Fallstricke beim Kampf gegen Antisemitismus & Rassismus
Rezensiert von Patrick Helber
23.02.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 395
Seit der Diskussion um den postkolonialen Theoretiker Achille Mbembe aus Kamerun im Kontext der Ruhrtriennale 2020 tobt innerhalb des medialen Diskurses in Deutschland oder zwischen diversen linken Gruppen ein Streit um das Verhältnis von Antisemitismus und Rassismus sowie zum Gedenken an die Shoa und die Verbrechen des Kolonialismus. Die Präsentation von antisemitischen Kunstwerken auf der documenta 15 hat die Auseinandersetzung erneut befeuert. Folgerichtig sind zum Jahreswechsel mit Frenemies. Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen und Probleme des Antirassismus. Postkoloniale Studien, Critical Whiteness und Intersektionalitätsforschung in der Kritik zwei Bücher erschienen, die die Debatten rekonstruieren und Position ergreifen.
»Frenemies«, herausgegeben von Meron Mendel, Saba-Nur Cheema und Sina Arnold, versucht die verschiedenen Positionen – Friends und Enemies – zum Thema Antisemitismus und Rassismus zu versammeln. Bereits im Vorwort erläutern die Herausgeber*innen, dass das Projekt ein Ritt auf der Rasierklinge war. Bei der Auswahl der Autor*innen gerieten anti-antisemitische und antirassistische Positionen aneinander. Die Autoren Kerem Schamberger und Ramsis Kilani zogen ihre Texte zurück und die Herausgeber*innen bedauern im »Schadensbericht«, dass sie ihrem »eigenen Anspruch nicht nachgekommen [sind], auch palästinensischen Stimmen mehr Gehör zu verschaffen«.
Die 48 kurzen Beiträge funktionieren wie ein Nachschlagewerk
Die 48 kurzen Beiträge funktionieren wie ein Nachschlagewerk – auch für Leser*innen, die die Debatten weniger kennen. Informiert wird über die kritische und postkoloniale Theorie; ob Antisemitismus eine Form von Rassismus sei; die BDS-Bewegung; antimuslimischen Rassismus; den Zusammenhang von Rassismus, Klasse und Kapitalismus; Rassismus und Antisemitismus im Kulturbetrieb; und Fragen der Erinnerungskonkurrenz zwischen Shoa und Kolonialismus. Die Autor*innen werfen einen Blick »über den deutschen Tellerrand« in die USA, nach Israel, Südafrika und Frankreich. Sie lassen aber die palästinensischen Gebiete, die Türkei, den Libanon oder den Iran außer Acht, sodass der Blick auf Antisemitismus und Rassismus dort verstellt bleibt.
Das Buch schließt mit einem »Gespräch über Solidarität, Allianzen und ihre Schwierigkeiten«, das die politische und aktivistische Ebene anvisiert und zu mehr konstruktivem Streit aufruft. Massimo Perinelli kritisiert, dass »Allianzen Kampfbündnisse gegen einen gemeinsamen Feind [sind], denen jedoch eine gemeinsame Vorstellung von gesellschaftlicher Transformation fehlt« und plädiert für den Terminus Solidarität. Er und Sina Arnold stellen fest, dass der Kampf um »politische Anerkennung und Diversity« die »Frage nach gesellschaftlicher Veränderung jenseits der eigenen Anerkennungswünsche« in den Hintergrund gedrängt habe. Und Hannah Peaceman unterstreicht, dass in antirassistischen Bündnissen Shoa-Relativierungen vorkommen und diese häufig kein Schutzraum für Jüdinnen und Juden sind.
Der Band »Probleme des Antirassismus« greift Antisemitismus in der Linken und die Schwächen des identitätspolitischen Antirassismus auf und nimmt Intersektionalität und postkoloniale Theorie aus der Perspektive der kritischen Theorie in die Mangel. Im Vergleich zu »Frenemies« sind die 20 Beiträge ausführlicher gehalten. Sie richten sich an ein Publikum, das Spaß an Theorie, Analyse und Fußnoten hat. Basis sind marxistische Kritik der politischen Ökonomie und die »Dialektik der Aufklärung«. Die Autor*innen kreiden an, dass für die Critical Whiteness Studies (CWS) die »Grenzen sozialer Ungleichheit nicht entlang ökonomischer Linien, sondern an den Grenzen von Kultur, Herkunft und Hautfarbe« verlaufen. Ulrike Marz bemerkt, dass in den CWS »ein essentialistischer Kulturbegriff analytisch eigentlich abgelehnt wird« aber in der »politische[n] Praxis die kulturelle Identität temporär essentialisiert« wird.
Die Autor*innen kritisieren regressive und antimoderne Argumentationen in postkolonialen Zusammenhängen. Es gehe nicht darum, »die Moderne kritiklos zu glorifizieren, sondern sie einerseits in ihrer Dialektik zu begreifen, d.h. sie als Voraussetzung für Mündigkeit, Wissen und Kritik zu verteidigen, und andererseits als Denken, das die Grundlage für die Ausbeutung, Versklavung und schließlich Rassifizierung von Menschen legte, zu kritisieren.«
Robin Forstenhäußler betont, dass intersektionale Ansätze meist moralisch argumentieren, aber keine gesellschaftskritische Theorie anführen. Die kapitalistische Produktionsweise und die daraus resultierenden Verhältnisse gerieten aus dem Fokus. »Durch die Nivellierung der konstitutionellen Besonderheiten innerhalb des intersektionalen Schemas erscheint die Klassenposition nur noch als sozial konstruierte Identität, als ein Selbstverhältnis der Individuen also, das von einem anderen Verhältnis völlig absieht – demjenigen zu den Produktionsmitteln.«
Beide Bücher problematisieren die Reduktion politischer Kämpfe auf Anerkennung, Repräsentation und Antidiskriminierung. Das sorge bestenfalls für einen diversitätsorientierten und ‚grünen‘ Kapitalismus, oft aber für verkürzte Kritik der ökonomischen Verhältnisse inklusive antisemitischer Projektionen. Erst wenn klar sei, dass unabhängig aller Identitäten keine andere Wahl existiere, als Kapitalist*in oder Arbeiter*in zu werden und sich den damit verknüpften Zwängen zu unterwerfen, um zu überleben, würde aus den aktuellen politischen Kämpfen mehr als eine »konformistische Revolte«. Die gemeinsame Lektüre der Bände hilft dabei, nicht in diese Falle zu tappen.