Phyllis Omido | Foto: James Wakibia

»Die Auslagerung von Umwelt­verschmutzung ist keine Lösung«

Interview mit der Umweltaktivistin Phyllis Omido

Das Recycling giftiger Stoffe wird oft in den Globalen Süden ausgelagert. So auch im Fall von Blei, das in Autobatterien enthalten ist. Die Kenianerin Phyllis Omido ist Umweltaktivistin und Mutter eines Sohnes, der eine Bleivergiftung erlitt. Sie kämpfte für die Schließung der Bleischmelzanlage in Owino Uhuru sowie um Entschädigungszahlungen für die Bevölkerung und ist Gründerin der NGO Center for Justice Governance & Environmental Action. Für ihr Engagement wurde sie mit dem Blue Planet Award der ethecon - Stiftung Ethik & Ökonomie ausgezeichnet.

Das Interview führte Stephy-Mathew Moozhiyil

15.12.2022
Veröffentlicht im iz3w-Heft 390

iz3w: Sie haben einmal erwähnt, dass Sie ursprünglich nicht vorhatten, Aktivistin zu werden. Wie kam es dann dazu?

Phyllis Omido: Ich habe zunächst Betriebswirtschaft studiert und habe in einer Metallraffinerie für Bleirecycling in Owino Uhuru, Mombasa, eine Verwaltungsstelle erhalten. Ich durfte meinen Sohn zur Arbeit mitnehmen. Im Jahr 2009 erlitt er eine Bleivergiftung mit bleibenden Schäden, die auf das Recycling von Bleibatterien in dem Unternehmen zurückzuführen ist. Da wurde mir das Ausmaß der bleivergifteten Luft und der kontaminierten Gewässer, das bereits Dutzende Menschenleben gefordert hatte, deutlich und ich forderte die Regierung zum Handeln auf. Ich dachte zunächst, es würde kurzfristig etwas unternommen werden. Trotz der fortschrittlichen Umweltgesetze hier in Kenia versuchten die Behörden aber, das Problem zu ignorieren. Bis heute arbeiten wir an der Regelung der Folgen der Bleiverseuchung. So bin ich zur Umweltaktivistin geworden.

Sie haben erreicht, dass die Bleischmelzhütte 2014 geschlossen wurde. Der betroffenen Bevölkerung wurden Entschädigungszahlungen zugesprochen und es ist ihnen gelungen, dass Behörden und NGOs vor Ort Untersuchungen durchführten. Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie erreicht haben?

Wir haben uns natürlich über die Schließung sehr gefreut. Dieser Erfolg ist jedoch nicht dem kenianischen Staat zu verdanken, sondern einem Verbot des Bleiexports durch die Ostafrikanische Gemeinschaft, auf welches wir hingearbeitet hatten. Nach dem Zuspruch für Entschädigungszahlungen durch das kenianische Umweltgericht haben zwei staatliche Behörden, die nationale Umweltbehörde und die Exportzonenbehörde, Berufung eingelegt. Sie wollen, dass die Entschädigungszahlungen nicht vom Staat, sondern von der Metallraffinerie nach Verursacherprinzip zu begleichen sind. Wir verteidigen dagegen das Urteil des kenianischen Umweltgerichts, damit auch staatliche Behörden Verantwortung für die Einhaltung von Umweltrechten übernehmen.

Auch die deutsche Autoindustrie lässt im Globalen Süden Batterien recyclen. Welche Verantwortung haben wir im Globalen Norden für die Lösung von Umweltproblemen wie in Owino Uhuru?

Industrieländer lagern häufig die umweltbelastenden Produktionsprozesse in den Globalen Süden aus, der so als Müllhalde für den Globalen Norden dient. Afrika verfügt jedoch nicht über die Mittel und Technologien, um mit den Folgen dieser Industrie umzugehen, zum Beispiel um das Blei von Autobatterien zu recyceln. Die gefährliche und giftige Arbeit bleibt hier, während 99 Prozent des Bleis in den Globalen Norden exportiert wird, wo solche Verfahren verboten sind. Die Automobilindustrie und andere Industriezweige, die am meisten davon profitieren, befinden sich in den Industrieländern, dazu gehören auch Mercedes-Benz oder BMW. Einerseits geht es dabei um Gewinnmaximierung, andererseits darum, dass sie im Norden eine saubere Umwelt haben wollen. Doch die Menschen im Globalen Süden tragen die Hauptlast dafür.

Wir haben uns 2017 für eine Resolution eingesetzt, die das Recycling von Bleibatterien in Afrika regelt. Aber bisher hat kein Land diese ratifiziert. Wenn es um die Automobilindustrie geht, sind wir auf soziale Bewegungen, Organisationen und schließlich auch Konsument*innen des Globalen Nordens angewiesen, die auf die ausgelagerten Umweltprobleme hinweisen, aber auch auf die UN. Im Moment gibt es viele Herausforderungen, mit denen der Globale Norden konfrontiert ist, wie zum Beispiel Migration. Gleichzeitig wandern Menschen auch deshalb aus, weil die Situation für uns hier aufgrund von Umweltzerstörung unerträglich geworden ist. Konzerne aus Europa sind an der Verschmutzung von Flüssen und landwirtschaftlichen Flächen und somit an der Zerstörung von Lebensgrundlagen vieler Menschen beteiligt. Von Afrika aus ist es aber fast unmöglich, diese Konzerne zu belangen, weil sie wissen, dass sie von unseren Politiker*innen nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

E-Mobilität wird als eine der wichtigsten Antworten auf den Klimawandel präsentiert. Da stellt sich die Frage: Wohin eigentlich mit den gebrauchten E-Auto-Batterien und unter welchen Bedingungen wird Lithium geschürft? Wie nehmen Sie aktuelle Debatten um die Energiewende wahr?

