Minister hinter dem Rednerpult mit erhobenem Zeigefinger auf einem Investorengipfel
Premierminister Narendra Modi bei einer Rede auf einem Investorengipfel in Uttarakhand | Foto: Ms Sarah Welch/ Government of India

Humor im Hindu­nationa­lismus

Modi ist der Witz, den Inder*innen nicht kapieren dürfen

Unter der hindunationalistischen Regierung von Premierminister (PM) Modi in Indien, die von vielen dortigen Linken als faschistisch bezeichnet wird, wächst der Hindutva-Autoritarismus. Angriffe und Hasskampagnen gegen Oppositionelle, kritische Medienarbeiter*innen, Stand-up-Comedians und Karikaturist*innen nehmen zu.

Komik, Ironie und Satire spielten immer schon eine große Rolle bei der Gesellschaftskritik in Indien. Traditionelle und moderne Kunstformen verstanden es, den Menschen Mut zu machen, sich gegen staatliche Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung zu wehren. In schwierigeren Zeiten stiften Künstler*innen Humor und Reflexion. Das schreibt auch Rosamma Thomas im folgenden Artikel. Ihr Schwerpunkt liegt auf Karikaturen und Satire und sie ist Teil des Projekts »Cultural Resistance in Times of Rising Authoritarianism in India: A Dossier«. Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, die Vielfalt kultureller Widerstandsformen in Indien gegen die dortige autoritäre Wende aufzuzeigen. Bisher sind zehn Beiträge erschienen.

von Rosamma Thomas

29.04.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 396
Teil des Dossiers Autoritarismus

Der stetige Aufstieg von Stand-up-Comedians, Karikaturist*innen und Imitator*innen hat in diesen schwierigen Zeiten für den dringend benötigten Humor und Reflexion gesorgt. Das jedoch zu einem hohen Preis: Viele von ihnen mussten Kündigungen, polizeiliche Ermittlungen und Verhaftungen hinnehmen. Gleichzeitig fällt Indien in den internationalen Länder-Rankings für Freiheit und Demokratie immer weiter zurück.

»Als ich seinen freundlichen und verlogenen Blick sah, fühlte ich mich angewidert und reagierte gewalttätig«, gestand der Mann, der den französischen Präsidenten Macron im Juni 2021 in Südfrankreich geohrfeigt hatte. Er gestand seine Tat und akzeptierte die Strafe von vier Monaten Gefängnis. Als sich das Ohrfeigen-Video in Indien verbreitete, merkten Twitter-Nutzer*innen an, dass Macron sich ein Beispiel beim indischen Premierminister Narendra Modi nehmen könnte, der sich immer weiter als eine Armlänge von den einfachen Inder*innen fernhält. Er mischt sich nie unter die Menge und spricht immer von Podien aus beträchtlicher Höhe zu ihnen. Manchmal stellen die Menschen im Publikum fest, dass ihr Premierminister nicht ihnen, sondern der Kamera zuwinkt!

Der 28-Jährige, der Macron die Ohrfeige verpasste, hatte durchaus eine Wahl: »Der erste Mensch, der statt eines Steins eine Beleidigung schleuderte, war der Begründer der Zivilisation«, sagte einmal, so heißt es, Sigmund Freud. Also: Seine feindseligen Gefühle auszudrücken, ohne denjenigen zu verletzen, für den sie bestimmt sind, ist eine (wenig geschätzte) Kunst.

Konformität machte sich breit …

Karikaturist*innen, Satiriker*innen, Dichter*innen, Essayist*innen, Filmemacher*innen, Dramatiker*innen – alle diejenigen, die sich in der Kunst betätigen, geben uns Mittel für einen solchen Ausdruck an die Hand und ermöglichen die Entfaltung der Zivilisation. Sogar die Reden im Parlament sollen Ausdruck dieser Zivilisation sein.

Die Modi-Regierung hat jedoch die Parlamentssitzungen vernachlässigt. Die Wintersitzung 2020 wurde abgesagt und die Haushaltssitzung verkürzt, als Entschuldigung wurde die Pandemie angeführt. Der Premierminister hat sich seit seinem Amtsantritt im Jahr 2014 kein einziges Mal einer Pressekonferenz gestellt. Student*innen und Aktivist*innen, die die Regierung in Frage stellten, wurden inhaftiert.

