bell hooks als Sniper

Zur afrofuturistischen Schockästhetik im Hip-Hop: Moor Mother

Audiobeitrag von Fabian Lutz

08.12.2022

Die Musikerin und Aktivistin Moor Mother setzt rassistischer Gewalt eine eigensinnige Schockästhetik entgegen. Ihr musikalisches Erbe verweist bis auf den Free Jazz Sun Ras, mit dem sie die Vision einer vom Kolonialismus befreiten Welt teilt.

Shownotes


Skript zum Audiobeitrag

Erstausstrahlung am 6. Dezember 2022 im südnordfunk # 103 | Radio Dreyeckland

Beats, hart wie Schläge, eine grollende Gitarre. Die Kamera im Musikvideo springt, huscht mit einem Lichtkegel über Gesicht und Körper der Rapperin. Die Gestalt Moor Mothers erscheint verzerrt, mehrfach belichtet, verdoppelt. Verdoppelt, verzerrt kommt auch ihre Stimme. Der Text ist für die Hörer*innen kaum verständlich. Wer sich die Mühe macht, nachzulesen, wird überrascht: »I’m bell hooks trained as a sniper / Sandra Bland returning from the dead with a hatchet«. bell hooks, die berühmte intersektionale Feministin, als Sniper? Sandra Bland, eine Schwarze Frau, die nach Festnahme wegen einem Verkehrsdelikt 2015 tot in ihrer Zelle aufgefunden wurde, zurückgekehrt von den Toten, mit einem Beil in der Hand? Was für die einen wie Horror klingt, bedeutet für die afroamerikanische Musikerin und Poetin Moor Mother eine radikal-feministische Befreiungsgeste.

So verkörpert sie in ihrem Song »By The Light« als bell hooks nicht nur den intersektionalen Feminismus oder benennt mit Sandra Bland ein mögliches Opfer rassistischer Polizeiwillkür, sondern gibt beiden auch Waffen in die Hand. Empowerment mit Rachegeste, Sozialkritik mit Schockästhetik. Und dann dieser raue, abgedrehte Sound. »I'm right by the light / I'm right by the light / I'm right by the light«.

»I like to punch people in the heart and then kiss the heart.« So Moor Mother in einem Interview mit dem Musikmagazin Pitchfork von 2021. Im gleichen Jahr erschien auch das Album „Black Encyclopedia of the Air“, für viele ein überraschend softer Beitrag zur Diskografie einer Musikerin, die auf ihrem Debüt „Fetish Bones“ von 2016 noch einen chaotischen Mix aus HipHop, Industrial und Noise präsentierte – Experimentalmusik der harten Art.

Empowerment mit Rachegeste, Sozialkritik mit Schockästhetik - und dann dieser raue, abgedrehte Sound

Das unheimliche Musikvideo von „By The Light“, der lärmende Sound – das erinnert tatsächlich mehr an die Schockästhetik von US-amerikanischen HipHop-Gruppen wie Death Grips. Auf „Black Encyclopedia of the Air“ oder dem 2022 veröffentlichten Nachfolger „Jazz Codes“ dominieren dagegen wattige Klanglandschaften, Soul und nicht zuletzt Jazz. Dem Schlag ins Herz folgt ein warmer Kuss. Aber auch hier lauert die Wut.

Im Musikvideo von „Zami“ erscheint das Gesicht Moor Mothers wieder verzerrt, im Negativ herausgeschält aus verrauschten Oberflächen, die an Bildstörungen erinnern. Zum geisterhaften Auftreten tritt ein geisterhafter Sound. Verzerrte Elektronik, dröhnende Orgelflächen, der eindringliche Rap Moor Mothers: »That's the dead clock / It's colored people's time / No more master's clock / We travel space waves.« Erneut Empowerment, eine Absage an die Zeitrechnung der „Master“, deren Plantagen in der wütenden Lyrik Moor Mothers bis in die Gegenwart reichen. Die Zeitrechnung der People of Color löst sich dagegen aus den historischen Bezügen, geht auf ›space waves‹.

