Die verfluchte Lehrerin mit dem spitzen Lineal. Von Catalina Aranda aus dem Buch: "Terror en el cerro, historias sangrientas y espeluznantes" von Libro Alegre, Valparaíso 2020.

»Horror auf dem Hügel«

Horrorgeschichten als Verarbeitung kindlicher Erfahrungen

Die folgenden Horrorgeschichten wurden von Kindern aus Valparaíso verfasst und im Buch »Terror en el cerro – Historias sangrientas y espeluznantes« (Horror auf dem Hügel – blutige und haarsträubende Geschichten) veröffentlicht. Die Erzählungen sind das Ergebnis eines Workshops zum Geschichtenerzählen, den LibroAlegre (libroalegre.cl) mit den Kindern durchführte. Die chilenische NGO betreibt einer Vielzahl an kulturellen Projekten und zwei Kinderbibliotheken. Sie betrachtet den Zugang zu hochwertiger Literatur als Grundrecht. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Förderung des Zugangs zu Kinderliteratur in sozial prekären Verhältnissen. Der Workshop zielte darauf ab, neue Kinder für die Bibliothek zu begeistern, ihre Ausdrucksfähigkeit zu fördern und die Probleme und Bedürfnisse von Kindern in der Nachbarschaft sichtbarer zu machen. Die Wahl des Themas Horror sollte die Vorstellungskraft fördern und den Kindern ermöglichen, über ihre Gefühle und Ängste, die mit ihrem Alltag und ihrem Stadtviertel verbunden sind, zu sprechen. Zu jeder Geschichte zeichneten die Kinder zudem passende Illustrationen, die wir hier ebenfalls veröffentlichen.

Aber Achtung, denn wenn du Angst vor Blut, vor dem Unbekannten, vor dem trüben Licht, vor der Nacht, vor Dämonen, vor dem Tod oder vor Geistern im Haus hast, dann liest du jetzt besser nicht weiter! Aber wenn du mutig bist, warten hier drei der blutigsten und gruseligsten Geschichten voller Rache, Terror und Spannung auf dich.

von Marielena Groos

13.12.2022
Veröffentlicht im iz3w-Heft 394
Teil des Dossiers Grauen ohne Grenzen

Das Lineal

Meine Mutter weckte mich um 6 Uhr morgens, weil ich in die Schule gehen musste. Wir nahmen den Bus und als wir ankamen, schien alles normal zu sein. Wie immer stellten wir uns auf und sangen die Nationalhymne. Dann ging ich in den Sprachunterricht. Plötzlich spürte ich die Schläge eines Lineals auf meiner Hand. Ich drehte mich um und erblickte eine Lehrerin, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Sie hatte rote Augen. Ich sah zu meinen Klassenkameraden, deren Aufmerksamkeit auf die Tafel gerichtet war. Ich schaute Richtung Tafel und meine Lehrerin war verschwunden, da war nur noch diese Lehrerin mit den roten Augen und einem blutigen Lineal. Die Lehrerin kam zu mir und flüsterte mir ins Ohr: »Mach deine Hausaufgaben ordentlich oder ich bestrafe dich mit dem Lineal.« Das Lineal hatte scharfe Zacken, die sich in die Hände schnitten. Ich fing vor Angst an zu weinen und hielt mir die Augen zu. Als ich aufsah, war alles wie immer, da war wieder meine Sprachlehrerin und sie starrte mich an. Es heißt, es gebe eine verfluchte Sprachlehrerin mit roten Augen und einem spitzen Lineal, die immer den Mädchen erscheint, die ihre Hausaufgaben nicht gut machen.

Catalina Aranda, 9 Jahre

 

Die rote Tür

In einem Haus lebten ein Vater, sein sechzehnjähriger Sohn und dessen Mutter. Das Haus war verflucht, denn es gab eine rote Tür, die in die Hölle führte und aus der böse Geister herauskamen, die nachts das Haus in Besitz nahmen. Hinter der Tür befand sich ein tiefes Loch, aus dem Feuer und Nebel hervorkamen.

Eines Tages prügelten sich der Vater und der Sohn, weil der Junge ein wenig faul war, und sie brachten aus Versehen eine Mauer zum Einsturz. Die eingestürzte Wand hinterließ ein tiefes Loch, den Eingang zur Hölle. Es war schrecklich. Sie verschlossen das Loch mit einem Blech aus Stahl, das jedoch im Feuer schmolz. Und dann sahen sie, wie Geister herauskamen. Der Geist eines Kindes stieg aus dem Loch, rannte zur Mutter und erwürgte sie. Der Vater und der Sohn schrien: »Hilfe, Hilfe!« Sie rannten hinaus und ließen das Haus verlassen zurück.

Einige Zeit betraten Einbrecher das Haus, um es auszurauben. Sie öffneten die rote Tür und das Töten begann von Neuem. Und jetzt will niemand mehr dieses Haus kaufen, weil sie sagen, es sei der Eingang zur Hölle.

Brusk Saavedra, 11 Jahre

Marlein

Ein kleines Mädchen namens Alexandra bekam zu ihrem fünften Geburtstag Marlein, die coolste neue Puppe, geschenkt. Sie konnte singen, »Mami« sagen und tanzen. Alexandra spielte viel mit Marlein und die Puppe schlief in ihrem Bett. Nach einer Weile kam eine weitere coole Puppe auf den Markt, die sich wie ein Roboter bewegen konnte. Alexandra wollte Marlein nicht mehr und als man ihr die Roboterpuppe kaufte, hörte sie auf, mit ihrer gewöhnlichen Puppe zu spielen. Marlein wartete jeden Abend im Flur darauf, dass Alexandra vorbeikam und mit ihr spielte, aber das tat sie nie. Eines Tages fuhren ihre Eltern zur Müllhalde, um Marlein wegzuwerfen. Alexandra warf sie weg und die Puppe fixierte sie mit ihren Augen. Und als sie losfuhren, klammerte sich Marlein an das Auto. Irgendwann hielt das Auto an und Marlein fiel zu Boden, aber als es wieder losfuhr, rannte und rannte sie, bis sie das Auto wieder einholte und aufsprang. Dort blieb sie, bis sie wieder vor dem Haus standen. Marlein wollte sich an der anderen Puppe rächen, sie erstechen und in den Müll werfen, so wie sie es mit ihr getan hatten. In der Nacht warf sie die Roboterpuppe hinaus, verkleidete sich selbst als Roboterpuppe und blieb bei dem Mädchen. Und niemand hat je herausgefunden, was passiert war.

Ashley Farias, 12 Jahre

 

Alle Geschichten und Abbildungen sind aus dem Buch »Terror en el cerro« von Libro Alegre, Valparaíso 2020.

Übersetzung aus dem Spanischen: Marielena Groos

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 394 Heft bestellen
Mehr zum Thema
Unsere Inhalte sind werbefrei!

Wir machen seit Jahrzehnten unabhängigen Journalismus, kollektiv und kritisch. Unsere Autor*innen schreiben ohne Honorar. Hauptamtliche Redaktion, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit halten den Laden am Laufen.

iz3w unterstützen