»Wir liefern die Recherchearbeit«
Wie antifaschistische Recherche die Berichterstattung prägt
Seit über 30 Jahren bergen antifaschistische Strukturen umfangreiche Wissensbestände über rechte Netzwerke. Informationen, die in der bürgerlichen Berichterstattung oft zu kurz kommen. Seit dem Aufstieg der AfD ändert sich die Rolle antifaschistischer Arbeit in der journalistischen Praxis. Welchen Platz nimmt sie heute ein?
Die Aufdeckung der rassistischen Mordmotive der Terrorgruppe NSU im Jahr 2011 zog ein Umdenken innerhalb der Redaktionen deutscher Medienhäuser mit sich. Das staatliche Versagen zeigte, wie wichtig eine journalistische Beleuchtung der rechtsextremen Szene ist. Heute befinden wir uns in einer Zeit, in der die Rechte rasant an Zuwachs gewinnt. Enthüllungen, wie der extrem rechte »Geheimplan gegen Deutschland« oder die Neonazi-Vergangenheiten von AfD-Politiker*innen, ziehen die Aufmerksamkeit der traditionellen liberalen Medien auf sich. Doch für eine akkurate Berichterstattung braucht es valide Nachweise – und diese finden sich eben meist dort, wo seit Jahrzehnten kontinuierlich geforscht, gesammelt und geordnet wird: in antifaschistischen Strukturen.
Die Antifa als Wissensspeicher
Ein Blick auf das Ende des 20. Jahrhunderts zeigt, dass die Antifaschistische Aktion (Antifa) von der Enttäuschung über die mangelhafte Aufarbeitung des Nationalsozialismus geprägt war. Sie wollte selbst handlungsfähig sein, da sie nicht auf staatliche Schritte zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus vertraute. In der DDR organisierten sich 1987 nach einem Neonazi-Anschlag unabhängige Antifa-Gruppen, um die staatlichen Behörden dazu zu bewegen, gegen Faschisten im eigenen Land vorzugehen. In Westdeutschland spielte neben der Direkten Aktion die Pressearbeit eine wichtige Rolle, um in alternativen Medien über faschistische und rechte Strukturen zu informieren und damit eine Gegenposition zur bürgerlichen Berichterstattung zu schaffen.
»Wir wollen zu einer Analyse kommen, die die Realität trifft«
Auch das antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin (apabiz) hat sich aus dieser Motivation heraus gegründet. Seit über 30 Jahren dokumentieren Mitarbeiter*innen des Archivs die extreme Rechte in Deutschland. Sie veröffentlichen auch eigene Publikationen, etwa Medienanalysen von rechten Diskursen. »Wir machen journalistische Arbeit mit einem Bildungsauftrag«, sagt Mika Pérez Duarte vom apabiz, »und wir machen Pressearbeit«. Dort, wo eine Leerstelle in der medialen Berichterstattung über rechtsextreme Aktivitäten bleibt, knüpft die antifaschistische Pressearbeit an. Sie unterscheidet sich vom Journalismus, da sie Informationen im Interesse des eigenen Standpunktes veröffentlicht und damit eine Gegenöffentlichkeit schafft, während der Journalismus für sich beansprucht, unabhängig von bestimmten Interessengruppen zu arbeiten. Doch genau hier kam es mit dem Aufstieg der AfD zu einem Umbruch: das apabiz und antifaschistische Redaktionskollektive tauchen immer häufiger als Quelle in journalistischen Beiträgen auf. Das politische und gesellschaftliche Interesse über die Entwicklung der rechten Szene steigt. So wenden sich Journalist*innen vermehrt an antifaschistische Strukturen. Antifaschistische Pressearbeit in ihrer Rolle als Gegenöffentlichkeit verlor hingegen mit der Digitalisierung an Bedeutung.
»Wir werden als Wissensspeicher wahrgenommen und können Primärquellen liefern«, so Pérez Duarte. Journalist*innen würden oft nach Verboten von verfassungsfeindlichen Gruppierungen oder Skandalen anfragen und das apabiz solle herausfinden, ob ein Politiker Verbindungen zur NPD hatte. »Solche Verbindungsnachweise finden wir in unserem Archivbestand, da wir die Veröffentlichungen der extremen Rechten sammeln«, erklärt Pérez Duarte. »Wir liefern den Journalist*innen also die Hintergrundinfos, mit denen sie sich absichern, nichts Falsches zu sagen.« Die antifaschistische Gegeninformation in alternativen Medien wandelt sich also, so die Tendenz, zu der Information, die Journalist*innen bei antifaschistischen Kollektiven anfragen und dann publizieren. Allerdings schwankt das Interesse der Medien laut Pérez Duarte sehr: »Die Anfragen sind oft punktuell und auf bestimmte Ereignisse bezogen«. Pérez Duarte erwartet deshalb von der allgemeinen Berichterstattung, dass sie nicht nur am Neuigkeitswert orientiert ist, sondern auch tiefergehende Analysen über die rechtsextreme Szene liefert.
