Schwarzes und braunes Schiff tagsüber auf See
Die Klimakrise trifft auch die Ozeane | Foto: Yevhen Buzuk/unsplash

Wenn Korallen erblassen

Die Rolle der Ozeane beim Klimawandel

Die Erderwärmung spielt sich maßgeblich in der Meereswelt ab, denn 71 Prozent unseres Planeten sind von fünf Ozeanen bedeckt. Die Prozesse, die mit der marinen Erwärmung verbunden sind, sowie die Wechselwirkungen mit dem Land und den Menschen sind komplex. Ihre politische Dimension wird oft unterschätzt.

von Kai Kaschinski

16.10.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 399
Teil des Dossiers Klimakrise

Die Klimakrise findet nicht nur an Land statt. Sie hat auch die Ozeane und Meere fest im Griff. Die Bedeutung der Ozeane hinsichtlich des Erhalts der Biodiversität, der globalen Stoffkreisläufe und des Klimasystems der Erde ist immens. Ohne ihre Pufferfunktion im Klimageschehen verliefe die Gesamtentwicklung noch weitaus dramatischer.

Die Weltmeere nehmen rund 90 Prozent der durch den Klimawandel zusätzlich erzeugten Wärmeenergie und etwa ein Viertel des vom Menschen erzeugten Kohlendioxids auf. Diese Speicherfunktion hat ihren Preis. Sie löst eine wahre Kaskade von marinen Klimafolgen aus. Diese klimabedingten Veränderungen verlaufen in den verschiedenen Meeresgebieten keineswegs gleichmäßig.

Die marinen Klimafolgen treffen auf Ozeane, die ohnehin durch Gift- und Schadstoffe, Müll, Lärm, Überfischung, Offshore-Projekte auf See oder Küstenbebauung stark belastet sind. Die daraus erwachsenden Dynamiken und kumulativen Wechselwirkungen zwischen dieser Vielzahl an Stressfaktoren verändern die Ökologie der marinen Systeme umfassend. Nur wenn die Klimafolgen in diesem Sinne als ein Element des kritischen Gesamtzustands der Ozeane und Meere verstanden werden, sind valide Rückschlüsse hinsichtlich der ökologischen Konsequenzen möglich. Am Ende sind die Ozeane nicht mehr das, was sie einmal waren, und sie werden es auch niemals mehr sein. Es entstehen die Ozeane des Anthropozäns. Sie sind geprägt vom Klimawandel und von all den anderen Nutzungen und Belastungen durch den modernen Menschen.

Das Meer wird warm und sauer

Schon jetzt sind die Auswirkungen der Klimakrise unübersehbar. Strände und Inseln verschwinden im Meer, riesige Algenteppiche ziehen sich quer über den Atlantik und Quallen-Invasionen dringen bis an die Küsten vor. Inzwischen werden weltweit über 900 sogenannte tote Zonen gezählt, in denen der Sauerstoffgehalt der Meere lebensfeindlich gering ist. In den Ozeanen gehen mit der Klimakrise einige der weitreichendsten globalen Veränderungen unserer Biosphäre einher. Bleibt ein konsequenter Klimaschutz aus, so gehen etwa, sobald die 1,5-Grad-Erwärmungs-Grenze erreicht wird, über 75 Prozent aller tropischen Korallenriffe verloren. Bei zwei Grad drohen die Korallenriffe, und mit ihnen ein bedeutendes Küstenökosystem, fast vollständig zu verschwinden. Dies wäre der wahrscheinlich größte Verlust an Biodiversität seit Menschengedenken. Ein Vorzeichen davon sind die beständig auftretenden Korallenbleichen.

Über die Flüsse dringt das Meerwasser ins Binnenland vor

Die Klimafolgen auf See sind eng mit der erwähnten Pufferfunktion der Ozeane verbunden, die dort primär zur stetigen Erwärmung und Versauerung führen. Seit den Anfängen der Industrialisierung hat sich der Säuregehalt des Meerwassers zwischen 26 und 30 Prozent erhöht: der pH-Wert ist so von 8,2 auf 8,1 gesunken. Bei allen Meerestieren erfordert das saurere Milieu körpereigene Anpassungen und erzeugt dauerhaften Stress. Würde im Jahr 2100 tatsächlich ein pH-Wert um 7,8 erreicht, wären mehr als 50 Prozent der Muscheln, Schnecken, Stachelhäuter sowie Korallen und ihre Riffe stark beeinträchtigt.

