Aufbrüche und Umbrüche
Rezensiert von Martina Backes
12.11.2022
Veröffentlicht im iz3w-Heft 392
Und immer wieder aufbrechen von Sisonke Msimang erlaubt einen Blick in den Kosmos des Exils südafrikanischer Anti-Apartheidskämpfer*innen. Ein Wendepunkt, nicht nur in der Geschichte Südafrikas, sondern auch der persönlichen Geschichte der Autorin, ist die Ermordung des hochrangigen ANC-Mitglieds Chris Hani 1993. Hani war ein enger Freund des Vaters, selbst Mitglied des militärischen Flügels des ANC, um dessen Leben Sisonke fortan bangt. Mit dem Tod des »Onkels« bricht sich Sisonkes aufgestaute Wut neue Bahnen: »Ich habe keine Geduld mehr gegenüber Rassisten.«
Das Buch erzählt ohne Scheu von der Odyssee kindlicher und jugendlicher Emotionen einer in Swasiland im Exil geborenen Südafrikanerin mit kanadischem Pass und kenianischem Akzent. Vor allem aber erzählt sie von den Frauen, die sie umgeben, den »Aunties«, den Freundinnen, der Mutter, den Schwestern. Als feste Bezugspunkte in einem Leben voller Aufbrüche und Umbrüche füllen sie den Raum fernab der imaginierten Heimat mit Zuneigung und Zärtlichkeit.
»Ich schreibe, um meine Verletzungen in den Griff zu kriegen.«
Der Titel trifft gleich mehrfach auf das Leben der Autorin zu: auf das Sich-Wieder-Aufrichten nach sexistischen und rassistischen Erfahrungen ebenso wie auf die ständige Suche der Familie nach einem sicheren Ort. In dem Exil-Haushalt dient ein revolutionärer Geist als Kitt gegen die faktische Lebensgefahr. Und doch: offensichtliche und subtile rassistische Übergriffe und Demütigungen, die die Autorin erst als Kind in einer Wohnsiedlung in Lusaka, dann als Jugendliche in der Schule in Kanada, später als Studentin in Amerika erlebt, entzaubern den Mythos und auch die Vision einer südafrikanischen Schwarzen Gesellschaft ohne Hass und ohne Gewalt. Als Siebenjährige vergewaltigt von einem Schwarzen Hausangestellten lernt sie, den inneren Widerstand zu kultivieren, der zugleich eine Härte gegen sich selbst erfordert. Ebenso sehr wie Rassismus ist der subtile Klassismus und Sexismus Gegenstand des Buches, der auch vor den im Exil lebenden Panafrikanist*innen nicht halt macht.
Das Buch handelt vom Werdegang einer politischen Essayistin, die den späteren Verrat des ANC an seinen eigenen Werten zu verarbeiten sucht und von sich selbst behauptet: Ich schreibe, um meine Verletzungen in den Griff zu kriegen. Die Kraft des Buches rührt aus einer direkten Sprache und der nüchternen Schilderung von gewaltvollen und schmerzlichen Situationen. Sisonke Msimangs Geschichte ist ein kleiner Mosaikstein in der kollektiven Erfahrung einer Generation von Kindern revolutionärer Exilant*innen. Sie leben, und sie sind Teil der südafrikanischen Gegenwart.