Die pinke Linie
Rezensiert von Rita Schäfer
12.12.2022
Veröffentlicht im iz3w-Heft 387
Die Rechte sexueller Minderheiten sind auch im Globalen Süden umkämpft. Einerseits schaffen immer mehr Staaten homophobe Gesetze aus der Kolonialzeit ab. Andererseits verschärfen autoritäre Regime die Strafverfolgung von Homosexuellen, oft im Interesse religiöser Hassprediger. Der südafrikanische Journalist Mark Gevisser widmet sich in Die Pinke Linie den derzeitigen Kontroversen um die Stellung sexueller Minderheiten.
Er belegt die politische Brisanz des Themas an etlichen Länderbeispielen. So benennt er die gezielten Interventionen US-amerikanischer Pfingstkirchen in Uganda. Sie fördern lokale homophobe Politik, welche die Verschärfung der Strafgesetze vorantreibt. Nicht nur in Uganda befeuern Regierende in Krisenzeiten homophobe Vorurteile und lenken damit vom eigenen Versagen ab. Auch in Russland gelten solche Gesetze als Kampfansage gegen zivilgesellschaftliche Vielfalt und als Seitenhieb gegen westeuropäische Länder.
Konzeptionell verbindet der Autor Analysen mit anschaulichen Reportagen, beispielsweise über Lebensgeschichten von Homo- und Transsexuellen in verschiedenen Ländern. Seine Recherche basiert auf persönlichen Begegnungen im Rahmen wiederholter Reisen. Lebensnah portraitiert er lesbische Paare mit und ohne Kinder in Kairo sowie in US-amerikanischen und mexikanischen Städten. Es geht um Liebe und Familienalltag, Verortung in unterschiedlichen Milieus und bürokratische Hürden. Queere Elternschaft im Kontext staatlicher Anfeindung thematisiert der Publizist unter anderem am Beispiel eines russischen Trans-Vaters.
Bei aller Sympathie mit den Paaren hütet sich Gevisser davor, diese zu idealisieren. Vielmehr benennt er Konflikte und Trennungen, die aufgrund des sozialen oder politischen Drucks erfolgen und aus unterschiedlichen Lebensvorstellungen resultieren. Partiell kommt queerer Aktivismus zur Sprache, ohne die Aktiven als neue Revolutionär*innen zu zelebrieren. Dem digitalen Austausch wird große Bedeutung beigemessen; gleichzeitig ist er ein Fallstrick, da Geheimdienste Dating-Apps nutzen, um queere Personen zu identifizieren.
Auch die Situation von Angehörigen sexueller Minderheiten, die geflüchtet sind, wird thematisiert: Fliehen Verfolgte etwa nach Kanada oder in die Niederlande, erschweren Einsamkeit und subtile Formen von Homophobie und Rassismus ihren dortigen Alltag. Weil das gut lesbare Buch solche Ambivalenzen auf dem Weg zu mehr Selbstbestimmung konkret benennt und keine moralisierenden Bewertungen vorgibt, ist es eine lohnende Lektüre.