Demoschild zeigt "Alle, foll, doof" (AfD). Großdemos gegen Rechts nach den Correctiv-Recherchen.
Großdemo gegen Rechts in Berlin, Januar 2024 | Foto: PIC-ONE/Stefan Müller CC BY-NC 2.0 Deed

Bröckelnde Brandmauern

Editorial

So dunkel die Zeiten auch sind, in unserem kleinen Hinterhof-Biotop gibt es schon wieder etwas zu feiern: Nachdem wir uns zum Jahreswechsel über unsere 400. Ausgabe gefreut haben, steht das nächste Jubiläum an. Im Mai sendet der südnordfunk zum 120sten Mal. Im Juni wird unser Radiomagazin zehn Jahre alt. Seit Juni 2014 gehen wir jeden ersten Dienstag im Monat um 16 Uhr bei Radio Dreyeckland »On Air«. Die Sendung wird von 16 weiteren Radios übernommen und ist überall abrufbar, wo es Podcasts gibt. Im südnordfunk kommen Stimmen aus dem Globalen Süden zu Wort, mal zu unseren Dossierthemen, mal zu eigenen Rechercheschwerpunkten. Aktuell läuft eine Kooperation mit dem Witness Radio aus Uganda, in der es um die medienaktivistische Begleitung des Baus der ostafrikanischen Rohölpipeline EACOP in Uganda geht, ein fossiles Megaprojekt mit zerstörerischen Folgen. Die ersten Audiobeiträge dazu finden Interessierte auf unserer Webseite. In dieser Ausgabe fasst unsere Kollegin Martina Backes ein paar Fakten über die EACOP zusammen (siehe: Schwarzes Gold aus Ostafrika). Da die mediale Begleitung des Witness Radios gerade in einer Hochphase steckt, stoßen wir dann im September mit euch auf die zehn Jahre südnordfunk an: mit einer öffentlichen Veranstaltung und möglicherweise einer Liveschalte.

 

Ansonsten gibt es mit Blick auf die politische Lage ja eher wenig Grund zur Freude. Seit Mitte Januar die Recherche von correctiv die Abschiebepläne von AfD und Co. bekannt machte, gingen immerhin über Wochen Hunderttausende in Deutschland auf die Straße. An manchen Orten waren es die größten Demonstrationen der Nachkriegsgeschichte. So auch in Freiburg: Hier waren etwa 30.000 Menschen auf der Straße. Für jene, die sich schon lange engagieren, waren die Demonstrationen ein Zeichen: Ihr seid nicht alleine. Aber wenige Monate später ist davon wenig geblieben.

Rassistische Politik gilt in Deutsch­land nur dann als Problem, wenn sie von der AfD betrieben wird

Dagegen vollzieht sich die vom rechten Rand gepushte Wende auch in der sogenannten politischen Mitte. Auch dort geht es gegen die üblichen Verdächtigen. Am 10. April 2024 beschloss das EU-Parlament eine Neuordnung des EU-Asylsystems GEAS. Die Reform beinhaltet massive Verschärfungen. Geflüchtete werden zukünftig an den Außengrenzen in großer Zahl inhaftiert und müssen Schnellverfahren durchlaufen. Menschen, die über einen angeblich ‚sicheren Drittstaat‘ eingereist sind, sollen sehr leicht dorthin zurückgeschoben werden können – auch, wenn diese Staaten in Kriegsgebiete abschieben (iz3w 401). In Freiburg gab es Protest gegen die Verabschiedung. Zur Kundgebung kam nur eine Handvoll Menschen.

In der taz bezeichnet Christian Jakob die Verabschiedung der Reform als »grüne Flucht nach rechts« und trifft damit den Kern des Problems. Rassistische Politik gilt in Deutschland nur dann als Problem, wenn sie von der AfD betrieben wird – und letzteres vermutlich auch nicht mehr lange. Jedenfalls steht die gesamte Ampel hinter dem rassistischen GEAS. Das zeigt: Es gibt eine konstante gesamtgesellschaftliche Entwicklung nach rechts.

Keine Kooperation mit Antidemokrat*innen

Damit haben wir das Problem vor der Haustür, welches wir in den letzten Jahren als globale autoritäre Wende beobachten, die sich immer erst national einschleift, in Brasilien, USA, Togo, Ungarn, Türkei, Russland, Philippinen und in anderen Ländern. Bei den diesjährigen Wahlen in Deutschland zum Europäischen Parlament sowie für die Landtage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg kann sich die Rechtswende fortsetzen. Das ist brandgefährlich, denn die Verabsolutierung ihrer Machtposition ist eine Raison d’ Être der extremen Rechten.

Welcher Weg zur Macht passt für die Rechtsextremen in Deutschland? Die Kaperung der größten konservativen Partei, wie das in den USA durch Donald Trump geschah? Nun, die Merkeljahre sind in der CDU vorbei und die Partei besteht mit dem Vorsitzenden Friedrich Merz und Generalsekretär Carsten Linnemann auf rechte Themen: zu viele Flüchtlinge, zu faule Arbeitslose und zu stressiger Klimaschutz. Allerdings kommt der Rechtsruck in Deutschland zuerst von einer anderen Seite: Vom Wahlerfolg einer neuen originär rechten Partei, die sich ständig radikalisiert, der AfD (ähnlich wie in Polen der PiS). Keine Kooperation mit Antidemokrat*innen hieß es da lange, es brauche eine »Brandmauer« gegen die Partei, die mit einem Drittel der Wählerstimmen rechnen und in Ostdeutschland stärkste politische Kraft werden kann. Im bürgerlichen Lager steht diese Mauer jedoch längst selbst lichterloh in Brand: Es gibt sie längst, die Zusammenarbeit auf regionaler und auf Landesebene. Und im Fernsehduell diskutierte jüngst rechts gegen ganz rechts. So zündelt man bei der CDU – und bei der FDP, die nur noch mit Zerstörungsakten gegen Sozialpolitik, Lieferkettenschutz, Verkehrswende oder Umweltschutz auffällt, löscht man – vom Bundesvorsitzenden Christian Lindner bis zum Thüringer Spitzenkandidat Thomas Kemmerich – mit Brandbeschleuniger.

Danach kann es in Deutschland dunkel werden. Da gibt es für uns nur eines: Raus aus dem Hinterhof. Dass die Rechten gestoppt werden können, stimmt nämlich auch. Auf diese Feier freut sich dann ganz besonders

 

die redaktion

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 402 Heft bestellen
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