Kommen die Toten wieder zurück, steigen die Überlebenden ins All. Nicht nur der Horror, sondern auch die Science-Fiction gehören zum Erbe Moor Mothers. Im Interview mit Pitchfork nennt sie nicht nur den Blues und Gospel als „Black American classical music“, sondern auch den Free Jazz. Wobei diese Genres für Moor Mother nicht bloß Musik sind, sondern „liberation technology“.

Eine solche versprach bereits der Jazz-Musiker Sun Ra (1914–1993), den Moor Mother zu ihren Vorbildern zählt und der als Ikone des Afrofuturismus gilt. Im Spielfilm »Space Is The Place« von 1974 bringt er Schwarze Menschen mit einem Raumschiff ins All und entzieht sie der von weißen Menschen und Rassismus dominierten Erde. Nimmt sich der Film mit seinen bonbonfarbenen Raumschiffen und bunten Kostümen rückblickend eher lieblich aus, ist es die Musik Sun Ras keineswegs, bis heute nicht.

Nicht nur der Horror, sondern auch die Science-Fiction gehören zum Erbe Moor Mothers

Der 21-minütige Titeltrack des 1973 erschienenen Albums »Space Is The Place« bleibt trotz klarer Rhythmisierung dem Free Jazz verhaftet, schichtet dissonant aufspielende Instrumente zu einer lärmenden »Wall Of Sound«. Der afrofuturistischen Vorstellung eines freien Lebens im All, »travelling space waves«, liegt eine ungezähmte, für Unbedarfte sicher brutale Soundästhetik zugrunde.

»Black Quantum Futurism / Transgender VHS«, rappt Moor Mother eingangs auf »KGBK«, einem weiteren Track ihres radikalen Debüts »Fetish Bones«. Nicht nur gibt die Künstlerin Trans*-Personen eine weitere mögliche „liberation technology“ zur Hand, sondern zitiert auch das von ihr und dem Künstler und Aktivisten Rasheedah Phillips gegründete Künstler*innen-Kollektiv Black Quantum Futurism.

Für das afrofuturistische Kollektiv besteht die »liberation technology« laut eigener Website in der »manipulation of space-time in order to see into possible futures, and/or collapse space-time into a desired future in order to bring about that future’s reality.« Die Manipulation, gar Destruktion einer gewohnten, kolonial überformten Raum/Zeit zugunsten einer erwünschten Zukunft könnte man in der »Transgender VHS« entdecken, die uns Moor Mother als Musikvideo von »KGBK« präsentiert. Das Gesicht der Künstlerin ist kaum erkennbar, erst recht nicht irgendeinem Geschlecht oder einer Ethnie zuordenbar. Augen und Mund erscheinen vor dem schwarzen Hintergrund wie durch eine Maske, um die herum sich klassische Elemente des Horrors sammeln: Küchenschaben, brennende Gebäude und natürlich das Beil. Auch die Textzeilen werden überdeutlich in die Wahrnehmung der Zuhörenden gehämmert:

»Kill black girl kill / That's my dissertation / And if you can't drop a bomb / On their plantation / Just get em hey«

Moore Mother in ihrem Song »KGBK«

In ihrer brutalen und verstörenden Form scheint die Ästhetik Moor Mothers mit einem friedlichen Protest für gleiche Rechte und Emanzipation zunächst unvereinbar. Wer als weiße Person so urteilt, würde ziemlich sicher verkennen, auf welche unleugbaren, traumatischen Gewalterfahrungen sie zuallererst reagiert. In Klang und Bild tritt Moor Mothers Ästhetik dem Schrecken rassistischer Gewalt entgegen. Gefallen muss das, gerade einem weißen Publikum, nicht. Dabei kommt ihrer Wut eine transformative Kraft zu. Sie attackiert Raum und Zeit rassistischer, kolonialer Systeme und weist, wie Sun Ras freiheitlicher Free Jazz, auf »space waves« in eine neue Ordnung. Eine solche sollten wir begrüßen, ob wir die Musik Moor Mothers ertragen können oder nicht.

Erstausstrahlung am 6. Dezember 2022 im südnordfunk # 103

Der Autor Fabian Lutz ist Literaturwissenschaftler und Journalist für Print und Radio.

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