die Faszination für Horror bei dir angefangen? Warum hat das düstere Genre dich angezogen?

Mark H. Harris: Menschen fühlen sich von der dunklen Seite des Lebens angezogen, oder eben nicht. Ich glaube es steckt in dir drin. Ich hatte immer diese Faszination für düstere Geschichten. Nicht die typischen Hollywood-Geschichten eben. Horror erlaubt dir, deine Ängste in einer sicheren Umgebung zu erkunden. Ein bisschen wie in einer Achterbahn, in der du dich fürchtest, aber auch weißt: eigentlich bin ich in Sicherheit.

So richtig hat es bei mir mit dem Film »Night of the Living Dead« (Nacht der lebenden Toten, 1968) angefangen, den ich mit zwölf aus der Bibliothek ausgeliehen habe. Ich weiß nicht, ob meine Eltern darüber Bescheid wussten – ich erinnere mich nur, dass ich fasziniert war. Dafür gab es mehrere Gründe. Erstens, er erschien mir uralt, denn er war schwarz-weiß. Zweitens, es gab einen Schwarzen Hauptdarsteller (Duane Jones), der eine Gruppe von Menschen anführt beim Versuch, einen Zombie-Angriff zu überleben. Er war ein Anführer-Typ und er kommandierte die Leute herum. Ich staunte darüber, weil der Film mir zugleich so alt vorkam. Zuletzt noch das Ende, ein ziemlicher Downer: Alle sterben, sogar der Schwarze Held. Als Zwölfjähriger faszinierte mich das: Ein Film kann also auch mal kein Happy End haben.

In meiner Vorstellung erschafft Horror einen Raum, in dem ein Dialog stattfinden kann, in dem Dinge angesprochen werden können, um die es Konflikte in einer Gesellschaft gibt, die aber das Unterbewusstsein betreffen. Gibt es eine Funktion, die Horror in den USA erfüllt?

Horrorgeschichten spiegeln die Ängste und Paranoia einer Gesellschaft wider. In den USA haben wir unsere ganz eigenen Probleme und Ängste, um die sich Horrorfilme drehen. Mein Thema ist vor allem die Rolle von race im Horrorfilm. Aber es gibt zum Beispiel Filme aus den 1950er-Jahren, in denen riesige Monster durch Atomstrahlung entstehen. Sie stellen die zeitgenössischen Ängste vor einem Atomkrieg dar.

»Horrorgeschichten spiegeln die Ängste einer Gesellschaft wider«

In »Die Frauen von Stepford« (1975) und »Rosemarys Baby« (1968) geht es um Frauenrechte und die Rolle der Frauen in der Gesellschaft. Häufig geht es um Konsumkultur, etwa bei »Dawn of the Dead« (dt. Zombie, 1978), der in einer Mall spielt, in die es die Zombies zieht. Und dann gibt es Filme über Xenophobie und alles sonst, was in der US-Gesellschaft unter der Oberfläche brodelt. Horrorfilme sind auch deshalb so gut dafür geeignet, diese Themen zu verhandeln, weil sie so metaphorisch sind.

Wie das?

Monster zum Beispiel. Nach außen hin sind sie nur Monster, aber sie stehen auch für etwas, das in der Gesellschaft im Argen liegt. Horror ist eine Form der Unterhaltung, in der kaschiert Bildung stattfindet. Mit der Unterhaltung holt man die Leute ab, aber unten drunter kommt die Bildung. Das ist auch der Ansatz, den ich auf meiner Website und in dem bald erscheinenden Buch verfolge: Wir machen uns über all die Klischees lustig, aber wir diskutieren auch ihre ernste Seite.

Black Horror – was für Filme sind damit gemeint? Über welche Filme berichtest du?

Ich gehe Entwicklungen nach, die mir für Schwarze Charaktere auffallen. Spukhaus-Filme etwa drehen sich fast immer um eine weiße Familie, weil diese eher mit wohlhabenden, suburbanen Lebenswelten assoziiert wird: Die Familie kann sich dieses schöne Haus auf dem Land mit dem tollen Grundstück leisten. Dann kommen die Geister… Schwarze Familien werden eher im städtischen Raum dargestellt, im Unterschichts-Milieu.

Macht es auch einen Unterschied, ob der Film für ein weißes oder ein Schwarzes Publikum gemacht wurde?

Historisch gesehen wurden die meisten Filme für ein weißes oder Mainstream-Publikum gemacht. Die Hauptcharaktere sind weiß und die Schwarzen Protagonist*innen sind Randfiguren. Sie haben kleinere, stereotype Rollen als Dienstbot*innen, Polizist*innen oder ähnliches. Und gerade im Horrorgenre sind sie oft bösartige Charaktere, wie Voodoo-Priester*innen, Zombies oder Kannibal*innen im Dschungel. In Filmen hingegen, die für ein Schwarzes Publikum gedacht sind, die Schwarzes Personal hinter der Kamera haben, finden wir differenziertere Schwarze Charaktere in zentraleren Rollen. Sie sind menschlicher, wir erfahren etwas über ihren Hintergrund, ihr Leben.

