Der Palästina-Platz in Theran im Iran
Der Palästina-Platz in Teheran | Foto: Orijentolog CC-BY-SA-3.0

»Müssen wir die Palästi­nenser unter­stützen?«

Die iranische Oppo­sition lehnt die Hamas entschieden ab

Ausgerechnet in der Islamischen Republik Iran kommt die Parteinahme für Palästina oft schlecht an. Die Gesellschaft ist gespalten. Das Regime und seine Anhängerinnen und Anhänger unterstützen die terroristische Hamas. Die iranische Opposition lehnt die islamistische Solidarität ab. Das ist auch im Teheraner Alltagsleben spürbar. Und weil letzteres fast erstickt ist, offenbart es sich in den sozialen Medien.

von Azadeh H.

11.12.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 400
Teil des Dossiers Nahostkonflikt

Im Zentrum der Stadt Teheran findet man den Palästina-Platz genau dort, wo in der Zeit von Schah Mohammad Reza Pahlavi die israelische Botschaft stand. Schon am Tag der Revolution 1979 stürmten die Revolutionäre dort die israelische Botschaft. Sie wurde evakuiert, man installierte die Flagge von Palästina und benannte den Platz um. Palästina wird fortan zu einem wichtigen Bestandteil der iranischen Innen- und Außenpolitik. Es wird als Teil der gemeinsamen »Achse des Widerstands« gegen Israel betrachtet.

Bei jedem Freitagsgebet ruft der Prediger »Tod für Israel«, während er eine Kufiya trägt. Das Regime mobilisiert jährlich am letzten Freitag des Monats Ramadan, zum Al-Ghods-Tag (arab.: al-Quds-Tag). Al-Ghods ist auf Farsi die Bezeichnung für die Stadt Jerusalem. Dann verbrennt man die israelische Flagge – und die amerikanische gleich mit als Verbündete von Israel. Die anti-israelische Politik zeigt sich auch in Wandbildern und Parolen im Stadtbild Teherans. Das staatliche Fernsehen des iranischen Regimes zeigt häufig blutige Bilder von zivilen Opfern und Trümmern im Gazastreifen. Es heißt, Israel töte die Kinder und Frauen brutal. Israel müsse vernichtet werden. Eine große digitale Uhr am Palästina-Platz zählt die Tage bis zur Vernichtung von Israels herunter.

Die meisten verfolgen die Ereig­nisse in Gaza hoffnungs- und gefühllos

Für dieses Ziel nimmt das Regime viel Geld in die Hand. Laut einem Bericht des US-Senats unterstützt Iran die – von den EU und den USA als Terrororganisation eingestufte – Hamas mit etwa dreißig Millionen Dollar monatlich. Außerdem unterstützt Iran den palästinensischen Islamischen Dschihad mit etwa zehn Millionen Dollar. Dazu kommen Rüstungsgüter, militärische und logistische Unterstützung sowie die massive Unterstützung anderer islamistischer Milizen in Libanon, Jemen oder Irak.

Auf der Straße …

Am 18. Oktober versammelten sich in den späten Abendstunden Regimeanhängerinnen und Regimeanhänger am Palästina-Platz. Die staatlichen Medien posten Videos der Teilnahme von jungen Männern, die wie Anhänger der Basij-Miliz aussahen, neben älteren Männern und vollverschleierten Frauen. Sie verurteilten den ungeklärten Raketenangriff auf das al-Ahli-al-Arabi-Krankenhaus in Gaza. Die Versammlung war nicht so groß, wie es sich das Regime gewünscht hätte. Am liebsten hätte das Regime eine so große propalästinensische Demonstration gehabt, wie sie im Lande des Erzfeindes in Washington stattfand.

Nach der Demo fahren mehrere Mopedfahrer in Richtung der britischen und französischen Botschaft, um »Verbrechen von Israel gegen die Leute in Gaza« zu verurteilen. Sie schreiben Parolen wie »Tod für Israel« auf die Wände der Botschaften, drucken rote Hände auf und werfen Lehm auf das Tor als ein Zeichen, dass diese Botschaften schließen müssen. Die deutsche Botschaft in Teheran und andere europäische Botschaften werden ebenfalls angesteuert.

Die übrige Bevölkerung, die sich nur auf sozialen Medien und anonym äußern kann, verfolgt die Ereignisse in Gaza eher hoffnungs- und gefühllos. Das geht bis hin zu Hass gegen Gaza.

… und auf Social Media geht es hoch her

Sie posten #IranianstandwithIsrael. Die Nutzerinnen und Nutzer dort verurteilen die Hamas-Angriffe auf Israel. Es heißt, die »islamische Regierung« (ohne das Wort »iranisch«), wie die Bevölkerung das Regime nennt, unterstütze die Hamas »mit unseren Geldern«. Seit 44 Jahren finanziere man die palästinensischen und libanesischen Milizen. Sie prangern an, dass Frauen und Mädchen weiterhin im Iran getötet werden, nur weil sie ein paar Haarsträhnen gezeigt haben. Und sie sehen dabei: Im Libanon können viele Frauen sich kleiden, wie sie wollen und laufen sogar im Bikini am Strand herum. Warum sollten sie demgegenüber die sittenstrenge Hisbollah unterstützen? Sie wollen keine Millionen für noch mehr Unterdrückung ausgeben.

Es gibt Posts wie diese: »Egal wie der Krieg ausgeht, wir werden dafür bezahlen müssen. Israel hätte Gaza komplett vernichten müssen.« Sie verweisen darauf, dass das iranische Regime bei den Protesten 2019 innerhalb von zwei Tagen laut Reuters 1.500 Demonstrantinnen und Demonstranten getötet habe, auch wenn es keinen Krieg gab. Kein Staat habe Irans Bevölkerung damals unterstützt. »Warum müssen wir immer die Palästinenser unterstützen«, schreiben viele Nutzerinnen und Nutzer. Das sei die Aufgabe der arabischen Welt.