Eine zunehmende Erhitzung der Ozeane ist inzwischen bis hinab in 6.000 Meter Tiefe nachzuweisen. Hieraus resultieren die meisten marinen Klimafolgen. Die prominenteste von ihnen sind die Extremwetter, von denen mittlerweile ständig berichtetet wird. Stürme und Fluten nehmen an Stärke und Häufigkeit zu. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte sollen aus früheren Jahrhundertfluten alljährliche Flutereignisse werden. Parallel treten vermehrt lebensfeindliche marine Hitzewellen im Ozean auf und werden von Rekordtemperaturen wie dieses Jahr im Mittelmeer begleitet.

Marine Klimafolgen

Drei andere mit der Erwärmung verknüpfte Klimafolgen werden trotz gravierender Auswirkungen hierzulande seltener erwähnt: Sauerstoffarmut, Meeresspiegelanstieg und die Verschiebung der marinen Ökoregionen. Ein Grund mag sein, dass Deutschland durch seinen Reichtum etwa über Küstenschutzanlagen verfügt; und durch den Einkauf von Fischereiprodukten auf dem Weltmarkt keine entsprechende Knappheit kennt. Aber diese Folgen lassen sich durchaus auch in der Nord- und Ostsee beobachten, ebenso wie im Südpazifik, der Karibik oder dem Indischen Ozean.

Der Sauerstoffabnahme als Folge der Meereserwärmung werden 50 Prozent des Gesamtverlustes an Sauerstoff im Meerwasser zugeschrieben. Die anderen 50 Prozent gehen auf die Überdüngung der Meere zurück, verursacht durch den künstlichen Nährstoffeintrag über Flüsse und Atmosphäre. Der Verbrauch von Kunstdüngern hat sich von 1950 bis 2000 mehr als verzwanzigfacht. Zugleich hat der Sauerstoffgehalt in den Ozeanen um zwei Prozent abgenommen. Die Fläche der Sauerstoffminimum-Zonen, darunter die zuvor erwähnten toten Zonen, hat sich im Zuge dessen seit den 1960er-Jahren um 4,5 Millionen Quadratkilometer vervierfacht. Laut Prognosen können die Ozeane derart bis zum Jahr 2100 durchschnittlich weitere drei bis vier Prozent ihres Sauerstoffs verlieren. Atemnot würde damit etwa für sehr viele Meerestiere zum Dauerzustand.

Die zweite Erwärmungsfolge ist der Anstieg des Meeresspiegels. Dieser erfährt jenseits der Unwetter noch die meiste Aufmerksamkeit. Der Anstieg geht zu einem Drittel auf die Erwärmung der Ozeane zurück. Mit den steigenden Temperaturen dehnt sich der Wasserkörper langsam und stetig aus. Hinzu kommt, dass der Treibhauseffekt und die Erwärmung von Land und Atmosphäre für das Abschmelzen der Gletscher (21 Prozent) und Eisschilde in Grönland (20 Prozent) und der Antarktis (neun Prozent) sorgen. Auf diesem Weg gelangt zusätzliches Wasser vom Land in die Weltmeere. Dazu trägt mit elf Prozent auch der Abfluss aus Wasserspeichern wie etwa dem Grundwasser bei. Von 1900 bis 2018 betrug der Anstieg des Meeresspiegels insgesamt zwischen 16 und 21 Zentimeter, wobei die Geschwindigkeit sich erhöht. Im 21. Jahrhundert soll der Meeresspiegel insgesamt um bis zu 130 Zentimeter und mehr steigen.

Die dritte Folge, die hier hervorgehoben werden soll, ist die globale Verschiebung der Klimazonen im Ozean aufgrund der höheren Durchschnittstemperaturen. Die unterschiedlichen Anpassungsfähigkeiten an die damit einhergehenden Veränderungen beeinflussen die Artenzusammensetzung und somit in der Konsequenz die Biodiversität und Stabilität der Ökosysteme. Abhängig von der Toleranz der Arten gegenüber dauerhaft erhöhten Umgebungstemperaturen kommt es bei ihnen zu spezifischen Reaktionen. Eine Untersuchung verschiedener Fischarten zeigte, dass Temperaturstress Wachstum, Ernährungsweise und Fortpflanzungserfolg beeinflusst. So kann es bei Fischen durch die Erwärmung zur Abnahme des Körpergewichts zwischen 14 bis 24 Prozent kommen. Eine andere relevante Reaktionsmöglichkeit der Arten ist deren Abwanderung, um dem Hitzestress auszuweichen. Infolge der Erwärmung verlagern sich durch aktive und passive Migration die Verbreitungsgrenzen der Meereslebewesen. Im Allgemeinen vollziehen sich die Verlagerungen in Richtung der Pole. In der Fischerei können damit die Verursacher der Klimakrise mittelfristig sogar von einem vermehrten Reichtum in ihren Gewässern profitieren. Insgesamt kalkuliert die Welternährungsorganisation mit einer Reduktion der für den Fischfang verfügbaren Bestände von bis zu 25 Prozent.

