Die beiden Hauptprotagonisten im queeren Film Joyland begegnen sich, Pakistan.
Performerin Biba (Alina Khan) links und Sohn Haider (Ali Junejo) rechts | Filmstill aus »Joyland« von Saim Sadiq (Pakistan 2022)

»Würde deine Familie dich töten?«

Eine queere Liebes­geschichte aus Pakistan

Joyland ist ein bewegendes Porträt einer zerrissenen und zugleich traditionsloyalen Familie. Das Beziehungsgeflecht der Beteiligten ist entlang der Widersprüche zwischen individuellen Erfahrungen und vorherrschenden Traditionen stetig in Bewegung.

von Lilith Raza

19.02.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 401
Teil des Dossiers Queers in Bewegung

Familie Rana lebt in der pakistanischen Provinz Punjab im eher ärmeren Zentrum von Lahore. Rana Amanullah ist der verwitwete und im Rollstuhl sitzende Familienpatriarch (Salmaan Peerzada). Bei ihm leben seine zwei Söhne und deren Frauen und Kinder im gemeinsamen Haushalt.

Der älteste Sohn Saleem (Sohail Sameer) und seine Frau Nucchi (Sarwat Gilani) haben drei Töchter und sie werden gerade zum vierten Mal Eltern einer Tochter. Der Großvater wünscht sich einen Enkelsohn, der den Familiennamen weiterführt. Noch keinen Nachwuchs haben sein jüngerer Sohn Haider (Ali Junejo) und seine Frau Mumtaz (Rasti Farooq).

Als Haider einen Job als Tänzer in einem erotischen Theater bekommt, nimmt die Familiengeschichte eine Wendung. Seinem Vater erzählt Haider, er arbeite als Manager. Denn sein wahrer Job als Background-Tänzer für die Performerin Biba (Alina Khan), die als trans Frau in den Pausen auftritt, gilt nicht als ,anständige‘ und respektable Arbeit. Die Familie drängt nun die Ehefrau Mumtaz, ihre Arbeit als Kosmetikerin aufzugeben, weil Haider plötzlich Geld nach Hause bringt und sich nicht mehr um den Haushalt kümmern kann. Mumtaz gibt ihre Arbeit auf, obwohl das der internen Abmachung des Paares widerspricht. Denn entgegen der pakistanischen Gepflogenheit (die Männer entscheiden zumeist, ob die Ehefrauen arbeiten gehen dürfen) gab Haider seiner Frau das Wort, sie arbeiten zu lassen. Mumtaz, neben Biba die einzige emanzipierte Frau, leidet unter dem Verrat ihres Mannes, der sich dem Diktat des Vaters beugt, und sie leidet unter dem Gefühl der Vernachlässigung. Als Mumatz auch noch schwanger wird und einen Sohn erwartet, wird sie von Depressionen ergriffen. Zu diesem Zeitpunkt ist Haider längst in seine Chefin verliebt und auf der Suche nach sich selbst.

»Würde deine Familie dich töten, wenn sie die Wahr­heit erfahren würde?«

»Würde deine Familie dich töten, wenn sie die Wahrheit erfahren würde?« fragt Biba. Und Haider scheint sich zunächst nicht sicher, ob er seinem Begehren tatsächlich nachgeben soll. Die Liebesgeschichte zwischen Haider und Biba ist eine in der pakistanischen Filmindustrie zuvor nie dargestellte, verschwiegene Liebe zwischen trans Frauen und cis Männern – auch wenn sie der Realität etlicher Menschen in Pakistan entspricht.

In Joyland gibt es keine eindeutige Hauptfigur. In sehr vielen Szenen und bei allen Figuren des Films wird der enorme Druck deutlich, unter dem die Mehrheit der pakistanischen Familien steht. Der Film weckt das Interesse des Publikums auch deshalb, weil kein Familienmitglied ohne ein Geheimnis oder geheimes Begehren bleibt. Dabei wird zum einen die Tabuisierung von Queerness in der pakistanischen Gesellschaft behutsam thematisiert. Zum anderen schafft jede Rolle ein Angebot, sich mit einer der Personen zu identifizieren – auch damit zieht der Film das Publikum in seinen Bann.

Einerseits zeigt der Film die Lust und das Begehren von Frauen im Haus, ohne sich um die religiösen Gebote zu kümmern. Andererseits thematisiert er die Gefahren, denen trans Frauen ausgesetzt sind – ohne sie in eine Opferrolle zu drängen. Die komplexe queere Realität in Pakistan wird in diesem Film sichtbar und sie spielt sich auf vielen Ebenen ab. So geht der Regisseur Saim Sadiq in seinem Spielfilmdebüt, für das er 2022 die Queere Palme gewann, differenziert mit gesellschaftlichen Tabuthemen um. Der Kuss einer trans Frau, die Selbstbefriedigung einer cis Frau, der erotische Tanz im Zentrum des westlichen Punjabs in der Islamischen Republik, das sind Realitäten, die in diesem Film zu sehen sind.

Im Film wird vor allem die Transgender-Community sichtbar gemacht. Das Wort trans hat seine Wurzeln im lateinischen Sprachraum. In Pakistan hingegen wird wertschätzend von »Khawaja Sira« gesprochen (in Südasien allgemein oft von Hijras). Seit 2018 hat Pakistan eines der progressivsten Transgender-Gesetze der Welt, wonach jede Person ihr Geschlecht selbst bestimmen kann. Allerdings versucht das konservativ-islamistische Lager seit Mai 2023, die Selbstbestimmung des Geschlechtes zu kippen. Auch deshalb ist es gut, dass Joyland – wenngleich nach Zensuren – in Pakistan für die Kinos freigegeben wurde. In einem offiziellen Programm lief der Film dennoch nicht. Und »die zensierten Szenen reichten von bestimmten Dialogen bis hin zu Tänzen und anderen wichtigen Teilen der Geschichte«, so Alina Khan.

Gegen Ende wird es melodramatisch, alles geht schief. Diese Eskalation wäre nicht nötig gewesen, denn auch ohne große Dramatik wäre man den Figuren gerne noch etwas gefolgt. Doch vielleicht ist das dramatische Ende auch als subtile Kritik zu verstehen. Wirkliche Freiheit wäre in den Augen des pakistanischen Publikums eine sehr utopische Vorstellung gewesen. Diese wird im Film zumindest angedeutet, als Haider auf die Frage, ob er Angst habe, selbstsicher meint: »Nein, ich will es so.«

Lilith Raza ist Fachreferentin beim Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) für den Bereich LGBTIQ und Flucht und lebt in Köln. In der iz3w 390 erschien ihr Artikel »Wo sollen wir hin?« über Lebensrealitäten queerer Menschen in Pakistan.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 401 Heft bestellen
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