Foto von Jugendlichen auf dem Buch »Hund, Wolf, Schakal« von Behzad Karim Khani

Raus aus den Sozial­hilfe-Schuhen

Rezensiert von Winfried Rust

01.05.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 396

Der Neukölln-Roman Hund Wolf Schakal beginnt weit entfernt: »Irgendwo, Hunderte Kilometer entfernt, in einer ocker- und lehmfahrbahnen Kargheit auf sonnenverbranntem Sand und olivgrünen Flüssen lief der Krieg auf ein Happy End zu, wenn man dem Fernseher Glauben schenkte, wenn man also ein Kind war.« Wir sind in der iranischen Hauptstadt Teheran der 1980er-Jahre, zuzeiten des Iran-Irak-Krieges. Das Kind heißt Saam und in seinem Leben gibt es »zwei Monster«: Der Krieg und das Evin-Gefängnis, »das Ungeheuer, dass seine Mutter gequält, getötet und dann entsorgt hatte.« Jetzt wird Jamshid, der Vater, verhaftet.

Nach über 40 Jahren theo­kratischer Repres­sion wirkt die Szene hochaktuell

Nach über 40 Jahren theokratischer Repression wirkt die Szene hochaktuell. Aber Jamshid kommt noch einmal frei. Er flieht mit seinen Kindern nach Deutschland, nach Berlin-Neukölln. Hier beginnt eine fast typische Migrations-Geschichte: Der alte Revolutionär bekommt nicht mehr wirklich einen Fuß auf den Boden und vereinsamt als Taxifahrer. Den Kindern ermöglicht er einen Neustart, sie stehen aber nicht auf dem soliden Grund der deutschen Mittelschichten-Kids.

So führt die Geschichte Saam in eine Gang. Das endet in Überfällen und einer jahrelangen Knaststrafe. Im Roman wird deutlich, dass dieser Weg nicht alternativlos ist. Doch der hellwache Saam nimmt geradezu traumwandlerisch die falschen Abzweigungen. Dafür werden materielle Hintergründe benannt: die paternalistische Herablassung der deutschen Nachbarin; die »Sozialhilfe-Schuhe«, die Saam inmitten der markenverliebten Mitschüler*innen trägt; das positive Gruppengefühl im Rahmen der schiitisch-libanesischen Gang und deren Handlungsmacht.

Die Gang erweist sich als parallelökonomisches Start-up-Unternehmen. Es beginnt mit dem Abziehen Gleichaltriger, Erpressungen und Diebstählen. Danach lockt der boomende Neuköllner Drogenmarkt. Saam ist drauf und dran auszusteigen. Sein Bruder Nima gerät währenddessen über seine erste Liebe in eine gutsituierte Familie hinein. Aber auch dort wandeln Unterschichten-Kids auf unsicherem Grund.

Saam wird nach der Haftentlassung von der Gang mit Schüssen in die Luft gefeiert. Der Ex-Knacki will aber lieber als Koch arbeiten. Schwierig. Nach der diesjährigen Silvesterrandale hat die Öffentlichkeit ratlos auf das (in sich segregierte) Neukölln geblickt. Ein Aspekt davon wird in diesem Roman des im Iran geborenen Berliner Autors Behzad Karim Khani sorgfältig auserzählt. Seine jungen Protagonist*innen aus Neukölln nimmt er ernst. Es geht um ihren Lebensweg, um Zärtlichkeit, Respekt und das Ringen um einen Platz im Leben.

Behzad Karim Khani: Hund Wolf Schakal. Hanser, Berlin 2022. 288 Seiten, 24 Euro.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 396 Heft bestellen
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