Es liegt in der Verantwortung der sozialen Bewegungen im Globalen Norden, darauf zu bestehen, dass die Umsetzung sich nicht negativ auf den Globalen Süden auswirkt, auch wenn das Ziel die Transformation zu einer grüneren Wirtschaft ist. Auch bei Lithiumbatterien müssen wir die Dynamik vom Rohstoffabbau bis zur Entsorgung hinterfragen und ganzheitlich betrachten, um sicherzustellen, dass die damit verbundenen Prozesse sich nicht negativ auf lokale Bevölkerungen auswirken. Das ist der einzige Weg zu einer grüneren Welt. In Afrika gibt es aktuell große Bemühungen zur Umstellung auf Solarenergie, woran auch europäische Investoren beteiligt sind. Jedoch basiert die Speicherung von Solarenergie auf Bleibatterien. Das Problem der gebrauchten Bleibatterien wird unter den Teppich gekehrt, weil man weiß, dass mit dem Thema die Büchse der Pandora geöffnet wird.

Ihre NGO Center for Justice Governance & Environmental Action unterstützt auch von Repression betroffene Aktivist*innen. Wie gefährlich ist Umweltschutz in Kenia?

Als ich mit meiner Arbeit begann, war ich nicht auf die Repression vorbereitet, die mich erwartete. Ich wurde verfolgt, verhaftet und vor Gericht gezerrt, weil ich gesundheitsgefährdende Umweltschädigungen thematisiert hatte. Zwischen 2009 und 2013 habe ich mehrmals fast mein Leben verloren. Daher widme ich mich dem Schutz und der Stärkung von Umweltaktivist*innen. Oft sind sie nicht darauf vorbereitet, dass sie sich gleichzeitig gegen die Macht der Unternehmen und des Staates stellen. Letztes Jahr wurden drei Umweltaktivist*innen in Kenia getötet. Deshalb haben wir ein Netzwerk von Umweltaktivist*innen gegründet und mobilisieren in allen Landesteilen, um ihre Probleme zur Sprache zu bringen und sicherzustellen, dass wir keine Menschenleben mehr verlieren.

»Man kann Umwelt­gerechtig­keit nicht von sozialer Gerechtigkeit trennen«

Welche Rolle spielt soziale Gerechtigkeit bei Ihrem Aktivismus?

Eine ganz zentrale. Man kann Umweltgerechtigkeit nicht von sozialer Gerechtigkeit trennen. In Owino Uhuru wurden beispielsweise die Kosten für die medizinische Behandlung der Bleivergiftungen der Bevölkerung aufgebürdet. Dies hat direkte Auswirkungen auf die sozioökonomische Lage der betroffenen Menschen. So werden beispielsweise beim Sandabbau oder in der Zementproduktion mit Beteiligung europäischer multinationaler Konzerne Flüsse verunreinigt, was sich direkt auf Lebensgrundlagen von Menschen auswirkt. Wenn man anfängt, Umweltgerechtigkeit getrennt von sozioökonomischer Gerechtigkeit zu betrachten, was zum Teil im Globalen Norden geschieht, bekommen die Unternehmen und Regierungen ein Schlupfloch, um die Verletzlichsten auszubeuten.

Wo sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen im globalen Kampf für ökologische und soziale Gerechtigkeit?

Das wichtigste Thema ist die Anerkennung und der Schutz der Arbeit von Umweltaktivist*innen auf der ganzen Welt, denn ohne sie würden alle Verträge und Gesetze nicht umgesetzt werden. Greta Thunberg hat es geschafft, die ganze Welt für Klimagerechtigkeit zu mobilisieren. Deshalb sind Umweltaktivist*innen das Herzstück des Kampfes für eine grünere Welt.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die globale Regulierung der Verschmutzung und der Emissionen. Wir sehen leider, dass der Globale Süden Umweltverschmutzung relativiert, da das bisherige Ausmaß der Emissionen im Verhältnis zum Globalen Norden geringer ist. Dies macht sich auch der Globale Norden zunutze und verlagert seine Emissionen nach Afrika. Leider ist es zu einer praktikablen Lösung geworden, dass CO2-Emissionen global gehandelt und übertragen werden können. Die Auslagerung der Umweltverschmutzung und Emissionen ist jedoch keine Lösung. Aktivist*innen in Kenia haben dies deutlich gemacht und hier erfolgreich den Bau von Kohlekraftwerken gestoppt. Wir gehören zur letzten Generation, die noch die richtigen Entscheidungen treffen kann und muss, um nicht alles zu verlieren. Wir stehen am Scheideweg und es bleibt keine Zeit mehr.

Die Biografie Phyllis Omidos »Mit der Wut einer Mutter« erschien 2019 im Europa Verlag. Das Interview führte und übersetzte Stephy-Mathew Moozhiyil.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 390 Heft bestellen
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