Modi spricht von Podien aus beträcht­licher Höhe zum Volk

Mit dem Aufstieg der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP), die jetzt in Koalition mit anderen Parteien als National Democratic Alliance (NDA) regiert, sind Hassreden, religiöse Polarisierung, gezielte Angriffe auf Minderheiten und die Aufstachelung zur Gewalt im Wahlkampf zur Normalität geworden. Nach der schweren Niederlage der BJP bei den Regionalwahlen in Delhi Anfang 2020 sagte der BJP-Führer Kapil Mishra vor laufender Kamera, dass die Menschen das Gesetz in die eigenen Hände nehmen müssten, wenn die Polizei die Demonstrierenden in der Hauptstadt nicht vertreibe. Zu dieser Zeit gab es Proteste gegen das neue Staatsbürgerschaftsgesetz (Citizenship Amendment Act), welches die Religion zu einem Kriterium für die Verleihung der Staatsbürgerschaft machte und Muslime ausschloss. Wenn Beschimpfungen eine höhere zivilisatorische Stufe darstellen als ein Steinwurf, dann sind Reden wie die von Mishra die Funken, die Brände auslösen. Worte können töten.

In den ersten Jahren unter PM Modi verbreitete sich eine allgegenwärtige Konformität. Aber altgewohnte Freiheiten lassen sich nicht lange unterdrücken. Nachdem im Dezember 2019 das geänderte Staatsbürgerschaftsgesetz verabschiedet und im ganzen Land demonstriert wurde, waren mitreißende Gedichte und Reden zu hören. Ein oft wiederholtes Gedicht war das von Faiz Ahmed Faiz (einem gefeierten Dissidenten und revolutionären pakistanischen Dichter), das im Jahr 1979 vor dem Hintergrund der Militärherrschaft in Pakistan geschrieben wurde. Der Refrain »Hum Dekhenge« (Wir werden sehen) wurde bei den Protesten leidenschaftlich gesungen. Diese endeten jedoch abrupt, als der Lockdown gegen das neuartige Coronavirus im März 2020 angeordnet wurde.

Der Lockdown machte vor allem der armen Landbevölkerung das Leben schwer und führte zu einer humanitären Krise. Die sozialen Medien waren ein wirksames Instrument, um entgegen der Regierungspropaganda die Notlage etwa der Wanderarbeiter*innen aufzuzeigen, die Hunderte von Kilometern auf Fernverkehrsstraßen zurücklegten, um nach Hause zu kommen. Sie litten unter Entbehrungen, Hunger und Polizeigewalt. Karikaturist*innen, Satiriker*innen, Stand-up-Comedians und andere nutzten Facebook, Twitter, Instagram und andere Social-Media-Kanäle, um ihren Unmut auszudrücken.

… und es erklangen Lieder des Widerstands

Im November 2020 versammelten sich massenhaft Bäuerinnen und Bauern am Rand der Hauptstadt. Das Parlament hatte drei Agrargesetze verabschiedet, ohne die Landwirt*innen zu konsultieren und prälegislative Verfahren umgangen. Die Landwirt*innen befürchteten eine weitere Industrialisierung der Landwirtschaft und eine zusätzliche Einschränkung ihrer Unabhängigkeit. Das führte zu massivem Aufruhr. Wieder erklangen Lieder des Widerstands und Gedichte der Rebellion.

Als die zweite Welle der Pandemie vom März bis Mai 2021 zuschlug, war die Regierung schon wieder einmal abgetaucht. Die Menschen mussten sich erneut selbst helfen. Als die Pandemie abflaute und zur Feier des selbsterklärten Sieges über Corona überall Banner mit der Aufschrift #ThankYouModiJI auftauchten, kehrte auch der Humor zurück. Modis tränenreiche Fernseh-Ansprache an die Nation wurde in den sozialen Medien vorsichtig verspottet, wohl wissend, was solche Taten kosten.

Wenn dieser Premierminister stolpert, kostet es Menschenleben

Kurz darauf postete eine junge Frau ein satirisches Video auf WhatsApp. Sie sprach dem Premierminister ihr Mitgefühl aus. Zu sehen, wie ein so starker Mann in Tränen ausbricht, war mehr, als sie ertragen könne, behauptete sie. Sie verfluchte den Fernsehmoderator Ravish Kumar, einen kritischen Journalisten, der all die Lügen benenne, die Modi in der Rede verbreitete. Sie klagte, der Fernsehmoderator mache alles kaputt. Sie fügte hinzu, wenn jemand in der Familie aus dem Ruder laufe, erwarte man dennoch von allen, dass sie geduldig zuhören, ihn ausreden lassen und wenn es sein muss, seine Lügen unterstützen. Die Frau ermahnte den Fernsehmoderator, dass Toleranz gegenüber denjenigen, die sich halt einmal Luft machen müssen, ein Ausdruck notwendiger Solidarität sei. Das war ein warmherziger Spott über die Angewohnheit des PM, seine Nation zu belügen.