Das Meer raubt die Strände …

Wirklich klar wird die Tragweite der Klimakrise in den Ozeanen erst dann, wenn die sozialen und ökologischen Aspekte zusammen betrachtet werden und darüber hinaus der Umstand einbezogen wird, dass die Klimafolgen sich global keineswegs gleich auswirken. Entlang des Äquators sind viele der oben angedeuteten negativen Effekte des marinen Klimawandels stärker ausgeprägt als in den nördlichen Meeresgebieten.

Den größten Druck übt die Klimakrise dabei auf die Ernährungssicherheit und immer größere Teile des Küstenraums im Globalen Süden mit all seiner Biodiversität und seinen Siedlungsflächen aus. Am Ende sind es die dortigen lokalen Küstengemeinschaften, welche die Klimafolgen am härtesten treffen werden. Sie, die am abhängigsten von intakten Ozeanen sind und über den geringsten ökonomischen Spielraum zur Anpassung verfügen, sind es, deren gesamte Existenzgrundlage in Frage gestellt ist. Global finden wir keineswegs alle Platz im selben (Rettungs-)Boot.

Der schwedische Resilienzforscher Johan Rockström, der den Begriff der »planetaren Grenzen« prägte, spricht von einem angenehm stabilen Zustand von plus-minus einem Grad Celsius, in dem sich unsere heutigen Kulturen über einen langen Zeitraum entfalten konnten. Derzeit beendet eine rücksichtslose und gewinnorientierte Naturausbeutung diese luxuriöse Phase und leitet in unruhigere Zeiten über. Die Klimakrise, globale Umweltzerstörungen und der Verlust an Biodiversität verursachen enorme Risiken. Armut, fehlende Partizipation und die jeweilige Abhängigkeit von stabilen Naturräumen bestimmen die konkrete Verwundbarkeit. In den Küstenregionen des globalen Südens ist die Bedrohung durch Extremwetter und die Gefahr zu sterben deutlich höher als im Norden.

Aus Land wird Meer

Für niedrig liegende Küstenregionen und zahlreiche Large Ocean States, den die UN als »Kleine Inselentwicklungsländer« bezeichnet, ist die Höhe des Meeresspiegelanstiegs eine Frage über Sein oder Nichtsein. Mit jedem Zentimeter, um den die Fluten steigen, verlieren die Küsten weltweit an Fläche. Aus Land wird Meer. Diese Welle dringt unaufhaltsam vor. In niedrig liegenden Küstenzonen, welche höchstens zehn Meter über dem Meeresspiegel liegen, siedeln derzeit um die 700 Millionen Menschen auf nur knapp zwei Prozent der globalen Landfläche. Überdurchschnittlich viele von ihnen tun dies im Globalen Süden und in Flussdeltas.

In China, Indien, Bangladesch, Indonesien, Vietnam und Nigeria siedeln jeweils mehr als 50 Millionen Menschen in diesen Zonen. Die Deltas nehmen nur ein halbes Prozent der Landfläche ein, aber sie beherbergen mit knapp 340 Millionen Menschen fast die Hälfte dieser Küstenbevölkerung, die sich verstärkt gegen Fluten und Stürme wappnen muss. Entlang der Küsten liegen, oftmals gerade in diesen Deltagebieten, zwei Drittel der Megacities der Welt mit jeweils mehr als zehn Millionen Bewohner*innen. Untersuchungen gehen je nach Szenario davon aus, dass im Jahr 2100 der Anteil der Weltbevölkerung, der in niedrigliegenden Küstenzonen lebt, auf ein bis zwei Milliarden Menschen steigen wird.

… und erreicht die Megacities

Schon bei einem Anstieg des Meeresspiegels von nur einem Meter würden weltweit etwa 150.000 Quadratkilometer an Landfläche überschwemmt werden. Nicht umsonst hat die indonesische Regierung eines der anspruchsvollsten urbanen Umsiedlungsprojekte aller Zeiten begonnen. Ihr Regierungssitz Jakarta zieht über 2.000 Kilometer von Java nach Borneo und wird dort für rund 28 Milliarden Euro unter dem Namen Nusantara neu aufgebaut. Jakarta ist eine der küstennahen Megacities an denen das Meer schon seit Jahren nagt und die stellenweise mehrere Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Wer von den über 11 Millionen Bewohner*innen letztlich nach Nusantara mitgenommen wird und wer in der Gefahrenzone zurückbleibt, ist eine offene Frage.