Der regimekritische Teheraner Politologe Sadegh Zibakalam sagte in einem Interview über die Haltung in der iranischen Bevölkerung Palästina gegenüber, dass die iranische Bevölkerung dem Regime einfach nichts mehr glaube: »Die Leute glauben an das Gegenteil von dem, was das Regime glaubt.«

Ein Video iranischer Fußballfans im Teheraner Azadi-Stadion kursierte weltweit: Als Protest gegen das Regime, welches die palästinensische Flagge am Spielfeld zur Schau stellte, riefen die Fans laut: »Nehmt die palästinensische Flagge und schiebt sie auch in den Arsch.« Nutzerinnen und Nutzer haben das Video unter die Tweets der Regierungsleute, die Gaza unterstützen, gepostet. Das Regime müsse wissen, dass die Leute nicht auf der palästinensischen Seite stünden. Ein anderes Video von einer Schule kursiert in den Sozialen Medien. Ein Angestellter einer Jungenschule fordert, »Tod für Israel« zu rufen, als Antwort hört man von den Schülern »Tod für Palästina«.

Angesichts der Hoffnungs­losigkeit klammert man sich an jeden Strohhalm

Das Regime toleriert nicht einmal die Opposition in den sozialen Medien. Eine generalstaatsanwaltliche Arbeitsgruppe stellt am 30. Oktober jede Handlung zur Bestätigung des zionistischen Regimes im Cyberspace unter Strafe. Das Regime kritisiert außerdem die Film- und Kulturschaffenden dafür, dass sie zum Krieg in Gaza schwiegen. Die konservativen staatlichen Medien zitieren sogar die Kritik der US-Schauspielerin Angelina Jolie an Bombardements in Gaza. Der ehemalige Berater des Präsidenten Ahmadinejad schreibt auf der Plattform X, wir stünden an der Seite von allen, die Israel verurteilen und Palästina unterstützen, auch wenn diese Person der ehemalige Porno-Star Mia Khalifa sei.

Bei der Beerdigung des im Oktober in Teheran ermordeten Regisseurs Dariush Mehrjoui und seiner Frau kritisierte die Vorsitzende der iranischen Kino-Gewerkschaft, Marzieh Boroumand, Israel. Sie sagte: »Seid mit uns, wir kämpfen an eurer Seite gegen Israel.« Die folgenden Buhrufe hört man in den Videos, die in sozialen Medien geteilt werden. Das Video löst viele Reaktionen aus. Die Konservativen bejubeln das Statement Boroumands, die anderen kritisieren es. Die Vorsitzende der iranischen Kino-Gewerkschaft trat zurück.

Genug eigene Probleme

Die Bevölkerung des Iran ist frustriert, enttäuscht und wütend. Die letzten Funken der Hoffnung für einen Regimewechsel sind nach dem Jahrestag der Ermordung von Mahsa Amini ausgelöscht. Das Regime hat wieder alles unter Kontrolle gebracht und die Familien der getöteten Demonstrantinnen und Demonstranten unter Druck gesetzt, damit weitere massive Proteste ausbleiben.

Die Geschichte wiederholte sich. Nach einem Konflikt mit der Sittenpolizei in der Teheraner U-Bahn lag wieder ein Mädchen im Koma. 28 Tage später erklärte man sie für hirntot. Die Beerdigung wurde von massiven Sicherheitsmaßnahmen begleitet. Die Aktivistinnen und Aktivisten, die trotzdem an der Beerdigung teilnahmen, wie die Rechtsanwältin Nasrin Sotoudeh wurden gewaltsam festgenommen. Das Regime kämpft um das Überleben und geht mit Gewalt gegen die Leute vor. Aus den Protesten von 2022, die brutal unterdrückt wurden, ist ein alltäglicher ziviler Widerstand und eine tiefe Depression entstanden: »Wir sitzen und schauen nur zu, was das Regime mit uns macht«, schreiben viele Nutzerinnen und Nutzer. Die Bevölkerung könne das Regime nicht wechseln. Dieses Regime würde nie aufgeben, wo sollten die Mullahs denn hin, wenn das Regime stürzen würde? Das Regime mache alles, um zu überleben.

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Dem Westen seien Menschenrechte im Iran egal, glauben viele. Der Westen interessiere sich nur für das Atomprogramm. Erst wenn der Westen selbst vom Iran bedroht wäre, würde etwas unternommen werden. Die Iranerinnen und Iraner äußern hier keine Kriegsangst, sie haben sowieso den inneren Krieg. Das Regime würde ohnehin nicht am Krieg gegen Israel teilnehmen und die Gesellschaft würde das Regime dabei nicht unterstützen. Ein Krieg gegen Israel mit militärischer iranischer Beteiligung würde den Iran deshalb zerstören. Selbst der Religionsführer Khamenei weist eine direkte iranische Beteiligung an dem derzeitigen Krieg zurück.

Die iranische Bevölkerung, die sich nicht von diesem Regime befreien kann, hofft noch ein wenig auf Hilfe vom Ausland. Die Freigabe von iranischem Vermögen durch die US-Regierung vor dem Jahrestag von Mahsa Aminis Tod löste dagegen in den iranischen Sozialen Medien große Empörung aus. Angesichts der Hoffnungslosigkeit klammert man sich an jeden Strohhalm. Könne der Israel-Hamas Konflikt die Verhältnisse im Nahen Osten ändern und helfen, den Iran zu befreien?

Azadeh H. lebt in Teheran.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 400 Heft bestellen
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