Es ist ein Wunder, dass solche Videos nicht häufiger vorkommen: Modi mit seinem langen, wallenden weißen Bart und seiner oft stümperhaften Führung ist ein Leckerbissen für Karikaturist*innen und Satiriker*innen. Aber wenn dieser Premierminister stolpert, kostet es jedes Mal Menschenleben. Auf dem Höhepunkt der Pandemie, als in den Krankenhäusern der Sauerstoff knapp wurde, flehten die Ärzt*innen. Einige protestierten, sie seien Ärzt*innen, um zu heilen und nicht um zu entscheiden, wer leben und wer sterben soll.

Der Karikaturist RK Laxman, der 2015 im Alter von 94 Jahren starb, sagte: »Ich greife auf, was lächerlich, widersprüchlich und ironisch ist.« Aber wenn die Absurdität zum Tod führt, kann man dann Karikaturen zeichnen?

Das erklärt vielleicht, warum Modi nicht häufiger verspottet wird. Außerdem hat seine Regierung die Medien an die kurze Leine genommen. Die Werbeanzeigen der Regierung stellen eine beträchtliche Einnahmequelle für die großen Zeitungen dar. Diejenigen, die an der Leine der Regierung laufen, werden oft als Godi-Medien bezeichnet (Godi ist ein Wortspiel mit Modi und bedeutet Schoßhund-Medien). Diejenigen, die sich nicht an die Leine legen lassen, sind mit falschen Anschuldigungen, Gewalt, Drohungen oder Verhaftungen konfrontiert. So schneidet das Land in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen immer schlechter ab. Indien ist zu einem der gefährlichsten Länder der Welt für kritische Journalist*innen geworden.

Der Spaß geht online weiter

Parul Khakhar, eine Dichterin aus Gujarat, postete im Mai 2021 ein Gedicht auf Facebook, in dem sie ihren Schmerz über den Anblick der Leichen ausdrückte, die während der zweiten Welle der Corona-Pandemie den Ganges hinuntertrieben. »Shav vahini Ganga« (Ganges, der Träger der Leichen) wurde viel gelesen, in mehrere Sprachen übersetzt und in den sozialen Medien geteilt. Das literarische Sprachrohr der dortigen Landesregierung, die Gujarat Sahitya Academy, ging hart mit der Dichterin ins Gericht. Es handele sich hier um den »Missbrauch eines Gedichts für die Anarchie«.

In den Jahren vor den indischen Parlamentswahlen 2014 zeigte der Nachrichtensender NDTV eine Reihe von Puppet Shows, in denen politische Führer*innen lächerlich gemacht wurden. Auch nachdem Modi 2014 Premierminister wurde, wurde die Serie fortgesetzt. In einigen Folgen wurde er wegen seiner ausgedehnten Auslandsreisen und seiner eigenen Fernsehsendung »Man Ki Baat« verspottet. Die Serie wurde abgesetzt, nachdem eine Razzia im Haus des Gründers des Senders (wegen einer Darlehensumwandlung) stattgefunden hatte. Das gleiche Schicksal ereilte Dainik Bhaskar, eine der größten Hindi-Zeitungsgruppen, die über das Sterben und das Chaos während der zweiten Pandemiewelle berichtet hatte.

In einem so großen Land, das so lange Freiheit genossen hat, ist die vollständige Unterdrückung abweichender Meinungen jedoch unmöglich. Dichter*innen und Satiriker*innen erbauen die Leser*innen weiterhin, und Karikaturist*innen bleiben aktiv. Aber die großen Medienhäuser veröffentlichen ihre Werke nicht. Daher werden sie oft auf Twitter gepostet, das nun ins Fadenkreuz der Regierung rückt.