Das heißt natürlich nicht, dass es keine Filme aus weißer Hand gibt, die sich um Schwarze Figuren drehen. Der erste »Candyman« (dt. Candyman’s Fluch, 1992) etwa war so eine Geschichte, gedreht vom weißen Autorenfilmer Bernard Rose. Diese Filme treten immer wieder in eine Falle: Schwarze Charaktere werden an den Rand gedrängt, die weißen rücken in den Vordergrund. In »Candyman« geht es um eine urbane Legende, die im Sozialbaukomplex Cabrini-Green spielt. Der Film wird aus der Sicht einer weißen Protagonistin erzählt, einer Collegestudentin, die sich in die dortige, ‚gefährliche‘ Schwarze Community wagt. Trotz guter Absicht tritt Candyman in diese Falle, das Umfeld ist Schwarz, aber die Perspektive der Story weiß.

Du hast von Klischee-Charakteren gesprochen. Dein kommendes Buch, das du mit Robin Coleman zusammen geschrieben hast, heißt »The Black Guy Dies First«. Was bedeutet dieser Titel?

Das ist so eine Trope in Horrorfilmen, Schwarz wie weiß: Der Schwarze stirbt zuerst. Der Titel deutet noch ein paar mehr Dinge an: Die Wendung »The Black Guy« impliziert, dass es nur einen Schwarzen gibt, oft aufgrund des Tokenismus der Filmemacher*innen, also wenn sie meinen, sie müssen eben noch einen Schwarzen Charakter unterbringen. Das ist im Grunde nicht schlecht, aber der Schwarze Charakter wird zu einer Trope, indem er neben Figuren wie dem Athleten, der Cheerleaderin und dem Nerd existiert. Der oder die Schwarze ist einfach so eine Type, aber die einzige Figur, die auf race basiert.

Es geht bei dem Buchtitel außerdem darum, dass der Schwarze zuerst stirbt – oder zumindest recht oft stirbt. Dieser Tod der Schwarzen Figuren im Horrorfilm ist eine Form der Marginalisierung.

Die New York Times titelte 2021 »Wie Schwarzer Horror Amerikas stärkstes Kinogenre wurde«. Kannst du diese Aussage bestätigen?

Das kann man durchaus sagen. Der Wendepunkt war 2017 mit Jordan Peeles »Get Out«. Das war ein Gamechanger im Horrorgenre. Er zeigte, dass ein klares Statement zu den rassistischen Verhältnissen in einem Film möglich ist, der zudem bei der Filmkritik gut ankommt, beim Publikum beliebt ist und viel Geld einspielt.

Sein Erfolg hat Schwarzen Filmemacher*innen die Tür geöffnet, sich ebenfalls mit Horror auseinanderzusetzen. Durch ihn kam auch die Wokeness unserer Ära, also Ideale Sozialer Bewegungen wie Black Lives Matter, auf die Leinwand. Sie wurden dadurch für ein größeres Publikum zugänglich und verständlich. »Get Out« hat also den Weg geebnet für Filme, die Rassismus thematisieren und erfolgreich sind. »Antebellum« (2020) ist ein weiterer, in ihm wird dem Erbe der Sklaverei nachgegangen. Es gab außerdem 2021 eine Neuverfilmung von »Candyman«, die aus Schwarzer Sicht erzählt wird. Da geht es um Gentrifizierung und Polizeigewalt.

Und wie ich vorher ja schon gesagt habe: Horror spiegelt unsere Ängste wider, das Genre passt von Haus aus gut zur Black Experience, weil Schwarze Amerikaner*innen auf eine Menge Horror in ihrer Vergangenheit zurückblicken können, der jetzt an die Oberfläche geholt werden kann.

Hast du Empfehlungen für einen Einstieg in den Black Horror?

Die offensichtlichste Wahl ist natürlich »Get Out«. Er eignet sich außerdem für Menschen, die Horrorfilme nicht so mögen, zum Beispiel meine Frau – sie hasst Horrorfilme, liebt aber »Get Out«. Er ist etwas leichter, eher ein sozialer Thriller, und nicht besonders blutig. Es geht um Rassismus, aber von Seiten jener Menschen, die Schwarze Menschen nicht hassen. Im Gegenteil, sie lieben Schwarze so sehr, dass sie selbst welche werden wollen. Sie sehen deren Erfolg in der Musik, in Filmen, im Sport und so weiter, und nehmen an, dass im Schwarzsein etwas steckt, das Vorteile verschafft – was wiederum nur die andere Seite des Rassismus ist. In den USA gibt es davon natürlich noch mehr Filme. Mit Jordan Peeles Filmen kannst du eigentlich nichts falsch machen. Es gibt von ihm noch »Us« von 2019 und seinen neuen Film »Nope« (2022).

Aus England gibt es den Film »His House« (2020), ein guter Spukhaus-Film. »Attack the Block« aus England (2011) ist ein sehenswerter Film über eine Alieninvasion. Aus Brasilien gibt es den sehr guten Werwolf-Film »Good Manners« (2017). Aus afrikanischen Ländern gibt es viele gute Filme, zum Beispiel »Good Madam« (2021) aus Südafrika, ein Geisterfilm über eine weiße Hausherrin und eine Schwarze Haushälterin, die zusammen wohnen. Es gibt derzeit viele Filme über die Black Experience. Es ist eine gute Zeit für Black Horror!

Das Interview führte und übersetzte Kathi King.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 394 Heft bestellen
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