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In den »Kleinen Inselentwicklungsländern« leben zusammen rund 65 Millionen Menschen. Ein Meeresspiegelanstieg von einem Meter heißt für sie, dass etwa 75 Prozent der ohnehin sehr begrenzten Landflächen bald nicht mehr existieren. Schon seit Jahren können die Menschen dort dabei zusehen, wie ihre Strände verschwinden. Auf Kiribati übertreten bereits einfache Hochwasser die Ufer, überschwemmen die Gärten der Insulaner*innen und umschließen viele ihrer Wohnhäuser. Dem Inselstaat bleibt nur die Möglichkeit, Grund aufzuschütten und höher zu bauen – oder seine Bevölkerung zu Klimaflüchtlingen werden zu lassen. Kiribati zahlte an Fidschi rund 8,8 Millionen US-Dollar für 20 Hektar Land, um einen Ort zu haben, an dem zumindest Teile seiner Bevölkerung neu anfangen können. Auf Fidschi selbst laufen seit mehreren Jahren Umsiedlungsprogramme. Dörfer sollen vom Strand auf höher gelegene Ausweichflächen ziehen. Doch die Kosten sind immens und aufgrund fehlender Finanzmittel schreitet das Programm nur langsam voran.

Der Ozean verschlingt neben den Stränden und Siedlungsflächen auch die küstennahen Infrastrukturen. Mit dem Verlust der Küstenrandstraßen, Hafenanlagen der Metropolen und ihren wassernahen Geschäftsvierteln, der Anlandungsstellen der Kleinfischerei, der Orte der Fischverarbeitung und der überall verstreuten touristischen Hotels und Zentren bricht die Ökonomie der Küstenzonen zusammen. Über Flusssysteme und das Grundwasser dringt das Meerwasser noch weiter in das Binnenland vor und gefährdet durch Versalzung die Landwirtschaft und Trinkwasserversorgung. Dies macht jede Vorsorgemaßnahme noch dringlicher und erschwert sie zugleich, da die anfallenden Kosten nahezu unkalkulierbar sind. Dass Klimaschutz und Vorsorge gesamtwirtschaftlich günstiger sind, als die spätere Beseitigung der Schäden, ist hier offensichtlich. Geld fließt dadurch jedoch noch nicht.

Die Inselstaaten sind gefährdet

Die Inselstaaten sind letzten Endes vom Meeresspiegelanstieg, aber auch von allen anderen Klimafolgen am stärksten betroffen. Verstreut über alle Ozeane sind sie so etwas wie Indikatoren für das ganze Ausmaß der Klimakrise auf den Ozeanen. Ein ungebremstes Fortschreiten der Emissionen von Klimagasen wird dafür sorgen, dass in absehbarer Zeit viele von ihnen von den Landkarten verschwunden sein werden. Damit verschwinden nicht nur ihre Siedlungen, Infrastrukturen und Ökonomie. Ihre gesamte Existenz mit all ihren kulturellen Facetten und ihren lebendigen Gemeinschaften wird ausgelöscht. Nicht umsonst wird in Ozeanien in diesem Zusammenhang eine Migration in Würde gefordert.

Vanuatu hat eine Koalition von 132 Nationen initiiert, die eine Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen für ein Gutachten beim Internationalen Gerichtshofs befürworten. Das Gutachten soll die Verpflichtung von Staaten klären, einen effektiven Klimaschutz für die Kleinen Inselstaaten zu verfolgen. Zudem soll das Gutachten die Konsequenzen erörtern, wenn Länder eine ineffektive Klimapolitik betreiben. Unterstützt wird diese Initiative auch von der Commission of Small Island States on Climate Change and International Law, welche ein entsprechendes Rechtsgutachten beim Internationalen Seegerichtshof angefordert hat. Auch hier sollen die rechtlichen Verantwortlichkeiten, die aus der Klimakrise resultieren, geklärt werden. Bisher ist die finanzielle und politische Unterstützung der Inselstaaten und der betroffenen Küstenregionen viel zu gering, um mit Blick auf die Ozeane von Klimagerechtigkeit sprechen zu können.

Kai Kaschinski ist Vorstand und Projektkoordinator bei der NGO Fair Oceans.

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