Zu den Betroffenen gehört der Karikaturist Manjul, dem Twitter mitteilte, dass es eine Anfrage der Regierung gebe, sein Konto zu löschen. Manjul wusste nicht, welche seiner Karikaturen Anstoß erregt hatte. Einige Tage später entschied sich die Online-Plattform Network 18, welche die Karikaturen veröffentlichte, diese zurückzuziehen. Die Twitter-Gemeinde unterstützte Manjul jedoch mit eigenen Karikaturen und Zeichnungen. Trotz Unterdrückung und Belästigung durch Trolle, die mit der höchst aktiven IT-Gruppe der BJP verbunden sind, gibt es kritischen Gegenwind. Allerdings reicht das nicht aus, um mit der Macht und den Ressourcen der Regierung gleichzuziehen, welche die Technologieunternehmen der sozialen Medien mit neuen IT-Vorschriften gängelt.

Im Januar 2015 besuchte der damalige US-Präsident Barack Obama Indien. Modi trug einen eleganten gestreiften Anzug. Ein Fotograf zoomte an den Anzug heran und entdeckte, dass die Streifen in Wirklichkeit aus Modis vollständigem Namen – Narendra Damodardas Modi – bestanden, der mehrfach in den Stoff gewebt war. Der Anzug kostete schätzungsweise 12.000 Euro, eine phänomenale Summe für das Kleidungsstück eines Mannes, der behauptet, in seiner Jugend als Teeverkäufer gearbeitet zu haben. Überraschenderweise schafften es die Streifen nicht in die Karikaturen der Zeitungen. Der Anzug wurde später versteigert und schaffte es ins Guinness-Buch der Rekorde.

Trotz des reichhaltigen Materials gibt es nur wenige Versuche, sich über Narendra Modi lustig zu machen. Erfreulich ist jedoch, dass es einige mutige Menschen gibt, die genau das tun. Der Psychoanalytiker Joost Meerloo sagte einmal: »Derjenige, der die Worte und Phrasen diktiert und formuliert, die wir verwenden, der Herr über die Presse und des Radios ist, ist der Herr des Geistes. ‚Wiederholen Sie mechanisch Ihre Annahmen und Vorschläge, vermindern Sie die Möglichkeit, Widerspruch und Opposition zu äußern.’ – Das ist die Formel für die politische Konditionierung der Massen.« Diese Formel hat die Modi-Regierung mit Hilfe höriger Medien und immenser Mittel von Industriellen lange angewandt. Zum Glück schwindet ihre Wirkung.

Rosamma Thomas ist Schriftstellerin und freiberufliche Journalistin. Der Originaltext in englischer Sprache findet sich unter ritimo. org/THOMAS-Rosamma. Übersetzung von Jörn Große-Rövekamp.

Postskriptum: Der Witz zeigt seine Zähne

(25.03.2023): Narendra Modi verspricht in jeder Rede »Entwicklung«. Seine Vorstellung von Entwicklung ist eine gewichtige Infrastruktur, so gewichtig, dass sie den Himalaya zum Einsturz bringt. Auf der Great Nicobar Island plant die Modi-Regierung den Bau eines Hafens, eines Flughafens, einer Stadt und eines Energieprojekts. Das würde zu einem rasanten Bevölkerungswachstum in diesem ökologisch und sozial sensiblen Gebiet führen.

Ein kleines New Yorker Finanzforschungsunternehmen veröffentlichte im Februar 2023 einen Bericht, aus dem hervorging, dass die Adani-Gruppe, einer der größten multinationalen Mischkonzerne Indiens, weltweit »der größte Betrug in der Unternehmensgeschichte« sei. Zuvor wurde gegen einen prominenten indischen Journalisten ein Haftbefehl erlassen, weil er diesen Betrug aufgedeckt hatte.

Als vor drei Jahren der damalige US-Präsident Donald Trump Indien besuchte, wurde eine lange Mauer errichtet, damit die Slums vor den Blicken des Ehrengastes verborgen bleiben. 2023 bitten Slumbewohner*innen selbst darum, dass um ihre Siedlung eine Mauer gezogen werde. Damit blieben ihre Häuser während des G20 Gipfels unsichtbar und könnten so den Bulldozern entgehen. Während PM Modi Indien von einer Krise in die nächste führt, werden Intellektuelle, ehrliche Bürokrat*innen und Aktivist*innen ins Gefängnis geworfen, und der Oppositionsführer Rahul Gandhi wird aufgrund einer Verurteilung wegen »Verleumdung« aus dem Parlament ausgeschlossen. Der Witz zeigt seine Zähne.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 396 Heft bestellen
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