In die Aufmerksamkeitsfalle tappen
Das antifaschistische Magazin der rechte rand (drr) hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Die Berichterstattung über die extreme Rechte sei schon immer wellenförmig gewesen. Kim Sand (Name geändert) ist Mitglied der drr-Redaktion und sieht bei Journalist*innen vor allem eine Wissenslücke beim Thema der Neuen Rechten. Die Neue Rechte bezeichnet eine Strömung, die den Rechtsextremismus erneuern möchte, sich vom historischen Faschismus abgrenzen will und dabei häufig populistisch auftritt. »Wenige wissen über das Spektrum Bescheid und wir sind froh, dass wir da seit 30 Jahren nachhelfen können«, erklärt Sand. Die generelle Berichterstattung über rechtsextreme Strukturen hinke hinterher. Das könne man etwa an dem Mediendiskurs seit Gründung der AfD sehen, welche zunächst als »Professorenpartei« verharmlost wurde.
Zur Medienstrategie der AfD gehört, Tabubrüche gezielt einzusetzen
Problematisch wird es auch dann, wenn Medien Bilder nutzen, die Rechtsextreme verherrlichen. Zum Beispiel, wenn auf Pressefotos der AfD zurückgegriffen wird. Dazu kommt, dass Journalist*innen auch gerne mal in die Aufmerksamkeitsfalle tappen und über Stöckchen springen, die ihnen von den Rechten hingehalten werden. Zu der Medienstrategie der AfD gehört etwa, Tabubrüche gezielt einzusetzen um Aufmerksamkeit in den Medien zu erlangen. Das legt ein Strategiepapier der AfD aus dem Jahr 2017 nahe, in dem es heißt: »Die AfD muss […] ganz bewusst und ganz gezielt immer wieder politisch inkorrekt sein«. Schreibende und Publizierende sollten sich also immer auch die Frage stellen, wann Empörung berechtigt ist und wann sie nur den Rechten dient. »Um das unterscheiden zu können, braucht es fundiertes Wissen«, sagt Sand, »und dieses Wissen fehlt in vielen Redaktionen.«
Die Kombination aus Neuigkeitswert, Aufmerksamkeitsfalle und einer unkritischen Reproduktion von Bildern führt zu einer Verharmlosung der Rechten in den Medien. So weit, so klar. Und nun? Können wir als Linke überhaupt die Medien kritisieren, in Zeiten, in denen sie von rechts attackiert und als Lügenpresse deformiert werden? Ja, sagt Lukas Meisner. Er ist Autor des Buches »Medienkritik ist links«. Er versteht die Medienkritik als eine historisch linke Praxis und erklärt das Problem der liberalen Werte in den Medien. »Aus einer marxistischen Perspektive ist der Liberalismus erstmal eine bürgerliche Ideologie«, findet Meisner. Er meint damit, dass der Liberalismus nicht per se der Freiheit aller dient, sondern von der bürgerlichen Klasse vertreten wird, die Ungleichheiten ausblendet – etwa bei der Frage der Teilhabe. Das führe etwa zu einer anti-migrantischen Berichterstattung innerhalb liberaler Medien. Meisner schließt daraus, »dass man, wenn man über die extreme Rechte nachdenkt und schreibt, sie mit der bürgerlichen Mitte und neoliberaler Wirtschaftspolitik zusammendenken muss.« Es braucht also eine Untersuchung, wie es überhaupt möglich ist, dass rechtes Gedankengut Mehrheiten gewinnt. Und genau dafür braucht es einen kritischen Journalismus mit einer linken und universalen Haltung.
Ungeschönte Realität
In Deutschland gibt es drei antifaschistische Zeitschriften: der rechte rand, die Lotta und das Antifaschistische Infoblatt. Sie bieten einen Journalismus mit Haltung, der sich Hintergründe anschaut. »Wir wollen die aktuelle Lage und Erscheinungsform der Extremen Rechte verstehen und einordnen. Wir wollen zu einer Analyse kommen, die die Realität trifft«, erklärt Kim Sand. Das geht nur, indem Menschen kontinuierlich hinschauen, also etwa Neonazi-Aufmärsche aus der Nähe betrachten, aus geschlossenen Veranstaltungen berichten oder rechte Publizistik auswerten. Doch für diese Arbeit werden sie meist nicht entlohnt. Kleine und Nischenpublikationen stehen finanziell unter Druck. Viele von ihnen, darunter auch freie linke Journalist*innen wie Lucius Teidelbaum, müssen sich durch andere Lohnarbeit über Wasser halten. Zusätzlich stehen sie vor rechtlichen Hürden. Teidelbaum beschreibt, wie extreme Rechte und ihre Kanzleien mit strategischen Klagen versuchen, kritische Stimmen einzuschüchtern: »Gerade als selbstständiger Journalist habe ich keine Haus-Kanzlei im Rücken«, betont er.
Der Aufmerksamkeitsfalle und dem Neuigkeitswert der liberalen Medien stehen die gesellschaftliche Analyse und Kontinuität des kritischen Journalismus entgegen. Die antifaschistische Arbeit in der journalistischen Praxis hat also eine doppelte Funktion: Einerseits gilt es, fundierte Expertise für Journalist*innen bereitzustellen, meist in Folge von aktuellen Ereignissen. Andererseits besteht die Aufgabe darin, in eigenen Publikationen die Schwachstellen liberaler Systeme, auch die der liberalen Medien, kritisch zu analysieren und offenzulegen. Also etwa die Normalisierung rechter Positionen durch Verharmlosung oder gar fehlender Thematisierung.
Rahel Lang ist Journalistin und studiert Liberal Arts and Sciences in Freiburg. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie über die AfD berichtet werden sollte.